Portrait

Dass Zovko eigentlich Kroate ist, gefällt ihnen.

Davor Zovko floh als Siebenjähriger mit seiner Familie vor den Jugoslawienkriegen nach Deutschland. Mithilfe einer engagierten Lehrerin schaffte er das Abitur und wurde selbst Lehrer. Wie viel sein Erfolg in Deutschland mit glücklichen Umständen zu tun hat, spürt er jeden Tag.

Von Sonja Salzburger Donnerstag, 20.06.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 25.06.2013, 23:33 Uhr Lesedauer: 7 Minuten  |  

Von 18 Schülern sind nur drei pünktlich. Davor Zovko schließt den Klassenraum auf. Langsam schlurfen Sandra, Alex und Nina zu ihren Plätzen. „Können wir heute eine halbe Stunde früher Schluss machen, wir schreiben nachher eine Englischklausur“, fragt Alex, eine junge Frau, die mit ihren schwarzgefärbten Haaren und ihrem Augen-Make-up an Amy Winehouse erinnert.

Es klopft. Drei dunkelhaarige junge Frauen betreten den Klassenraum und schimpfen auf die Straßenbahn. Der junge Lehrer bleibt gelassen. Ein Drittel seiner Schüler sind jetzt da, das ist nicht schlecht für einen Montagmorgen. Zovkos Schüler, allesamt zwischen 17 und 20 Jahre alt, wollen ihren Realschulabschluss nachholen, um ihre Chancen auf einen Job zu verbessern. Viele sind Migranten der zweiten Generation. Ihre Familien stammen aus der Türkei, dem Libanon, aus Polen, Serbien und Kasachstan. Dass Zovko eigentlich Kroate ist, gefällt ihnen.

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An seinen ersten Schultag in einer deutschen Grundschule in Mülheim an der Ruhr kann Zovko sich gut erinnern. 20 Kinderaugenpaare starrten ihn an, als die Lehrerin sagte: „Wir haben einen neuen Mitschüler. Der Davor wohnt erst seit wenigen Wochen in Deutschland und kann noch nicht so gut Deutsch.“ Zovko verstand die Sätze nicht. Zovko verstand die ganze Welt nicht mehr. Er weinte den ganzen Tag.

Seine Sommerferien hatte er sich so anders vorgestellt. Der Vater hatte gesagt, sie würden in den Urlaub fahren und Mama in Deutschland besuchen. Mama war gelernte Köchin und arbeitete für drei Monate in einem Restaurant im Ruhrgebiet, um Auslandserfahrungen zu sammeln. Zovko packte nur ein paar Spielsachen ein und verabschiedete sich nicht einmal richtig von seinen Freunden. In acht Wochen spielen wir ja wieder zusammen Fußball in Mostar, dachte er. Bis sein Vater einen Brief bekam. Ein guter Freund schrieb: „Ihr könnt euch glücklich schätzen, dass ihr in Deutschland seid. Bleibt bloß dort.“ Zu Hause war der Krieg ausgebrochen.

Was als Familienurlaub geplant war, wurde zur Auswanderung. Erst fünf Jahre später konnte die Familie in ihre alte Wohnung zurückkehren, um ihre Sachen zu holen. Davor Zovko und sein zwei Jahre jüngerer Bruder Marco fanden ihr altes Kinderzimmer fast genauso vor, wie sie es verlassen hatten. Nur unordentlicher. Wegen der Granatensplitter.

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Zovko beginnt mit dem Politikunterricht. „Was ist mit Moviepark?“, kontert Koukab aus der letzten Reihe. Sie verschränkt die Arme vor ihrer grün-schwarz karierten Bluse und schaut ihn herausfordernd an. Zovko antwortet, dass ein Ausflug in den Freizeitpark erst geplant wird „wenn sich eure Leistungen verbessert und wir alle fleißig gespart haben. Als Belohnung.“ Die Klasse gilt als schwierig, wegen mangelnder Motivation, Unpünktlichkeit, Schwänzen, Smartphones. Anders als ältere Kollegen hat Zovko den Smartphones nicht den Kampf angesagt. Bei Gruppenarbeiten erlaubt er den Schülern, Lösungen im Internet nachzuschlagen. Sie sollten lernen, dass Mobiltelefone mehr können als Nachrichten verschicken oder YouTube-Videos abspielen.

Koukab und ihre Mitschülerinnen wollen Arzthelferin, Altenpflegerin oder Krankenschwester werden. Es sind nur noch vier Monate bis zum Schuljahresende. Bisher haben nur zwei einen Ausbildungsplatz gefunden. Zovko hofft, dass die anderen nicht aufgeben.

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Als Davor Zovko in Deutschland eingeschult wurde, waren es nur noch wenige Wochen bis zum Ende des Schuljahres. Seine Eltern hatten wenig Hoffnung, dass ihr Sohn die Versetzung schaffen würde. Seine Klassenlehrerin, eine energische Frau in den Fünfzigern, fühlte sich für den kroatischen Jungen verantwortlich. Der kleine Kroate braucht vor allem mehr Selbstbewusstsein, fand Frau Gagat. Als Davor die ersten fünf Sätze lesen konnte, drehte die Lehrerin mit ihm eine Runde durch das Schulgebäude. An jeder Klassentür klopfte sie an, stieß den Jungen sanft hinein. „Davor ist erst seit wenigen Wochen bei uns und liest euch jetzt mal was vor.“ Er las zwei Sätze aus dem deutschen Lesebuch, eine Geschichte von Umi, dem kleinen Bären. Die Schüler standen auf und klatschten. Zovko war stolz.

Als er am letzten Schultag mit seinem Zeugnis nach Hause kam, konnten die Eltern kaum glauben, als sie entzifferten, was dort stand: „Davor wird in die dritte Klasse versetzt.“ Frau Gagat hatte mit ihm ein Abkommen getroffen. Für die Sommerferien hatte sie ihm einen dicken Ordner mit Arbeitsblättern vorbereitet.

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In der vergangenen Woche hat Zovko mit seinen Schülern ein neues Thema begonnen: Die Unterschiede zwischen Demokratie und Diktatur. Um das Ganze zu wiederholen, hat er Übungszettel mitgebracht. Er möchte, dass sie sich seine Schützlinge alles genau einprägen. In Einstellungstests wird oft danach gefragt. Auf einem Zettel stehen Stichworte wie „Gewaltenteilung“ oder „keine Wahlen“, welche die Schülerinnen der jeweiligen Herrschaftsform zuordnen sollen. Die jungen Frauen brüten über ihren Übungszetteln, während Zovko seine Unterlagen sortiert.

In seinem Schnellhefter stecken ein paar Entschuldigungsschreiben. Vor allem Sport ist bei vielen Mädchen unbeliebt. „Lieber Herr Zovko. Hiermit entschuldige ich mich für Montag, den 8. April 2013, da ich vom Pferd getreten wurde und mein Bein nicht belasten darf. Ich bitte um ihr Verständnis. MfG Esther G.“ Oder: „Hallo Herr Zovko. Da ich am Sonntag spontan in meinen Kleiderschrank gestürzt bin und mir dabei unter anderem das Knie verdreht habe, werde ich heute nicht am Sportunterricht teilnehmen. Mit freundlichen Grüßen. Hannah M.“

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Der Sommer im Jahr 1991 war verregnet. Trotzdem spielte Davor Zovko lieber jeden Tag mit seinem jüngeren Bruder Marco und den Kindern aus seiner Straße Fußball, statt Vokabeln zu lernen wie er es Frau Gagat versprochen hatte. Den anderen Kindern war es egal, dass die beiden Kroaten kaum Deutsch sprachen. Die Spielregeln mussten sie ihnen nicht erklären. Bis heute hat Zovko ein schlechtes Gewissen, weil er den Ordner seiner Lehrerin nur zur Hälfte durchgearbeitet hat. Dennoch war sein Deutsch nach den Sommerferien viel besser. Feuilleton Leitartikel

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