Buchtipp zum Wochenende
Tauben am Himmel Teherans: eine Jugend im Iran
Fast zwei ist ein Roman über das Leben im Iran, über Propaganda und über ein Land, über das wir nicht viel wissen; ein Buch, das von einem gebürtigen Iraner auf italienisch geschrieben und jetzt ins Deutsche übersetzt wurde. Adriana Enslin hat es gelesen.
Von Adriana Enslin Freitag, 12.04.2013, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 18.05.2015, 17:10 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Darioush lebt in Teheran, in der Zeit kurz nach dem Sturz des Schahs. Die Islamische Revolution hat er wie ein großes Abenteuer erlebt, in einer Nacht konnte er sogar beobachten, wie man Molotowcocktails baut. Ansonsten hat sich seitdem scheinbar nicht viel verändert. Außer, dass man im Kino keine Küsse mehr zu sehen bekommt, und auch nicht, „wie sich zwei Protagonisten ganz ohne Schleier aneinanderklammern“. Aber dafür haben er und sein bester Freund Zal ja die Videosammlung seines Onkels, die versteckt im Keller seiner Eltern lagert, seit fast alle Filme auf dem Index stehen. Die anderen Veränderungen kommen schleichend, fast unmerklich.
Darioush lebt in einem Stadtviertel, in dem Mopeds mit kaputtem Auspuff herum flitzen und die großen Brüder den Mädchen hinterher gucken. Er spielt mit seinen Freunden Fußball, wenn nicht eine der Mütter den Ball einkassiert. Und wenn seine Familie „am Wochenende Lust auf eine Fahrt ins Grüne und ein gutes Chelo Kebab hat“, fahren sie nach Karaj, „drehen das Autoradio auf volle Lautstärke und tanzen unter freiem Himmel auf den Feldern“.
„In der Nachbarschaft redet jeder über jeden, schwärzt an, erteilt Freisprüche, macht Komplimente. Wir Jungs dürften rein theoretisch nichts davon wissen, aber wenn man zwei Mütter zusammenbringt, die sich auf Persisch, Türkisch, Kurdisch oder in sonst einer der Sprachen, die im Iran gesprochen werden, unterhalten, dann sind ihre Zungen vor lauter Klatsch und Tratsch glitschiger als Seife.“ (Fast zwei, Seite 48)
Darioush liebt seine Tauben, die er auf der Dachterrasse in Käfigen hält und die im ganzen Osten Teherans sichtbar sind, wenn sie als Geschwader in die Luft steigen. Und außerdem liebt er Soheila, Zals Schwester, die manchmal auf ihrer Terrasse tanzt, wenn sie weiß, dass Darioush sie sehen kann. Obwohl Darioushs Familie nicht sehr religiös ist, macht es ihm einiges Kopfzerbrechen, dass er ständig an Soheila denken muss. Denn schließlich hat er es irgendwie im Gefühl, dass er von Gott auserwählt ist, um ein großer Held zu werden. Ein Held, so wie die Schauspieler aus den Western, oder wie die Imame. Ein Held, so wie „jener dreizehnjährige Junge, der sich mit einer Handgranate unter den feindlichen Panzer warf, ihn zerstörte und so den Sirup des Martyriums genoss“.
Der Krieg mit dem Irak hat begonnen, überall hört man von Panzern und Märtyrern. Und obwohl Darioush sich eigentlich nicht ganz so sicher ist, welcher religiösen Richtung er zustimmen soll, beschließen er und Zal eines Tages, von zu Hause wegzulaufen und an die Front zu gehen.
„Fast zwei“ ist ein Roman über das Erwachsenwerden in Zeiten des Krieges. Ein Roman darüber, wie fanatische Propaganda in das Privatleben der Menschen eindringt. Aber auch ein Roman über die Lebensfreude und die Freundschaft. Und über ein Land, das uns trotz seiner derzeitigen Medienpräsenz leider ziemlich unbekannt ist.
Der Autor:
Hamid Ziarati, geboren 1966, siedelte kurz nach der Islamischen Revolution von Teheran nach Italien über, wo er seitdem in Turin lebt. Seine Werke verfasst Hamid Ziarati auf Italienisch. Fast zwei, sein dritter Roman, ist die erste Übersetzung ins Deutsche.
Hamid Ziarati: Fast zwei, 172 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-933847-34-8, 17,90 Euro (D)
Verlag auf dem Ruffel, erhältlich ab April 2013 Aktuell Rezension
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