Rezension zum Wochenende

Europas radikale Rechte

Detailreich und mit wenig Berührungsängsten schildern die Autoren Andreas Speit und Martin Langebach nationalistische, rassistische und neo-nationalsozialistische Strömungen in ausgewählten europäischen Staaten. Was man aus dem Titel herausliest: Die „neue“ Rechte ist so neu nicht. Im Zentrum am rechten Rand steht die Aussage, dass die etablierten politischen Eliten eine Liquidation der angestammten Bevölkerung zum Ziel hätten.

Von Alpay Yalçın Freitag, 05.04.2013, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 13.12.2013, 22:18 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Detailreich und mit wenig Berührungsängsten schildern die Autoren Andreas Speit und Martin Langebach nationalistische, rassistische und neo-nationalsozialistische Strömungen in ausgewählten europäischen Staaten. Was man aus dem Titel herausliest: Die „neue“ Rechte ist so neu nicht. Im Zentrum am rechten Rand steht die Aussage, dass die etablierten politischen Eliten eine Liquidation der angestammten Bevölkerung zum Ziel hätten.

Unter anderem stamme eine solche Aussage von Tibor Imre Baranyi von der rechtsextremen ungarischen Partei Jobbik, der sich zu Viktor Òrban auf dem nationalistisch beschriebenen Festival Magyar Sziget äussert, das sich als Gegenveranstaltung zum international bekannten Sziget-Festival versteht. Wie Konzerte und Gruppentreffen, der militanten Splittergruppen der Rechten, europaweit organisiert werden, beschreiben die Autoren ebenfalls detailliert.

___STEADY_PAYWALL___

Auch scheinen die europäischen Rechten sich darin einig zu sein, die nationalsozialistische Vergangenheit unreflektiert zu betrachten. Gedenkfeiern und Veranstaltungen finden unter Beteiligung von Teilnehmer aus vielen europäischen Ländern statt. Einig ist man sich in diesen Kreisen auch darüber, dass die bestehenden Gesetze und Verfassungen null und nichtig seien, und somit auch deren Republiken. Doppelmoral, Unterdrückung und Fremdherrschaft seien die zu bekämpfenden Haltungen in den unfreien Republiken Europas. Was es bedürfe, sei eine Führung für die aufgebrachten Massen: Für die Völker Europas.

Europas Radikale Rechte
Verlag: Orell Füssli
287 Seiten
April 2013

Einig ist man sich auch darin, dass der Volkswille permanent missachtet werde. Ob kriminelle Ausländer, gewalttätige Migranten, terroristische Islamisten und linksgerichtete, volkszersetzende Eliten: sie alle seien, im Ziel vereint, Europas angestammte Bevölkerung auszulöschen. Die Autoren erinnern zum Beispiel eindrücklich an die gesellschaftlich-historischen Hintergründe der schweizerischen SVP. Wie auch bei anderen Parteien und Bewegungen sind es immer fremde Mächte – und natürlich die volkszersetzenden Kräfte im eigenen Land – die das Volk und dessen Kultur im Visier hätten.

Der Fribourger Professor für Zeitgeschichte Damir Senderovic wird hierbei zitiert. Er spricht von „Missbrauchsrhetorik“, die in der Schweiz für Volksinitiativen genutzt werde. Bei dieser Tendenz scheint es sich weniger um Nationalismus, sondern vielmehr um einen regionalen Patriotismus à la „Tessin den Tessinern“ zu handeln. Verschwiegen wird aber auch nicht, dass die etablierte Politik diese Forderungen bereitwillig aufnimmt, um hierdurch eine restriktivere Einwanderungs- und Bürgerrechtspolitik umzusetzen. Ob aus Wahlkalkül oder Überzeugung wird nicht deutlich. Offensichtlich wird dabei auch der Versuch der europäischen Rechten, sich bürgernah darzustellen.

Der Stil des Buches ist in Tagebuch-Form gehalten. Wer das Ganze aus historischer Sicht liest, dem wird klar: Auch vor Hitlers Machtübernahme spaltete sich die Gesellschaft in verschiedene ideologische Gruppierungen. Deren militante Kampfgruppen waren es letztendlich die einen Ordner bzw. Führer herbei provozierten. Wer den Titel im Hintergrund einer globalen Bewegung liest, dem wird bewusst, dass der vereinende gemeinsame Nenner radikaler Gruppierungen, die Feststellung eines „Niedergangs“, die „Rassen- und Völkermischung“, sowie die Vormachtstellung des Finanzkapitals ist. Die Rechte ist sich jedenfalls einig darin, dass ihre Identität in Gefahr sei. Wie sehr in dieser Gemengelage radikaler Ansichten bildungsnahe Gruppen eine Rolle spielen, wird deutlich, als 1991 der nationaldemokratische Hochschulbund in Deutschland die Gründung von „Parallelgesellschaften“ forderte, was im Anschluss zum Konzept „national befreiter Zonen“ führte, so die beiden Autoren.

Neben den etablierten politischen Agitationsmitteln führen die Autoren vor allem die Musik- und Jugendkultur der Rechten – und ihre Organisationsformen – in Europa an. Interessant wird das 288-seitige Werk auch dort, wo erklärt wird, woher diese Gruppen finanzielle Unterstützung bekommen. Der Goldenen Morgenröte in Griechenland sei beispielsweise Geld von finanzstarken Unternehmen zugeflossen. Auch führe ein Mitglied ein Bordell, in dem auch Ausländerinnen arbeiteten. Über 40% der griechischen Polizisten hätten die rechtsextreme Partei gewählt.

Der Titel schließt ab, mit dem Blick auf das europäische Parlament und einem Blick auf die gesamtgesellschaftliche Situation in Europa. Im EU-Parlament, so zeigen die Autoren, offenbaren sich jedoch die grundsätzlichen Trennlinien zwischen den europäischen Rechten. Das letzte Kapitel bestätigt, was jedem der sich mit Radikalisierungen weltweit beschäftigt ein Grummeln im Bauch beschert: Furcht vor Sozialabstieg / Sozialabbau, Angst vor Überfremdung, Wertewandel – reale, wie gefühlte Verunsicherungen bescheren Extremen regen Zulauf. Egal, unter welchem Vorzeichen diese Kräfte auftreten. Aktuell Rezension

Zurück zur Startseite
MiGLETTER (mehr Informationen)

Verpasse nichts mehr. Bestelle jetzt den kostenlosen MiGAZIN-Newsletter:

UNTERSTÜTZE MiGAZIN! (mehr Informationen)

Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.

MiGGLIED WERDEN
Auch interessant
MiGDISKUTIEREN (Bitte die Netiquette beachten.)

  1. Gast sagt:

    Zum Buch kann ich natürlich noch nichts sagen, zur vorliegenden Rezension allerdings schon. Den Abschnitt:

    „Auch vor Hitlers Machtübernahme spaltete sich die Gesellschaft in verschiedene ideologische Gruppierungen. Deren militante Kampfgruppen waren es letztendlich die einen Ordner bzw. Führer herbei provozierten.“

    finde ich absolut unmöglich und nahe am Geschichtsrevisionismus. Der NS wurde nicht von militanten „Kampfgruppen“ herbei provoziert. Reichspräsident Hindenburg hatte schon mit den sog. Präsidialkabinetten die Demokratie faktisch abgeschafft und niemand hat ihn gezwungen Hitler zum Reichskanzler zu ernennen. Das sog. Ermächtigungsgesetz wurde einzig von der SPD nicht gebilligt (die Kommunisten saßen in KZ’s oder waren bereits ermordet). Bei der Machterschleichung der Nazis waren wohl andere Akteure bedeutender als irgendwelche „Kampfgruppen“!
    Heutzutage firmiert solch platte Propaganda übrigens unter dem Label „Extremismustheorie“. Heißt: Die Rechten UND Linken Extremisten sind an allen Übeln schuld, aber WIR sind ja in der Mitte und haben mit Rassismus und Menschenverachtung natürlich überhaupt gar nichts zu tun… So ein Unfug!

  2. Einspruch sagt:

    Der Titel schließt ab, mit dem Blick auf das europäische Parlament und einem Blick auf die gesamtgesellschaftliche Situation in Europa. Im EU-Parlament, so zeigen die Autoren, offenbaren sich jedoch die grundsätzlichen Trennlinien zwischen den europäischen Rechten. Das letzte Kapitel bestätigt, was jedem der sich mit Radikalisierungen weltweit beschäftigt ein Grummeln im Bauch beschert: Furcht vor Sozialabstieg / Sozialabbau, Angst vor Überfremdung, Wertewandel – reale, wie gefühlte Verunsicherungen bescheren Extremen regen Zulauf. Egal, unter welchem Vorzeichen diese Kräfte auftreten.

    Tja, das Aufgeführte habe ich ganz ohne Buch alles schon mal vor über einem Jahr hier runtergeleiert. Wollte aber niemand hören, sondern immer schön verdrängen. Die menschliche Realität und deren psychischer Hang sich entsprechend zu verhalten hat uns also schneller eingeholt als so viele dachten. Ich wiederhole meine Aussage von damals noch mal. Es wird noch schlimmer kommen.

  3. Marie sagt:

    @Gast – absolute Zustimmung, den Herrn Hitler haben nicht irgendwelche militante Kampfgruppen an die Macht gebracht. Auch dem Ermächtigungsgesetz, das nach der Ernennung Hitlers durch Hindenburg zur Verfestigung der Diktatur führte, haben sämtliche „bürgerlichen“ Parteien zugestimmt. Auch die überwiegende Mehrheit der Deutschen, wie die Volksbefragungen in der zweiten Hälfte der 1930er ergaben. Das waren keine Kampfgruppen, das war die breite bürgerliche Mehrheit.

  4. Alpay Yalcin sagt:

    Es war nicht meine Absicht eine monokausale Erklärung für den Aufstieg der Diktatur abzugeben. Historisch gesehen ist das Phänomen der Kampfgruppen (Rotfrontkämpferbund, Staalhelm, Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Saalschutz) ca. 10 Jahre vor den Präsidialkabinetten zu verorten.

    @Marie und @Gast: Folge ich Ihren Ausführungen lande ich bei der These von der Kollektivschuld der Deutschen. Und so einfach möchte ich mir es dann doch nicht machen. (Zudem möchte ich Sie an die Ausführungen eines Eugen Dühring erinnern). Ihre Anführungen blenden die sozialen Vorzeichen völlig aus und konzentrieren sich auf administrative Massnahmen. Ich finde es schade, dass Sie keinen europäischen Blickwinkel einnehmen wollen, und in der deutschen Geschichte verharren.

  5. Lionel sagt:

    Ob die Aussage, dass die etablierten Eliten eine Liquidierung der angestammten Bevölkerung zum Ziel hätten im Zentrum der sehr unterschiedlichen Bewegungen und Parteien steht, die unter dem Begriff Rechtspopulismus zusammengefasst werden, halte ich nur für teilweise zutreffend.
    Ein Anti-Elitarismus scheint allen gemeinsam zu sein.
    Verbindend ist sicher auch eine ausgeprägte EU-Skepsis bis hin zur völligen Ablehnung.
    Weder rassistisch noch neo-nationalsozialistisch sind die Schweizer SVP (dort größte Partei) noch die Anti-EU-Partei UKIP in Großbritannien.
    Die Einschätzung von Wilders PVV reicht von rechtsextrem bis nationalliberal.
    Es wäre gut, die vorhandenen großen Unterschiede zwischen diesen Gruppierungen herauszuarbeiten und sich nicht mit einem pauschalen Label zu begnügen.

  6. Marie sagt:

    @Marie und @Gast: Folge ich Ihren Ausführungen lande ich bei der These von der Kollektivschuld der Deutschen. Und so einfach möchte ich mir es dann doch nicht machen. (Zudem möchte ich Sie an die Ausführungen eines Eugen Dühring erinnern). Ihre Anführungen blenden die sozialen Vorzeichen völlig aus und konzentrieren sich auf administrative Massnahmen. Ich finde es schade, dass Sie keinen europäischen Blickwinkel einnehmen wollen, und in der deutschen Geschichte verharren.

    Ich kann Ihnen da nicht folgen – von der Kollektivschuld haben weder Gast noch ich etwas geschrieben. Auch die sozialen Vorzeichen ändern aber nichts daran, dass Hitler unter den Deutschen eine breite Zustimmung erhielt. Inwiefern Ihr Blickwinkel „europäisch“ sein soll, bleibt mir unverständlich, ebenso Ihr Hinweis auf den Rassisten Eugen Dühring. Ich blende auch die sozialen Vorzeichen in keiner Weise aus – ich wende mich allerdings gegen die Behauptung, „militante Kampfgruppen“ hätten einen Führer herbei provoziert. Diese Aussage halte ich ebenso, wie Gast, schon fast für eine Geschichtsklitterung.

  7. aloo masala sagt:

    Marie schreibt:

    „Das waren keine Kampfgruppen, das war die breite bürgerliche Mehrheit.“

    Zunächst einmal schließen sich die Thesen von Kampfgruppen und Mehrheit nicht einander aus.

    Davon abgesehen ist die Aussage, dass „es die bürgerliche Mehrheit war“ falsch. Die überwiegende Mehrheit der Deutschen stimmte gegen Hitler (siehe auch Sebastian Hafner). Die „bürgerliche Mehrheit“ kann also nicht Hitler an die Macht provoziert haben.

  8. Marie sagt:

    Schön, dass Sie es mal wieder besser wissen, Frau oder Herr Masala,

    aber es bleibt nun einmal ein Fakt, dass bei der letzten freien Reichstagswahl am 5. März 1933 43,9 % die NSDAP gewählt haben. Zusammen mit der faschistischen KSWR (Kampffront Schwarz-Weiß-Rot), die mit der NSDAP koalierte (DNVP, Stahlhelm und Landbund) erreichten die Faschisten eine Mehrheit von 51,9 %.

    Am 12.11.1933, als nur noch die NSDAP-Einheitsliste zur Wahl antrat, stimmten mehr als 92 % für die NSDAP – „Der Historiker Hans-Ulrich Wehler geht davon aus, dass wegen des Fehlens einer systematischen Wahlbeeinflussung die Ergebnisse tatsächlich im Kern die Zustimmung eines großen Teils der Bevölkerung zum Regime widerspiegelten.“ (Wikipedia)
    Sämtliche bürgerlichen Parteien mit Ausnahme der SPD (die Kommunisten waren da schon verboten) stimmten dem Ermächtigungsgesetz zur Einführung der NS-Diktatur zu und nach der Machtergreifung konnte sich die NSDAP vor Mitgliedsanträgen kaum retten – zeitweise wurden von der NSDAP sogar Aufnahmesperren für eintrittswillige Deutsche verhängt.

    Sämtliche Volksbefragungen ergaben sehr hohe Zustimmungsraten, so stimmten beispielsweise 1934 89,93 % der Installation des Führers Adolf Hitler zu, der Zusammenlegung der Ämter Reichskanzler und Reichspräsident. Nur 10,7% stimmten dagegen – zur Zustimmung war niemand gezwungen – das belegen zweifelsfrei die Neinstimmen.

    Ich könnte hier noch viel mehr erzählen, aber ich denke, das genügt, um Ihre unverfrorene Geschichtsverfälschung zu widerlegen. Nach dem Inhalt Ihrer Beiträge, durch die sich wie ein roter Faden die Verteidigung der mit Verlaub rassistischen PI-Fraktion und ihrer Sympathisanten zieht und in denen Sie sich gar zu Rassismusvorwürfen gegenüber antifaschistischen und antirassistischen Kritikern derselben versteigen, halte ich Sie für ein Mitglied derselben.

  9. Lionel sagt:

    Ihre bodenlose Unverschämtheit, mit der Sie den User aloo masala (mit dem ich mir einige sehr harte Duelle geliefert habe) in eine Nazi-Ecke drängen, ist nur noch widerlich.
    Fairness scheint Ihnen ihm Gegensatz zu alooo masala völlig unbekannt zu sein.

  10. Alpay Yalcin sagt:

    Die „grandiose“ Zustimmung (+10,8% gegenüber 1932) für die NSDAP wollte ich mit dem besagten Satz unterstreichen. Die historischen Umstände vor den Wahlen sind allseits bekannt. Es ging mir mit besagtem Satz um eine Interpretation hinsichtlich des Empfindens innerhalb der Bevölkerung. Ähnlich wie die Diskussionsparteien hier, schienen die Positionen unüberbrückbar.

    Weiterhin traten die Faschisten als „Aufwerter“ des gebrochenen Nationalgefühls bzw. des Patriotismus auf. Ähnlich appellieren manche Gruppierungen heute an dieses Gefühl („Zurück zur DM“, Wir sind die Zahlmeister, Retter Europas, die Anderen sind Undankbar etc.). Unverschämt und gefährlich finde ich es zu verschweigen, dass die Unsummen die hier verschoben werden, Banken zugute kommen, und nichts mit (Sozial-, Schulden-)Transfers an die Bürgerschaft in den jeweiligen Ländern zu tun haben. Auch sollte nicht vergessen werden, dass ein Teil der geistigen und ökonomischen Elite (inklusive der deutschen Medienlandschaft) der Diktatur zur Macht verhalfen. Der Begriff militante Kampfgruppen soll zusätzlich diese Trennung von politischer Arbeit und gesellschaftlichem Diskurs aufzeigen.

    Der besagte Satz will schlussendlich darauf hindeuten, dass eine emotionalisierte Politik in die Diktatur geführt hat. Dass die Bevölkerung eine Manövriermasse für politische Einpeitscher darstellt ist für mich eine Lehre aus diesen Vorgängen. Und genau auf diesen Umstand wollte ich mit dem Satz hinweisen. Sachlichkeit hat nicht unbedingt etwas mit Faktizität zu tun, sondern mit dem Habitus, mit welcher ein Vorgang betrachtet wird.