Kritik und Gewalt
Sarrazin-Debatte, Islamkritik und Terror in der Einwanderungsgesellschaft
Das neue Buch von Prof. Klaus J. Bade wurde am 19. März offiziell vorgestellt. Neben namhaften Gästen aus der Politik war auch Dr. Naika Foroutan dabei. In einer Rede fasste sie zusammen, was das Buch auszeichnet. Das MiGAZIN dokumentiert ihre Rede im Wortlaut:
Von Naika Foroutan Mittwoch, 27.03.2013, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 02.04.2013, 7:15 Uhr Lesedauer: 11 Minuten |
Verehrter, lieber Klaus Bade,
sehr geehrte Damen und Herren,
wir alle sind heute Abend hier, weil Klaus Bade ein Buch geschrieben hat, ca. ein halbes Jahr nachdem er sich als Vorsitzender des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration mit den Worten verabschiedet hat: „Ich jedenfalls werde meinen Kampf auch an dieser schmutzigen und gefährlichen Front weiter fortsetzen“. Letztes Jahr im Juli 2012 hat er dies angekündigt – 9 Monate später im März 2013 liegt ein Buch auf dem Tisch. Eine erfreuliche Geburt.
„Kritik und Gewalt“ heißt sein Buch, wie wir in den vergangenen Tagen in zahlreichen Rezensionen und Hintergrundberichten von SPIEGEL über Tagesspiegel bis zur Süddeutschen Zeitung lesen konnten. „Sarrazin-Debatte, ‚Islamkritik‘ und Terror in der Einwanderungsgesellschaft“ werden darin behandelt.
„Kritik und Gewalt“ – es hätte auch „Gewalt und Kritik der Gewalt“ heißen können – denn genau darum geht es Klaus Bade hier: Die Gewalt aufzuzeigen, wie sie in den Diskursen und Debatten um Islam und Muslime in Deutschland zunimmt, woher sie kommt, wie sie in die Mitte der Gesellschaft kriecht und was sie mit den Personen macht, die es wagen, sich dieser Gewalt in den Weg zu stellen. Und er zeigt auf, wie und warum man diese Gewalt kritisieren sollte. Deutlich und klar und nicht akademisch versteckt!
Zuallererst möchte ich Klaus Bade für dieses Buch danken, weil er sich als einer der renommiertesten Wissenschaftler und Experten zu Fragen von Migration und Integration einmischt, in eine Gewalt-Debatte, die viele Menschen in dieser Gesellschaft täglich einschüchtert und verstummen lässt. Besonders jene, die die breitflächiger werdende verbale Gewalt kritisieren – ganz gleich welchen Hintergrund, welchen Rang und welche Stellung sie in der Gesellschaft haben. Ob Jurist, ob Polizist, ob Wissenschaftler, Bundespräsident oder Bloggerin, ob muslimisch oder nicht: Dem Kritiker wird über unterschiedliche Wege Gewalt angetan, er wird diffamiert, diskreditiert, unglaubwürdig gemacht, seine Privatsphäre wird recherchiert und im öffentlichen Raum platziert, seine Adresse mit Aufforderungen zur Einschüchterung im Netz verbreitet. Es dauert nicht lange nach einer Kritik und es springen die sogenannten Islamkritiker auf. Die Publizisten aus der Mitte der Gesellschaft übernehmen das gesäte Giftkorn und formulieren einen Anfangsverdacht, der sich dann zersetzend verselbständigt. Und man kann nur noch verdachtsunabhängig agieren vor jenen, die diese Maschinerie kennen. Alle anderen, die die Hintergründe dieser Agitationsmaschinerie, wie Klaus Bade sie beschreibt, nicht kennen, treten dem Kritiker gegenüber mit mindestens einem Minimalmisstrauen, der dem Sprichwort entspringt: „Wo viel Rauch ist, ist auch viel Feuer“. Am Ende ist man hilflos, sich selbst erklärend in einer Dauerverteidigungs-position und hat seine Ehre verloren, wie Katharina Blum.
Wortmächtig und wirkmächtig beschreibt Klaus Bade den Weg der Gewalt in seinem Buch: Ihre Träger, ihre konsumierbar gemachte und portionierte Argumentationsstruktur und ihre Ziele. Das Buch ist als ein – auf wissenschaftlicher Analyse basierender – impulsgebender Debatten-Beitrag zu verstehen. Schon zu Beginn der politischen Diskussionen um die Zugehörigkeit von Einwanderern zu Deutschland Ende der 1970er und 1980er Jahren gehörte Klaus Bade zu den Ersten, die Antworten auf integrationspolitische Fragen gaben, die zum damaligen Zeitpunkt noch keiner zu stellen vermochte.
In der Einleitung zu seinem Buch nimmt Klaus Bade diese Zeit auf und beschreibt ausführlich das politische und gesellschaftliche Hadern in Deutschland mit der nach Jahrzehnten der Zuwanderung formulierten Erkenntnis, ein Einwanderungsland geworden zu sein. „Die Bürgergesellschaften des 20. Jahrhunderts haben sich seit dem späten 20. Jahrhundert zumeist in Einwanderungsgesellschaften gewandelt. (…) Ihre Basis ist das Grundvertrauen zwischen Mehrheits- und Einwanderungsbevölkerung“, sagt er. (S.17) Was aber, wenn diese Vertrauensbasis jahrzehntelang durch die – ich zitiere – „(…) sozial aggressiven und kulturrassistischen ‚Ausländerdiskussionen‘ zu Wahlkampfzeiten, durch die Agitation populistischer Politiker und Publizisten“ (S.21) – Zitat Ende – in Frage gestellt wird? Dann kommt es zu einer manifesten Wahrnehmung von „gescheiterter Integration“ (S.27), die sich zunehmend in einer Islamisierung der Integrationsdebatte auf die größte religiöse Minderheit in diesem Lande stützt: auf ‚die Muslime‘.
Durch die Ausgrenzung der in Deutschland lebenden Muslime als gesellschaftliche Minderheit erfährt die Mehrheitsbevölkerung, so Klaus Bade, eine Selbstvergewisserung ihrer Identität, die sie im Zuge des Wandels in eine Einwanderungsgesellschaft zunehmend aufweichen sieht. Bade beschreibt dies als negative Integration: Anstatt eine nötige gesamtgesellschaftliche Debatte über die neue Identität einer pluralen und zukunfts-orientierten Einwanderungsgesellschaft zu führen, ist eine Ersatzdebatte entbrannt, die starke gesellschaftliche Spannungen und antidemokratische Impulse mit sich führt. Der Islam ist eine Art Projektionsfläche geworden für gesamtgesellschaftliche Fragestellungen, die nicht behandelt werden.
Im 2. Kapitel des Buches erläutert Klaus Bade, wie diese bereits bestehende Anti-Islam-Rhetorik durch das Buch Thilo Sarrazins im Jahr 2010 in einer breiten Debatte mediale Sättigung erfuhr. Er beschreibt Sarrazins Rhetorik der Verachtung, seine kulturrassistischen Argumen-tationsformen und verweist auf zahlreiche Wegbegleiter und Kritiker, von Heiner Geißler über Thomas de Maizière bis hin zu Maria Böhmer und Barbara John. Klaus Bade hat hier zu Person und Position des Autors ausführlich recherchiert und kommt zu dem Schluss – ich zitiere – „Hinter all dem steht ein hochkonservatives, ahistorisches und statisches, zugleich stark biologistisches und sozialtechnologisches Kultur- und Gesellschafts-verständnis.“ (S.63)
Im 3. Kapitel beschreibt Bade den Einfluss, den die Argumentation und Rhetorik der sogenannten ‚Islamkritiker‘ auf die Debatte ausübt. Das Einsickern dieser pauschal abwertenden, den Islam als einziges Dogma erklärenden Diskurse, die von Intellektuellen geführt werden über die Medien in die Mitte der Bevölkerung. Bade beschreibt, dass die ‚Islam-kritik‘ zwischen zwei Polen oszilliert: der Islamkritik im Sinne einer friedlichen Auseinandersetzung mit religiösen Inhalten und der aggressiven, diffamierenden islamfeindlichen Agitation.
Im nachfolgenden Kapitel 4 widmet sich Klaus Bade den Personen, die hinter dieser sogenannten Islamkritik stehen, und fokussiert sich hier vor allem auf Necla Kelek als treibende Kraft und ethnische Kronzeugin. In einer in der Süddeutschen Zeitung erschienenen Vorabrezension von Bades Buch „Kritik und Gewalt“ schrieb der Journalist Roland Preuss: „Der Schrecken und der Ekel, den die Debatte bei dem Wissenschaftler hinterlassen hat, ist ihm deutlich anzumerken. Der wissenschaftliche Stil ist immer wieder angereichert durch in Sprache gekleideten Zorn.“ Dass Klaus Bade sich in der Sarrazin-Debatte öffentlich zu Wort meldete, brachte ihm verbale Gewaltattacken des von ihm in seinem Buch als „Agitationskartell“ bezeichneten Zirkels ein. So bezeichnete Necla Kelek ihn in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 2011 als „Generalsekretär“ eines „Politbüros“, womit der SVR gemeint war, und als einen, der nach „ideologischen Kriterien Politik mache“. Eine infame Strategie, wissenschaftliche Erkenntnisse als persönliche Manipulationen erscheinen zu lassen und somit allen, die analytisch differenziert mit empirischen Daten arbeiten, im Grunde genommen die wissenschaftliche Berechtigung zu entziehen. Diese Taktik erkennen natürlich jene, die mit Klaus Bade beruflich arbeiten und auch jene, die die gleichen Datensätze analysieren. Aber all die anderen Personen, die die FAZ lesen, die eben nicht mit diesem Berufsfeld zu tun haben, die Mediziner, Ökonomen, Juristen etc., diejenigen, die nicht diese konzertierte Agitation kennen und auch nicht die statistischen Daten und auch nicht wirklich wissen, wer Necla Kelek ist und die trotzdem Meinungshoheit besitzen und diese weitergeben, die bekommen durch einen solchen Artikel einen Zweifel eingesät, „ja, der Klaus Bade, der verfälscht vielleicht Ergebnisse“ – einen halben Hohn und ein selbstvergewisserndes Gefühl von „glaube keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast“. So werden die zentralen Ergebnisse des SVR dann angezweifelt und können in diesen Schichten ihre Wirkung nicht mehr entfalten. Aktuell Feuilleton
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