Österreichische Befindlichkeiten
Musliminnen in die Politik!
8. März – Internationaler Frauentag. Frauen gedenken und feiern Errungenschaften der Frauenbewegung. Dort und da werden Forderungen erhoben, hin und wieder ist er Anlass für kritische Reflexion. Aufbruchstimmung verbreiten junge Frauen, wie jene Muslimin, die sich als Politikerin versteht und im Gemeinderatswahlkampf in Wien erfolgreich war.
Von Helga Suleiman Dienstag, 26.03.2013, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 28.03.2013, 6:56 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
Es gibt zu wenige Frauen in der Politik. Frauen werden strukturell davon ferngehalten, sich einzubringen, das Wort zu ergreifen, offen Kritik zu äußern. In der offiziellen Parteienlandschaft dominieren Männerbünde und deren Seilschaften. Frauen werden nach wie vor Lückenfüllerfunktionen zugedacht, wofür sie sich dann speziell zu eignen haben. Wo sind die starken Worte weiblicher Politikerinnen?
Berühmte Frauen wie die Sozialdemokratin Johanna Dohnal, werden jährlich geehrt. Ihre Verehrerinnen wissen, dass die es lieber sehen würde, wenn Nachfolgerinnen gefeiert werden, anstatt ihrer selbst in Denkmalreden.
In den globalen Umbrüchen hat sich die Frauenbewegung verändert, wie alle politischen Basisbewegungen. Manche ihrer Aktivitäten waren über die Jahre zu seltsamen Pflichtübungen erstarrt; – das neoliberale Gift des Gender Mainstreaming lies Aktivistinnen erlahmen.
Für Wiederbelebung sorgen Schwarze Frauen, Migrantinnen, Musliminnen. Sie bringen Feuer in die Reihen der mehrheitsgesellschaftlich, mittelschichtig und eurozentrisch ausgerichteten Bewegung, die – spiegelbildlich zur patriarchalen Weltordnung- Ausgrenzung, Diskriminierung und Abwertung praktiziert. Afroamerikanische, arabische Wissenschafterinnen schufen über postcolonial studies und mit kritischer Weißseinsforschung neue Instrumente zu Analyse der Lage der Frauen weltweit und zu Entwicklung weiblicher Politikstrategien.
Muslimische Frauen halten Alice Schwarzer entgegen. Sie entlarven die Opfer-Stigmatisierung von Musliminnen als verzweifelten Versuch, die Frauenbewegung im deutschsprachigen Raum hinter eine kolonisatorisch-kriegerische EU-Politik zu scharen.
Sie sagen deutlich: Wir weisen die Zuschreibungen von Frau Schwarzer klar zurück! Sie hat keine Deutungsmacht über uns. Musliminnen halten nicht als Prellbock für die Definition feministischer Rollen und Einheitskonstruktionen her.
Musliminnen gehen ihren eigenen Weg und sie gehen auch in die Politik. So Gülsum Namaldi. Die 25-jährige Gemanistikstudentin kandidierte 2010 für die Sozialdemokratische Partei (SPÖ) bei der Wiener Gemeinderatswahl. An aussichtsloser Stelle gereiht, hat sie über einen sehr engagierten Vorzugsstimmenwahlkampf die höchste Anzahl an Stimmen errungen und wäre beinahe erste muslimische Gemeinderätin mit Kopftuch in Österreichs Bundeshauptstadt geworden.
Gülsum gehört zu einer neuen Generation von Frauen, die aus ihrem muslimischen und migrantischen Hintergrund Motivation gewinnen. Als ich Gülsum im November 2012 traf, interessierte mich, was sie dazu bewegt hat, politisch aktiv zu werden. Gülsums Hauptanliegen war, migrantischen Jugendlichen zu vermitteln „dass sie sich weder von ihrer Religion, noch von ihrem Ursprung, noch von den Werten, die sie vom Elternhaus mitbekommen haben lösen müssen, um ein Teil dieser Gesellschaft zu sein“.
Sie hat ein starkes Team von MitstreiterInnen um sich gesammelt und einen außerordentlich erfolgreichen Wahlkampf geführt. 5.000 zählten ihre UnterstützerInnen allein auf Facebook. Die Reaktionen der Jugendlichen auf ihre Kandidatur waren positiv, viele reagierten überrascht. Als sie Reden in der Öffentlichkeit hielt, wurde sie von jungen Musliminnen gefragt: „Darf man das überhaupt, mit Kopftuch in die Politik? Geht das überhaupt? Denn man darf ja nicht als Lehrerin arbeiten, man darf das nicht, man darf dies nicht…“ Gülsum stellte fest, wie groß die Unwissenheit über die eigenen Rechte unter den Jugendlichen ist.
Die Reaktionen von den mehr oder weniger Alteingesessenen waren weniger positiv. Gülsum sieht den Grund in den falschen Bildern über MuslimInnen/MigrantInnen, die medial in die Köpfe eingespeist werden und durch Männer wie Strache aus der rechten Freiheitlichen Partei (FPÖ) im Wahlkampf verstärkt propagiert werden.
Das Gegenmittel meint Gülsum, ist das Zusammenkommen. Wobei, „die Tische bei den Multikulti-Festen mit österreichischen Spezialitäten hier, mit orientalischen da, die einen sitzen dort, die anderen da – das ist nicht wirklich ein Zusammenkommen.“
Ihr geht es darum, dass ein echtes Zusammenleben möglich wird, in den Wohnräumen ebenso, wie in den Schulen und in der Öffentlichkeit. Auch von Seiten der MigrantInnen haben sich Einstellungen geändert. „Es spielt eine Rolle, dass die Generation vor uns mit dem Gedanken da war ‚Wir möchten wieder zurück. Das ist nicht unsere Heimat’. Mit der dritten, vierten Generation hat sich das geändert, denn diese Jugendlichen sehen Österreich einfach als ihre Heimat. Ich denke, die Gesellschaft wird mit diesen Jugendlichen sehen, dass Vielfalt zu Europa gehört: wir haben verschiedene Gesichter, Farben, Sprachen, Religionsbekenntnisse.“
Dass viel zu tun ist, weiß Gülsum. Auch in der Partei, für die sie kandidierte. „Wie überall, gab es auch in der Partei diejenigen, die gefragt haben ‚ Passt das überhaupt mit unseren Werten zusammen?’ und andere, die gesagt haben, ‚Wir sind offen, denn es gilt das Soziale zu betonen, und wenn sich jemand sozial für die Gesellschaft engagiert, dann ist er/sie willkommen’.“
Auch für sie selbst, war es keine einfache Entscheidung, sich den Diskussionen in Partei und Öffentlichkeit zu stellen. Aber sie war davon überzeugt, dass die Politik ein wichtiges Mittel ist, um die Gesellschaft zu verändern.
All die negativen Erlebnisse von Diskriminierung und Ausgrenzung haben sie bestärkt. „Es geht nicht, wenn ich etwas Diskriminierendes in der U-Bahn erlebe, nach Hause zu gehen und mich über diese Leute zu ärgern, wo ich weiß, tausenden Menschen passiert das selbe und ich bleib ruhig, bis das Nächste passiert.“
Gülsums und der Einsatz ihres Teams haben ihr bei der Wiener Gemeinderatswahl 5.600 Vorzugsstimmen gebracht. Sie war die stimmstärkste Politikerin der SPÖ, die durch ihre Kandidatur zweifelsohne unter MigrantInnen und MuslimInnen punkten konnte.
Trotzdem wurde Gülsum nicht Gemeinderätin. „Mein Eindruck war: Offenheit ist da, aber bis zu einer bestimmten Grenze. Eine Frau mit sichtbarem Bekenntnis zum Islam, es ist schön wenn sie sich einsetzt, was macht, aber dass sie gleich eine Gemeinderätin wird, war manchen auch zu viel…“
Diese leidvolle Erfahrung machte nicht nur Gülsum. Gerade in Gemeinderatswahlen gefällt es den Parteien, engagierte Menschen aus migrantischen Communities auf Listenplätze zu setzen. Das Kalkül ist taktisch. Hoffnungen werden geschürt, Versprechungen gemacht, die zahlreichen Stimmen eingeholt. Zuletzt ist, trotz vieler Vorzugsstimmen, für migrantische KandidatInnen kein Platz im Gemeinderat frei.
Wie fühlen sich die WahlkämpferInnen? Was sagen sie ihrer Community? Mit solcher Instrumentalisierung ist die offizielle Parteienpolitik für MigrantInnen unglaubwürdig.
Wie können Forderungen nach Partizipation ernst genommen werden, wenn sich dann diejenigen, die sich für Partizipation einsetzen, erst wieder hinten anstellen müssen? Wie können Postulate von sozialer Gerechtigkeit und Chancengleichheit für bare Münze enommen werden, wenn erst wieder ein Mehrheitsangehöriger auf den Sessel gehoben wird?
Hinter vorgehaltener Hand sagen sogar Leute aus den Parteien selbst, dass dann doch wieder alte Seilschaften die Schlinge um den Hals der Neuen gelegt haben;- um Liebkinder durchzusetzen. Die gehören selten zu den Geeigneteren, sondern sind vielmehr begünstigte Verwandte/Bekannte irgendwelcher Parteiaristokraten.
Zu Recht überlegen sich VertreterInnen benachteiligter Minderheiten eine Kandidatur sehr genau. Sie wollen nicht zu den Resignierten zählen, die sich nach völliger Verausgabung aus der Politik für immer verabschieden.
Zweifellos liegt die Arbeit der parteiinternen Systemreform wieder bei den AktivistInnen aus den Minderheitengruppen. Sie müssen Fehlläufe benennen, Strukturen aufbrechen, sich gegen den Mainstream durchsetzen. Sie sind die hart Arbeitenden, denen daran liegt, die „Herrschaft des Volkes“ zurückzugewinnen. Sie wollen das tun, was Demokratie ausmacht: mitbestimmen, gestalten, verändern.
Auch Gülsum Namaldi will genau das. Mit Rückgrat und kritischem Blick formuliert sie: „… Politik ist so wie eine Leiter, die man hochsteigt. Man beginnt sich einzusetzen, zu zeigen, ich bin ein Teil der Gesellschaft, ich möchte etwas verändern…also für mich ist jede/r, die den Weg der Politik wählt, um etwas zu verändern, besser zu machen, schon PolitikerIn. Es geht nicht nur darum, dass man in einem Parlament oder Gemeinderat drinnen sitzt und einen Titel bekommt. Wichtig ist, dass man, wenn man einmal auf der Leiter hochgeklettert ist, nicht auf der eroberten Sprosse wie einem Thron sitzt und ihn nicht mehr verlassen will, koste es was es wolle.“
In Österreichs Demokratie sind die Strukturen der Großparteien marode. Zu sehr verflochten in Interessensgemeinschaften, Männerbünden und einem unheilvollen Proporz, sind sie Teil des Problems und nicht Teil der Lösung.
Junge Frauen mit Idealen und Courage wollen politisch aktiv sein. Sie sind diejenigen, die Kraft haben, vorurteilsbeherrschte Bilder zu konterkarieren und sie sind diejenigen, die Ausgegrenzten Zuversicht und Hoffung geben.
Gülsums Botschaft beim Gemeinderatswahlkampf in Wien 2010 ist bei den Jugendlichen mit Migrationshintergrund angekommen: „Du bist Teil dieser Gesellschaft.“ Sie hält an ihrer Überzeugung fest: „Es wird Zeit, dass sich Jugendliche mit Migrationshintergrund als Österreicherinnen und Österreicher sehen. Ich denke, Politik ist ein guter Rahmen, um das zu ermöglichen.“
Schön, dass es junge Frauen wie Gülsum gibt. Ihr Engagement fordert Bestätigung und Solidarität. Fühlen sich die Verehrerinnen von Johanna Dohnal dafür zuständig? Als es darum ging, Gülsum in ihrem Wahlkampf den Rücken zu stärken, hörte frau von ihnen nichts… Aktuell Meinung
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Liebe Verfasserin! Ich möchte Ihnen zu diesem kritischen Artikel, den ich mit großem Interesse gelesen habe, gratulieren. Sie haben mir aus der Seele gesprochen. Wie Sie schon erwähnt haben, ist es leider so, dass Musliminnen in der österreichischen Politik nicht oder kaum vertreten sind. Ich denke, dass Österreich noch ungfähr 20 Jahre braucht, bis Frauen ungeachtet ihres Kopftuchs in wichtigen Positionen tätig sein dürfen, geschweige denn in der Politik. Außerdem ist es schade, dass Frau Namaldi trotz ihrer 5000 Stimmen nicht in den Gemeinderat einziehen darf.
Unterstützung vom feministischen Lager darf sich Frau Namaldi jedoch nicht erhoffen, denn schließlich weigert sich eine Mehrheit von Damen darin Frauen mit Kopftuch überhaupt als „frei“ anzuerkennen.
Bei mir ist Frau Namaldis Botschaft schon längst angekommen und ich werde sie in Ihrem Bestreben um politische Partizipation gerne unterstützen.
Ich finde das Engagement von Gülsum Namaldi wunderbar! Danke, dass Sie einen Blick auf Ihre Geschichte geworfen haben. InschAllah finden noch mehr Migrantinnen Mut, sich politisch für Gesellschaftveränderung einzusetzen. Enttäuschend (oder doch bezeichnend) für die SPÖ, dass sie trotz ihrer vielen Vorzugsstimmen nicht in die Gemeinderat einziehen durfte. Entweder verfügen weibliche Parteimitglieder nicht über Mechanismen der gegenseitigen Unterstützung, um sich ausreichend Platz in der Sozialdemokratie zu erobern, und benutzen selbst lieber als Einzelkämpferinnen männliche Seilschaften, um die Karriereleiter hochzuklettern ODER etablierte sozialdemokratische Frauen sichern sich die Pfründe, um die Fremde, die Andere – in diesem Fall eine kopftuchtragende Muslima – auszugrenzen. Auf jeden Fall beschämend, wie es um die Frauensolidarität bestellt ist.
Respekt, Frau Namaldi..