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Aufnahme syrischer Flüchtlinge

Religion darf kein Kriterium sein

Flüchtlinge aus Syrien sollten in Deutschland und Europa aufgrund ihrer individuellen Schutzbedürftigkeit und unabhängig von ihrer Konfession aufgenommen werden. Ein Aufnahmeangebot lediglich für Christen würde diese im multi-konfessionellen Syrien nur in Bedrängnis bringen und ein falsches Signal an die arabische Welt senden, meint Petra Becker.

Von Petra Becker Montag, 25.03.2013, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 27.03.2013, 0:33 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die syrische Bevölkerung besteht aus einer Vielzahl von religiösen und ethnischen Gruppen. Der Anteil der Sunniten wird gemeinhin auf 70% geschätzt. Homogen ist diese Gruppe aber nicht, denn es gibt neben den arabisch-stämmigen Sunniten auch solche kurdischer, tscherkessischer oder turkmenischer Volkszugehörigkeit. Zusammen mit den Christen verschiedener Konfessionen zählen auch die Schiiten, Drusen, Ismailiten, Yeziden zu den religiösen Minderheiten. Zudem sind die Alawiten, zu denen der Clan des Präsidenten Baschar al-Assad gehört, ebenso eine Minderheit, aus der sich aber ein wesentlicher Teil der politischen Elite rekrutiert. Insgesamt werden die religiösen Minderheiten auf ca. 30% und die Christen auf ca. 12% der Bevölkerung geschätzt. Unter den Christen wiederum gibt es Armenier, Assyrer und Aramäer.

Die Christen – in ihrer Mehrheit Anhänger des orthodoxen Ritus – sind originärer Bestandteil der syrischen Bevölkerung. Im Gegensatz zu anderen Gruppen, etwa den Kurden, wurden sie bislang in Syrien weder politisch, gesellschaftlich noch wirtschaftlich benachteiligt und können ihre Religion frei ausüben. Ein zusammenhängendes Siedlungsgebiet haben sie nicht. Vielmehr leben Christen in den großen Städten und es finden sich christliche Dörfer und Gemeinden im ganzen Land, etwa im Damaskus und Aleppo, im Küstengebirge, im kurdisch dominierten Nordosten, in Mittelsyrien und im südsyrischen Hauran.

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Die Christen im Bürgerkrieg
Im gegenwärtigen Konflikt hat das Assad-Regime versucht, die Christen, ebenso wie die anderen Minderheiten, an sich zu binden, indem es ihnen suggeriert hat, dass es sich bei der Protestbewegung um einen vom Ausland gesteuerten Aufstand salafistischer Gruppen handele. Deren Ziel wäre es, in Syrien einen islamischen Gottesstaat zu errichten, das jetzige Regime aber sei der Garant der Sicherheit der Minderheiten im Land.

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Viele Christen haben diese Sichtweise übernommen. Insbesondere das städtische, christliche Bürgertum ist gegenüber den Aufständischen äußerst misstrauisch – ebenso wie das sunnitische Bürgertum. Hinzu kommt, dass das Regime den Klerus gleichgeschaltet hat.

Andererseits sind die christlichen Bewohner von Dörfern im Hauran oder in der Umgebung von Homs mit den Revolutionären übereingekommen, sich zwar nicht an den Protesten zu beteiligen, die Aufständischen aber auch nicht an das Regime zu verraten. In manchen Orten haben sich Christen allerdings an den Demonstrationen beteiligt. Viele christliche Jugendliche etwa sind in den Netzwerken der lokalen Revolutionskomitees aktiv.

Letztlich lässt sich die politische Einstellung nicht an der Religionszugehörigkeit oder Konfession festmachen: Der bei dem Anschlag auf die Köpfe der syrischen Sicherheitsorganisationen im Juli 2012 ermordete Verteidigungsminister Daoud Rajiha war ebenso Christ wie der bekannte Oppositionelle Michel Kilo oder der jüngst zum Vorsitzenden des oppositionellen Nationalrats gewählte George Sabra.

Auch wenn es Bombenanschläge auf Kirchen und in christlichen Wohnvierteln gegeben hat: Christen sind bislang nicht Opfer gezielter Verfolgung von Seiten der Aufständischen. Christen in Syrien leiden vielmehr wie Angehörige anderer Konfessionen vor allem unter der brutalen Gewalt, die das Regime einsetzt, um den Aufstand zu bekämpfen.

Durch eine exklusive Aufnahme von Christen würden Europa und Deutschland der arabischen Welt signalisieren, dass sie die Christen nicht als originären Bestandteil ihrer Gesellschaften begreifen. Dadurch könnten diese in eine prekäre Lage gebracht werden, anstatt dass ihnen geholfen wird. Dies ist zumindest die Furcht syrischer Christen, die man ernst nehmen sollte. Zudem würde der Westen dann selbst den Konfessionalismus praktizieren, den man in Syrien kritisiert.

Viele Menschen in Syrien und insbesondere Angehörige der Minderheiten fürchten sich davor, nach einem etwaigen Sturz des Assad-Regimes Racheakten ausgesetzt zu sein. Die Aufständischen könnten sie kollektiv für die Gräueltaten des Regimes verantwortlich machen. Auch haben sie Sorge, dass aus der Revolution ein neues despotisches Regime islamistischer Prägung entstehen könnte, in dem die Religionsfreiheit nicht mehr gewährleistet wäre.

Will man von außerhalb des Landes neuem Unrecht vorbeugen helfen, gilt es jene Regimegegner, die nach wie vor an ihren Forderungen nach Demokratie und Pluralismus festhalten, zu stärken. Ein Schritt in diese Richtung wäre, dass möglichst viele westliche Staaten das neu geschmiedete Oppositionsbündnis, die »Nationale Koalition«, als einzige legitime Vertreterin des syrischen Volkes anerkennen. Denn, soweit von externen Beobachtern zu erkennen ist, bemüht sich dieses Bündnis wie die Revolutionskomitees vor Ort nach Kräften darum, die verschiedenen Bevölkerungsgruppen in die Pläne für ein neues Syrien zu integrieren.

Flankiert werden müsste diese Anerkennung – neben der Ausweitung der Unterstützung für Aufnahmeländer in der Region und Aufnahme von Kontingentflüchtlingen in Europa – durch die Bereitstellung von Mitteln, die das breite Oppositionsbündnis in die Lage versetzen, seinerseits humanitäre Hilfe im Inland zu leisten und damit zu verhindern, dass sich die Menschen den radikalen Gruppen zuwenden. Aktuell Meinung

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  1. Soli sagt:

    Sehr geehrte Frau Becker,

    ihre Annahmen teilen viele nicht, auch ausgewiesen Experten sehen die Situation für die syrischen Christen als schwierig an, sollten die Aufständischen den Sturz der Regierung schaffen.

    http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/interview/1870529/

    Die meisten Experten sehen/sahen Syrien als einen der wenigen „sicheren Horte“ für Christen in einer muslimisch geprägten Umgebung. Das könnte sich schnell ändern.

  2. Mathis sagt:

    Das Problem ist nicht, dass der Westen die Christen nicht als „originären Bestandteil“ der syrischen Bevölkerung begreifen könnte, sondern dass die Christen in Syrien von der muslimischen Mehrheit nicht als originär dazugehörig verstanden werden könnten, wenn es darum geht, Sündenböcke auszumachen und zu finden.In der gesamten Region wird uns das doch anschaulich demonstriert.Darum bin ich absolut dafür, dass den Christen, die dies wünschen, eine Aufnahme bevorzugt ermöglicht wird, da sie, wie im Artikel ja richtig dargelegt, keinerlei „rückzugsfähiges“ Gebiet für sich beanspruchen könnten.

  3. Zwischen Petra Beckers Ausführungen und den Anmerkungen von „Mathis“ und „Soli“ bzw. dem von ihm erwähnten Experten, sehe ich keine grundsätzlichen Gegensätze. Frau Becker hat sich gegen „eine exklusive Aufnahme von Christen“ gewandt. Wenn man ihrer Überlegung folgt und Flüchtlinge, die es ja erst einmal ins Ausland geschafft haben müssen, religionsunabhängig aufnimmt, könnte sich trotzdem ein überproportional hoher Anteil von ChristInnen ergeben. Aber warum sollte man NichtchristInnen trotz gleicher Verfolgung und Lebensgefahr abweisen? Darauf würde „exklusiv“ doch hinauslaufen.

    Letztlich wird es später davon abhängen, wieviele in ein irgendwann befriedetes Syrien zurückkehren, ob sich die Aufnahme der Flüchtlinge unterm Strich als Christenrettung darstellen wird. Aus dem Irak hörte man ähnlich warnende Meldungen, aber der von Soli erwähnte Esperte, Jochen Langer von der IGFM, antwortete im verlinkten Interview:

    „Ja, im Irak zum Beispiel hat es ernsthafte Bemühungen gegeben, den Dialog zwischen den verschiedenen Christen, aber auch den Dialog zwischen den Christen und den Muslimen zu fördern. Und es hat dafür ein paar positive Ereignisse gegeben, die zu Hoffnungen Anlass geben.“

    Da bin ich nicht nur angenehm überrascht, ich deute es auch eher als Bestätigung Petra Beckers denn als Widerspruch zu ihrer Stellungnahme.

  4. Harald S. sagt:

    Unfassbare Ignoranz. Da gab es also Bombenanschläge auf Kirchen und in christlichen Wohnvierteln. Aber eine Petra Becker zieht daraus den Schluss, dass es keine Christenverfolgung gäbe.

    Man stelle sich nur einmal vor: In irgendeinem Land würden Bombenanschläge auf jüdische Synagogen und auf jüdische wohnviertel verübt. Und dann käme eine Petra Becker daher und würde behaupten, das sei überhaupt kein Ausdruck einer Judenverfolgung. Und die betroffenene Juden dürften kein bevorzugtes Asyl bekommen in Deutschland, da solch ein Asyl den Bombenlegern doch nur signalisieren würde, die Juden wären kein originärer Bestandteil ihrer Gesellschaft.

    Merkt überhaupt noch einer, was das für Menschen sind, die den Deutschen Bundestag und die Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik beraten?

  5. Soli sagt:

    Sie liegt z.B. darin falsch dass man das „Nationalkommitee“ als Stimme des syrischen Volkes anerkennen sollte.
    Durch keine legitime Wahl entstanden, finanziert größtenteils von Katar und durchsetzt von Islamisten – gerade auch durch die Wahl von „Hitto“ (Muslimbrüder).

    Das kann doch keiner wollen? Chatib hat ja zumindest versucht mit dem Regime zu reden um eine schnelle – und friedlichere – Lösung zu verhandeln. Das scheint Katar ja nicht gewollt zu haben dass sich durch Waffenlieferungen Einfluß im Nationalkommitee erkauft hat.

  6. Marie sagt:

    Frau Becker hat völlig recht. Im Übrigen ist Ihr Beitrag; Herr Harald S. nicht nur in keiner Weise sachlich, sondern in Wortwahl und Stil m.E.aggressiv abwertend und herablassend gegenüber der Verfasserin. Bombenanschläge gab und gibt es nicht nur auf christliche Wohnviertel und die Situation könnte sich auch für die anderen Minderheiten rasch ändern. Selbstverständlich müssen auch Nichtchristinnen und Nichtchristen in vergleichbarer Notlage in gleicher Weise aufgenommen werden.

  7. F. Sommer sagt:

    Was spricht eigentlich dagegen, dass es sich tatsächlich um einen vom Ausland (Katar, Saudi-Arabien, evtl. Türkei) gesteuerten und finanzierten Aufstand salafistischer Gruppen handelt? Folgt man dem alten journalistischem Grundsatz, die Geldströme und Waffenlieferungen zu analysieren, kann man zumindest seit dem Zeitpunkt der Eskalation des Bürgerkrieges doch zu keinem anderen Ergebniss kommen. Hier kommen noch die Ströme an ausländischen Kämpfern hinzu – Hisbolla auf der einen und lybische Söldner, Tschetschenen und Salafisten aus der ganzen Welt auf der anderen Seite. Es handelt sich doch mittlerweile um einen klassischen Stellvertreterkrieg. Wenn man Assad weg haben will, braucht man einen säkularen Plan B und sollte gleich den Regimwechsel in Saudi Arabien mit anstreben.