Critical und Incorrect

Rassismuskritik unerwünscht

Es passt wohl in den Zeitgeist der sarrazinesk verhetzten Gesellschaft, dass Rassismus nicht mehr Rassismus, sondern freie Meinungsäußerung ist.

Von Dienstag, 05.02.2013, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 08.02.2013, 2:16 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Unter dem Label der Presse- und Meinungsfreiheit wird gerade wieder vehement verteidigt, was Historiker, Pädagogen und Linguisten seit Jahrzehnten als Problem anprangern: Das Weitergeben rassistischer Stereotype und Vorurteile mittels Text an die nächste Generation. Auch die Minderbewertung von Frauen in Märchen und Kinderbüchern hat eine lange Tradition, worüber auch Ronjas und Pippis als Ausnahmefiguren, die ja die Regel bestätigen, nicht hinwegtäuschen können. Ja, und ausgerechnet Pippi ist nun rassistisch. Warum aber sollte Astrid Lindgren eine Ausnahme bilden? Steht doch auch sie – wie wir alle – in einer Tradition des Redens und Schreibens über „die Anderen“.

Und die Anderen sind nicht immer unbedingt schwarz, weshalb die Reduktion der Debatte auf das N-Wort und überhaupt die Reduktion auf einzelne Wortklaubereien zu kurz greift. Man kann auch politisch korrekt unter Verwendung der Bezeichnung „Schwarzer“ rassistische Stereotype verbreiten, wenn man nämlich Schwarze verallgemeinert und „ihnen“ irgendwelche spezifischen Eigenschaften andichtet. Es hat auch unseren Asylbewerbern nicht geholfen, dass sie nicht mehr „Asylanten“ heißen sollen, wenn man sie weiterhin systematisch strukturell und sprachlich ausgrenzt und „ihnen“ ganz allgemein „Einwanderung in die Sozialsysteme“ unterstellt.

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Nun machen sich die Feuilletons und Meinungsspalten der sog. Qualitätsmedien ebenso über derlei Ausführungen her, wie der breite Boulevard. Welch ein einheitlicher Konsens, wenn es darum geht, sich in Sachen Rassismus bloß nicht den Mund verbieten zu lassen. Angeblich fürchtet man um den Humor, die Sprache an sich, die man sich offensichtlich nicht ohne Rassismen vorstellen mag, und um die Klassiker der Kinderliteratur, an deren Text auf keinen Fall gemäkelt werden dürfe. Ja, man unkt und warnt davor, zum Kulturgut gewordene Texte zu kritisieren, weil das einer Aufforderung gleich käme, diese gar umzuschreiben. Wie schrecklich! Das geht doch nicht, dass man Liebgewonnenes bemängelt. Und was, wenn jemand auf die Idee käme, der schäumende Kolumnist kämpfe gerade darum, nicht selbst als Rassist entlarvt zu werden, weil ihm die Stereotype bis dato einfach nicht auffallen wollten? Die kollektive Zuweisung von Eigenschaften kann man sprachlich und auch bildlich auf so viele Weise erreichen, dass nicht wenige der Komplexität der Aufgabenstellung ausweichen möchten.

In die Tonne kloppen soll man also hingegen Klassiker wie die Habilitationsschrift von Jörg Becker unter dem Titel „Alltäglicher Rassismus“, welche bereits 1977 vorlegt, wie es um die deutsche Literaturerziehung der nächsten Generation steht. Auch das Fazit der Autoren um Wolfgang Benz vom Zentrum für Antisemitismusforschung in ihrem Band von 2010, „Vorurteile in der Kinder- und Jugendliteratur“, soll nun nicht mehr zum Nachdenken anregen? Macht ja nichts, dass es nachweist, dass auch in so mancher hochgelobter Schullektüre die Kolportierung rassistischer und antisemitischer Stereotype gang und gäbe ist. Bewusstseinsprozesse unerwünscht? Soll alles so bleiben, wie es ist? Weil es ja Rassismus nur in der Phantasie einiger Wissenschaftler und „Ausländer“ gibt, die damit die Gesellschaft belästigen?

Die Verteidiger des Rassismus werden sich fragen lassen müssen, was sie als Alternative vorschlagen, wenn sie hier so vehement für den Erhalt und damit die unreflektierte Weitergabe von jahrhundertealter Menschenverachtung eintreten. Zukunftsorientiert ist das nicht – und das ausgerechnet von Leuten, die so gerne anderen Kulturen empfehlen, sich der Aufklärung und der Moderne zuzuwenden. Vielleicht allerhöchste Zeit, die Verteidigung des Mittelalters zwischen Buchdeckeln oder weit darüber hinaus zu überdenken! Aktuell Meinung

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  1. Fili Buster sagt:

    Vielen Dank für den Artikel! Rassismuskritik mag unerwünscht sein, aber unerlässlich für den Umbau der deutschen Gesellschaft – auch wenn es noch viele gibt, die das nicht sehen wollen.

  2. Wolfram Obermanns sagt:

    Man wird beim Artikel und bei einigen Leserbeiträgen den Eindruck nicht los, daß zwar Rassimsuskritik gefordert wird, eine Kritik der Kritik aber als auf jeden Fall rassistisch eingeschätzt wird.
    Dumm nur, daß eine Kritik die selbst jeder Kritik entzogen ist, gar keine Kritik ist, sondern ein Dogma.

  3. Gast sagt:

    Ein super Kommentar von Frau Dr. Schiffer!
    Ich freue mich sehr über so klar formulierte Ansagen gegen Rassismus. Packen wir es gemeinsam an :-)

  4. Frank Poschau sagt:

    Mama warum bin ich anders?

    Mein Kind, weil die anderen dich so sehen,
    nicht in dich, flüchtig, fremd, ängstlich.
    Angst teilen müssen, nicht gestehen,
    Fremde nur zum Dienen, gespenstisch.

    Wir sind geflohen, Tod, eingedrungen,
    Hautfarbe, Sprache zum Makel.
    Unser hier ihnen aufgezwungen,
    wir bettelnd, ihr Ehr, ihr Spektakel.

    Ihr Wohlstand, Überfluss, uns beraubt,
    ihre Waffen schossen Vater nieder.
    Mitleid, Spenden in Billigkeit verstaut,
    kamen Peiniger, Schiffe immer wieder.

    Nur hier sehen wollen sie dich nicht,
    Mensch wird erst durch ihre Geburt.
    Hier geboren schauend ins Licht,
    du im Sand, mit Ihnen gehurt.

    Er kam als Tourist, weil ich billig bin,
    wir hunger hatten, wir allein.
    Hilfsorganisationen mittendrin,
    am Strand, im Dreck, auf einem Stein.

    Nur sehen will er dich nicht,
    singt im Kirchenchor, hat die Seinen.
    Weit weg fällt Trauer nicht ins Gewicht,
    hier fickt er im Bett, nicht auf Steinen.

    Du bist nicht anders, eher besonders,
    du weißt um die Fremde, die Einfachheit.
    Wer schaut, nicht fragt, die tun das,
    was dich bewegt, in Erinnerung bleibt.
    Frank Poschau
    28.08.12
    http://www.frank-poschau.jimdo.com

  5. Cengiz K sagt:

    Ich finde den Beitrag von Frau Schiffer auch gut! mehr kann ich nicht schreiben, weil Migazin bereits drei meiner Beiträge geschluckt hat..

  6. Salam sagt:

    Warum dieses Thema?

    „Dass Sie als weißer Mensch privilegiert sind, ist Ihnen bisher wahrscheinlich gar nicht bewusst.“
    Judith H. Katz schreibt ihn ihrem Buch White Awareness: ‚Wir Weissen führen unseren Erfolg auf unsere harte Arbeit zurück, auf unseren Charakter und darauf, dass wir das ganz einfach verdient haben. Wir erkennen nicht, in welchem Ausmaß unser ethnischer Status und ein unausgewogenes Spielfeld uns Vorteile verschaffen.'“

    Als weiße Deutsche haben Sie derzeit unter anderem von Geburt an die folgenden Privilegien:

    als Individuum betrachtet zu werden
    nicht rechtfertigen zu müssen, weshalb Sie in Ihrem eigenen Land leben oder weshalb Sie überhaupt in ihrer Form und Farbe existieren
    in der Gesellschaft in der Sie sich bewegen, öffentlich anonym bleiben zu können, wenn Sie wollen
    alle Menschen, die nicht weiß sind, benennen, einteilen und kategorisieren zu dürfen
    Grundsätzlich und ungehindert in die ganze Welt reisen zu können

    (Quelle: Noah Sow (2008): Deutschland Schwarz Weiss, S. 42f.)

  7. Justus sagt:

    Hallo Salam,

    „Als weiße Deutsche haben Sie derzeit unter anderem von Geburt an die folgenden Privilegien:

    als Individuum betrachtet zu werden“

    => wird ein Nicht-Weißer das nicht? Wer ist der Betrachter? Halte ich für völligen Unfug. Hierfür hätte ich gerne den konkreten Gegenbeweis.

    „nicht rechtfertigen zu müssen, weshalb Sie in Ihrem eigenen Land leben oder weshalb Sie überhaupt in ihrer Form und Farbe existieren“

    => wer sich zu Deutschland und seinen Werten bekennt, brauch sich nicht zu rechtfertigen. Wer sich nicht voll dazu bekennt (Nicht-Integration, Sprachschwierigkeiten, eigentlich andere Kultur) hat dieses Problem möglicherweise. Wobei rechtfertigen das falsche Wort ist. Darauf angesprochen werden triffts eher. Wollen wir mal bitte die Kirche im Dorf lassen. Hier muss sich niemand „rechtfertigen“, warum er „in Form und Farbe“ hier „existiert“. Nicht mehr, als in jedem anderen Land, eher sogar weniger (man reise zum Beispiel mal in den Orient).

    „in der Gesellschaft in der Sie sich bewegen, öffentlich anonym bleiben zu können, wenn Sie wollen“

    => welche Gesellschaft wäre das denn? Dieser Satz ist mir nicht völlig klar. Aber ich ahne es und halte es vorweg schonmal für eine unsinnige Pauschalisierung. In Berlin-Neukölln ist die Gesellschaft eine andere, hier können andere „öffentlich anonym“ bleiben.

    „alle Menschen, die nicht weiß sind, benennen, einteilen und kategorisieren zu dürfen“

    => Aha. Interessant. Machen Muslime das nicht? Menschen, die nicht-muslimisch sind, einteilen, benennen und kategoriesieren? Macht das nicht JEDER?

    „Grundsätzlich und ungehindert in die ganze Welt reisen zu können“

    => Jetzt wird es lustig. Ich habe als „weisser Deutscher“ also das Recht, in der ganzen Welt „ungehindert“ zu reisen, als Togolese mit deutschem Pass nicht? Belege und Beweise bitte für diese hanebüchene und rassistische Behauptung. Sie verwechseln, wie es mir scheint, notorisch Nationalität mit Ethnie.

    „Wir erkennen nicht, in welchem Ausmaß unser ethnischer Status und ein unausgewogenes Spielfeld uns Vorteile verschaffen.“

    Trifft auf Japan EXAKT genauso zu. Oder auf China. Oder auf… arabische Staaten. Trifft auf ALLE Gesellschaften zu. In sehr viel höherem Maße noch, muss man dazu sagen. In der Türkei DARF ich als Deutscher nicht mal eine Firma gründen.

    Ich weiß, Sie haben nur zitiert.