Österreichische Befindlichkeiten

Gute Nachrichten aus schlechten Umständen

Mit einem 35 km langen Protestmarsch vom Erstaufnahmelager für Asylsuchende in Traiskirchen nach Wien haben am 24.11.2012 mehr als 200 Flüchtlinge eindrücklich gegen die österreichische Asylgesetzgebung und Asylverfahren demonstriert. Bis heute fordern sie, über Hungerstreik und Zuflucht in der Votivkirche in Wien, ihre Menschenrechte ein und wehren sich gegen unwürdige Behandlung durch die Behörden.

Von Helga Suleiman Freitag, 11.01.2013, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 14.01.2013, 20:59 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Über das Lager Traiskirchen spricht die Meinung des Lagerleiters Franz Schabüttl im TV der stramm-rechten Freiheitlichen Partei Österreichs Bände: Kein Asylwerber komme „von sich aus“ hierher, sondern die „internationale Schleppermafia“ sei für den „unaufhörlichen Zustrom an Flüchtlingen verantwortlich“.

So kann nur einer reden, der sich völlig der herrschenden Gangart von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner beugt und nicht die geringste Ahnung über Fluchtgründe und Migrationsursachen hat. Folgerichtig ist die Situation der LagerinsassInnen schlecht: Es fehlt an qualitätshaltigem Essen, warmer Kleidung und Schuhen, akzeptablen hygienischen Sanitäranlagen, DolmetscherInnen, Zugang zu Schulbildung und Deutschkursen. Schikanöse Kontrollen des Lagerpersonals machen die Situation der Flüchtlinge zusätzlich unerträglich.

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Helmut Pröll, der zuständige Landeshauptmann, springt nach jahrelangem Zuschauen jetzt auf den Zug der Kritik auf und konstatiert „unmenschliche Zustände“, sowie eine Reihe von Mängeln im Lager. Er schiebt die Verantwortung weiter und verlangt, dass die anderen Bundesländer Grundversorgungsplätze zur Verfügung stellen.

Jedes Bundesland hat sich zur Aufnahme einer gewissen Zahl von Flüchtlingen verpflichtet, kaum eines hat die „Quoten“ erfüllt. Die Unterbringungssituationen sind immer wieder miserabel. Dass die PolitikerInnen in den Bundesländern Flüchtlinge nicht wollen und es ihnen egal ist, wie sie -und die Minderjährigen unter ihnen- im überfüllten Traiskirchen ihr Dasein fristen, spiegelt nichts anders als die Politik der Bundesregierung wider.

Denn wie ein Asylverfahren in Österreich abgewickelt wird, schildert einer der protestierenden Flüchtlinge: “Als Asylsuchende werden wir hier nicht wie Menschen behandelt. Viele von uns wurden durch die Behörden in Traiskirchen und in den Bundesländern aus der Grundversorgung ausgeschlossen, Unzählige im Asylverfahren im Eiltempo abgelehnt, ohne jemals eine Chance auf eine ernsthafte Berücksichtigung ihrer Fluchtgründe gehabt zu haben.

Die Organisation Asyl in Not stellt fest, dass die Genfer Flüchtlingskonvention in Österreich nur mehr ausnahmsweise gilt. Durch die Dublin-Verordnung (jeder Flüchtling kann bloß in einem EU-Staat um Asyl ansuchen) und rechtswidrige Entscheidungen erfährt sie massive Einschränkungen. Die Asylverfahren sind zunehmend undurchschaubar und auch für ExpertInnen kaum nachvollziehbar. Auch Flüchtlinge aus Tschetschenien und Afghanistan und kurdische Flüchtlinge werden ausgewiesen.

Zuletzt hat der Fall von Danial M. aus Tschetschenien für Aufsehen gesorgt: Er wurde von Österreich nach Russland abgeschoben und kurz nach seinem Eintreffen festgenommen. Seither fehlt von ihm jede Spur. Der Mann wurde abgeschoben, obwohl seine Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen waren und der Ausgang des Bleiberechtsverfahren offen ist: seine schwangere Frau durfte in Vorarlberg bleiben. Der Fall Danial D. kam nur auf Grund heftiger Proteste solidarischer Personen in die Medien.

Die protestierenden Flüchtlinge aus Traiskirchen können ebenfalls auf zahlreiche UnterstützerInnen zählen;- wenn auch einer widerstrebend agiert. Der Pfarrer der Votivkirche, in der die Flüchtlinge vor einem drohenden Polizeieinsatz Zuflucht suchten, hat mit Hinausschmiss und polizeilicher Räumung gedroht. Er rechnete wohl nicht damit, dass rund 100 Personen, darunter Flüchtlinge, AktivistInnen und zahlreiche JournalistInnen vor Ort das zu verhindern wussten. Das Kirchenasyl konnte den Flüchtlingen von der der weihnachtsfeiernden katholischen Kirche schließlich nicht verwehrt werden, aber bei den Wiener StadtpolitikerInnen war am 29. 12. Schluss mit der Feiertagsnächstenliebe: das vor der Kirche platzierte Camp wurde von der Polizei geräumt.

In Folge kam es zu breiten Solidaritätsaktionen in Landeshauptstädten und darüber hinaus. Auch das Flüchtlingsprotestcamp in Berlin Oranienplatz demonstrierte Solidarität mit den Flüchtlingen in Wien, von denen sich einige bereits im Hungerstreik befanden. Die Solidaritäts- und Unterstützungserklärungen nahmen massiv zu. Die offizielle Politik reagierte mit Denunziation und Spaltungsversuchen, die von nichts anderem zeugten, als dem eigenen Umgang mit Flüchtlingen: Diese Menschen will man nicht, also sieht man sie nicht. Sie haben sich ruhig zu verhalten, zu tun was ihnen gesagt wird und sich alles gefallen zu lassen, vor allem die Abschiebung. Die Vorstellung, dass Flüchtlinge für sich selbst sprechen und sogar politische Forderungen stellen, ist den Verantwortlichen fremd.

Tatsächlich ließ sich niemand aus der PolitikerInnenriege in der Votivkirche blicken, bis endlich der Druck aus der Zivilgesellschaft so stark wurde, dass sich der christlichsoziale Vizepräsident des EU-Parlaments am 6.1.2013 in der Votivkirche einfand. Den Weg dorthin haben ihm all jene UnterstützerInnen aus kirchlichen Kreisen erleichtert, die sich vehement für die Flüchtlinge einsetzten, darunter die Präsidentin der Frauen-Orden in Österreich und ein hochrangiger Vertreter der Männer-Orden, zahlreiche ReligionswissenschaftlerInnen und -pädagogInnen, Vertreter der evangelischen Kirche und schließlich der katholische Erzbischof höchstpersönlich.

Bei den Flüchtlingen und Hungersteikenden in der Kirche haben die Ordensschwestern viel Sympathie gewonnen, denn sie haben sich gegen die Räumung des Camps ausgesprochen. Sie kritisierten, dass damit Armut und Not der Flüchtlinge vor TouristInnen und BürgerInnen verborgen bleiben sollen. Die Nonnen wollen in die Kirche einziehen, um die Flüchtlinge zu unterstützen. Ob sie der vom Pfarrer engagierte Wachdienst an den Kirchenpforten überhaupt hineinlassen wird? Ob sie ihn dazu überreden können, die Sicherungen für die zahlreich vorhandenen, jetzt stromlosen Steckdosen zu reaktivieren? Oder Heizstrahler zur Verfügung zu stellen? Wenn die Ordensfrauen es schaffen, die Sperrung der Kirche durch den Pfarrer aufzuheben, so dass die Situation der Flüchtlinge tatsächlich sichtbar wird und noch mehr Solidarität ermöglicht, dann haben diese Kapitäninnen der Barmherzigkeit ein im Eis steckengebliebenes, manövierunfähiges Kirchenschiff wieder in moderates Fahrwasser geführt.

Die Flüchtlinge selbst wünschen sich freilich viel mehr als das. Sie wollen im Schutz der Kirche bleiben, bis ihre politischen Forderungen Gehör finden:

  1. Grundversorgung für alle AsylwerberInnen, unabhängig von ihrem Rechtsstatus, solange sie in Österreich aufhältig sind;
  2. freie Wahl des Aufenthaltsortes sowie Zugang zum öffentlichen Wohnbau für alle in Österreich aufhältigen AsylwerberInnen – keine Transfers gegen den Willen der davon Betroffenen;
  3. Zugang zu Arbeitsmarkt, Bildungsinstitutionen und Sozialversicherung für alle in Österreich aufhältigen MigrantInnen;
  4. Stopp aller Abschiebungen nach Ungarn – Stopp aller Abschiebungen im Zusammenhang mit der Dublin 2-Verordnung;
  5. Einrichtung einer unabhängigen Instanz zur inhaltlichen Überprüfung aller negativ beschiedenen Asylverfahren;
  6. Anerkennung von sozioökonomischen Fluchtmotiven neben den bisher anerkannten Fluchtgründen.

Die Flüchtlinge des Marschs von Traiskirchen, des geräumten Camps im Sigmund Freud Park, die Protestierenden und Hungerstreikenden in der Votivkirche haben beschlossen, ihre Rechte einzufordern und für ihre Menschenwürde zu kämpfen.

Das sind gute Nachrichten aus wirklich schlechten Umständen. Wichtig ist, dass diese guten Nachrichten vielfachen Widerhall erfahren und eine Solidarität entfachen, die so mächtig wird, dass die Forderungen der Flüchtlinge erfüllt werden müssen. Dann sind das gute Nachrichten für bessere Umstände in der Zukunft.

Wenn Sie als LeserIn dieser Zeilen eine gute Nachricht verbreiten wollen, senden Sie eine Solidaritätserklärung oder/und werden Sie aktiv wo und wie es möglich ist. So we will rise! – wie die Flüchtlinge rufen. Aktuell Meinung

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