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Immigration, Integration & Asyl: Kabinett Rutte II bedient No Nonsense-Zeitgeist

Am 29. Oktober 2012 stellte der alte und neue Ministerpräsident Mark Rutte (45) in Den Haag den Koalitionsvertrag „Bruggen slaan“ („Brücken bauen“) zwischen seiner rechtsliberalen VVD und der sozialdemokratischen PvdA vor. Im Bereich der Integrations- bzw. Immigrationspolitik erwartet die Niederländer ein knallhartes, aber durchaus pragmatisches Programm. Es riecht in jeder Zeile nach Zeitgeist.

Von André Krause Mittwoch, 28.11.2012, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 03.12.2012, 8:01 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Zur Erinnerung: Am 12. September 2012 gab es bei den vorgezogenen Wahlen zur Zweiten Kammer (vergleichbar mit dem Deutschen Bundestag) zwei große Sieger: Die VVD (41) und die PvdA (38) errangen zusammen 79 der 150 Sitze im Parlament. Erstaunlich zügig schmiedete Mark Rutte, bis April 2012 noch vom Rechtspopulisten Geert Wilders „toleriert“, innerhalb von 54 Tagen mit dem sozialdemokratischen Spitzenmann Diederik Samsom ein Kabinett. Das Produkt der Verhandlungen war der oben genannte, 81-seitige Koalitionsvertrag „Bruggen slaan“. In den Medien lag der Fokus anschließend in erster Linie auf der sozial-ökonomischen Agenda. Kulturelle Themen traten wegen der immensen Sorgen um das eigene Portmonee verständlicherweise deutlich in den Hintergrund.

Obwohl das Kapitel „Immigration, Integration & Asyl“ (S. 29-31) in der niederländischen Öffentlichkeit demnach – wenn überhaupt! – nur am Rande diskutiert wurde, verdient es auf Grund einiger bemerkenswerter Maßnahmen nichtsdestotrotz auf diesem Podium eine nähere Vorstellung.

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Der 3-seitige Abschnitt beginnt mit den prinzipiellen Worten: „Unsere Immigrationspolitik ist restriktiv, gerecht und auf Integration ausgerichtet. Bei der Immigrationspolitik wird die Tragkraft der Gesellschaft berücksichtigt werden. Für die Betroffenen und für die Gesellschaft ist es wichtig, dass Migranten auf eigenen Füßen stehen können, mit Arbeit ihren Lebensunterhalt bestreiten können, schnell integrieren und mithelfen, die Gesellschaft aufzubauen.“

Schon in der Einleitung sind die Autoren offenkundig bemüht, ihren Pragmatismus zu betonen. Ein wichtiges Symbol: Da Wilders die nicht zuletzt unter Allochthonen populäre PvdA fortwährend als „Partij van de Arabieren“ („Partei der Araber“) tituliert, scheinen allen voran die Sozialdemokraten etwaigen „Multi-Kulti“-Vorwürfen prompt den Wind aus den Segeln nehmen zu wollen.

Nach den einführenden Zeilen folgt ein umfangreicher Forderungs- und Maßnahmenkatalog, der hier nur ausschnittsweise beleuchtet werden soll.

Die neue Zwei-Parteien-Koalition plant, sich auf EU-Ebene weiterhin für eine Verschärfung der Richtlinie bezüglich der Anforderungen im Bereich des Ehegattennachzugs und der Familienzusammenführung einzusetzen. Darüber hinaus steht im Vertrag zwischen Rechtsliberalen und Sozialdemokraten, dass sich die Familienmigration auf die „Kernfamilie“ beschränken soll – im Wortlaut: „Eine nachhaltige, exklusive Beziehung zwischen Partnern und denjenigen, die durch biologische Verwandtschaft zum Familienhaushalt gehören.“

Sofern sich ein Asylbewerber zuvor illegal in den Niederlanden aufgehalten hat, erhält er keine Aufenthaltserlaubnis. Zudem wird es als notwendig erachtet, kriminelle Ausländer schneller ausweisen zu können. Alleinstehende minderjährige Ausländer sollen nach dem Wunsch des Kabinetts Rutte II „so schnell wie möglich im Herkunftsland mit ihrer Familie wiedervereinigt oder in einem Auffanglager im Herkunftsland untergebracht werden.“ Darüber hinaus wird im Koalitionsvertrag die raschere Abhandlung von Asylverfahren als Kernpunkt genannt.

Während diese Punkte allen voran dem Programm der VVD entsprechen, wird die Handschrift der Sozialdemokraten in den folgenden Zeilen sichtbar:

„Das Kind eines abgelehnten Asylbewerbers, das sich mindestens fünf Jahre vor der Vollendung des 18. Lebensjahres in unserem Land aufgehalten hat, erhält eine Aufenthaltsgenehmigung, sofern es diese vor der Vollendung des 21. Lebensjahres anfragt und sich nicht langfristig der Aufsicht der Reichsregierung entzogen hat. Dasselbe gilt für einen alleinstehenden minderjährigen Ausländer, der sich mindestens fünf Jahre vor der Vollendung des 18. Lebensjahres in unserem Land aufgehalten hat.“

Die auch im Rahmen dieser Kolumne angeführten Fälle „Sahar“ und „Mauro“ haben in der jüngeren Vergangenheit aufgezeigt, wie viel (emotionale) Sprengkraft dieses Thema in sich birgt. Auch an dieser Stelle entsprechen VVD und PvdA durchaus dem Zeitgeist, da sich laut Meinungsforscher Maurice de Hond eine deutliche Mehrheit der Niederländer für eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung für gut integrierte, minderjährige Ausländer ausspricht. Die Tendenz, dass Menschen für eine restriktive Asylpolitik plädieren, aber in Einzelfällen, d.h. bei der Konfrontation mit „realen Menschen“, rasch milder urteilen, ist auch in unserem Nachbarland feststellbar.

Im Anschluss schlägt das Pendel wieder ein wenig stärker Richtung VVD aus, indem die Koalitionspartner verkünden, dass ein illegaler Aufenthalt in den Niederlanden künftig als Straftat eingestuft wird. Privatpersonen oder private Organisationen, die Illegalen helfen, müssen jedoch nicht mit Sanktionen rechnen.

Es ist fraglos dieser Punkt, der das oben angeführte Etikett „knallhart“ rechtfertigt. Ob dieses Vorhaben aus ethischer Sicht vertretbar ist, dürfte indes strittig sein. Vermutlich werden auch hier öffentlichkeitswirksam inszenierte Einzelfälle in absehbarer Zeit eine grundsätzliche Debatte auslösen.

In der Folge heißt es, dass die Einbürgerungsanforderungen verschärft werden sollen. Die Verantwortung für die Vorbereitung auf das Einbürgerungsexamen liegt laut „Bruggen slaan“ bei den Betroffenen selbst. Wer sich in diesem Zusammenhang nicht adäquat bemüht, verliert seine Aufenthaltsgenehmigung. Diese Sanktion gilt nicht für zugelassene Asylbewerber. Letztere können allerdings keine Sozialhilfe erhalten, wenn sie sich nicht ausreichend anstrengen, die niederländische Sprache zu erlernen.

Des Weiteren wird im Bildungsbereich, im Gesundheitswesen, im ÖPNV und in staatlichen Gebäuden „gesichtsbedeckende Kleidung“ verboten. Die Polizei ist künftig dazu ermächtigt, Personen in der Öffentlichkeit aufzufordern, die gesichtsbedeckende Kleidung im Interesse einer Feststellung der Identität abzulegen. Daneben steht im Koalitionsvertrag: „Wer diese Kleidung trägt, erfüllt nicht die Voraussetzungen für den Empfang von Sozialhilfe.“ Auch Personen, welche die niederländische Sprache nicht beherrschen, erhalten gemäß den neuen Bestimmungen keine staatlichen Transferleistungen. Dieser Ausgangspunkt werde laut der Autoren des Koalitionsvertrages „konsequent angewendet: für Ausländer aus Drittländern, EU-Bürger und Niederländer.“

Beim Punkt „gesichtsbedeckende Kleidung“ zeigt sich exemplarisch, wie stark die niederländische Politik im Bereich „Integration“ seit der „Fortuyn-Revolte“ im Jahre 2002 von allzu libertär anmutenden Haltungen abgerückt ist. Es ist offenkundig, dass es dabei vor allem um das Tragen einer Burka geht. Zur Erinnerung: Im Jahre 2005 reichte erstmals ein Parlamentsmitglied einen Gesetzesvorschlag ein, der das Tragen einer Burka in der Öffentlichkeit untersagte. Sein Name: Geert Wilders. Heute ist dieser Standpunkt – in leicht abgewandelter Form – auch für Sozialdemokraten akzeptabel.

Dennoch ist es nicht berechtigt, von einem Koalitionsvertrag zu sprechen, den Geert Wilders ebenfalls mühelos hätte unterzeichnen können. Auch wenn im Wahlprogramm der PVV beispielsweise steht, dass ein illegaler Aufenthalt in den Niederlanden als Straftat zu betrachten sei, haben es aktuelle rechtspopulistische Kernforderungen nicht in das Dokument „Bruggen slaan“ geschafft. Man denke an die Plädoyers für einen generellen Einwanderungsstopp für Menschen aus muslimischen Ländern, ein Koranverbot oder die Schließung sämtlicher muslimischer Schulen. Von solchen mitunter skurrilen bzw. nicht realisierbaren Standpunkten halten sich VVD und PvdA fern.

Wenn man die oben genannten PVV-Forderungen betrachtet, wird deutlich, dass sich das Kabinett Rutte im Bereich „Immigration, Integration & Asyl“ eher für einen Kurs der Mitte entschieden hat. Geert Wilders kritisierte nach der Präsentation in der Zweiten Kammer explizit die Regelungen hinsichtlich einer Aufenthaltserlaubnis für Minderjährige, die schon länger im Land leben. Ansonsten beschäftigte sich aber auch der PVV-Vorsitzende in erster Linie mit sozial-ökonomischen Themen, die derzeit auf deutlich mehr Interesse bei den Bürgern stoßen.

Kurzum: Das Kabinett Rutte II haucht allmählich in Vergessenheit geratenen multikulturellen Fantasien erwartungsgemäß kein neues Leben ein. Andernfalls wäre wohl auch die kulturelle Agenda zumindest kurzzeitig im Scheinwerferlicht der Mainstream-Medien vehement diskutiert worden. Rechtsliberale und Sozialdemokraten liefern letztendlich das Programm, welches den Vorstellungen der autochthonen Mehrheit entspricht. Auch wenn es bisweilen ein wenig visionslos bzw. uninspiriert erscheinen mag, ist es eine solide Grundlage für ein Kabinett, das momentan primär an der Schaffung von Arbeitsplätzen, dem Wirtschaftswachstum und der Haushaltskonsolidierung gemessen wird. Aktuell Meinung

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