Auf dem Prüfstand
Verdachtsunabhängige Polizeikontrollen aufgrund der Hautfarbe
Das Verwaltungsgericht Koblenz sah in der verdachtsunabhängigen polizeilichen Personenkontrolle aufgrund der Hautfarbe kein Problem. Es ging ein Aufschrei durch die Republik. In knapp einer Woche wird der Fall neu aufgerollt - vor dem OVG Rheinland-Pfalz.
Von Kai Budler, Vera Egenberger Dienstag, 23.10.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 30.10.2012, 7:10 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Die Entscheidung der Koblenzer Richter im Fall eines in Kassel gebürtigen Deutschen mit dunkler Hautfarbe hat im Februar dieses Jahres für großes Aufsehen gesorgt. In einem Zug nach Frankfurt/Main hatten zwei Bundespolizeibeamte den heute 26-jährigen Architekturstudent aus Kassel aufgefordert, sich auszuweisen.
Gegen diese Kontrolle wehrte sich der Student vor dem Verwaltungsgericht Koblenz. Denn die Polizei hatte ihn ohne jeglichen Verdacht und nur aufgrund seiner Hautfarbe kontrolliert. Der Koblenzer Verwaltungsrichter sah darin kein Problem. Die Bundespolizei dürfe auf bestimmten Zugstrecken Reisende aufgrund ihrer Hautfarbe und eines „ausländischen“ Erscheinungsbildes ohne konkreten Verdacht kontrollieren.
Lange kann man so etwas nicht ertragen
„Da habe ich mir gesagt, da muss von weiter oben ganz klar das Stoppschild gezeigt werden. Lange kann man so etwas nicht ertragen“, so der 26-jährige auf einer Podiumsdiskussion im Rahmen des siebten Afrikanische Kulturfestes in Frankfurt/Main. Denn nach eigenen Angaben hat der Architekturstudent eine solche Situation nicht das erste Mal erlebt.
Ein ganz normaler Vorgang heißt es auch seitens der Bundespolizei, die darauf verweist, dass die Bahnstrecke angeblich bevorzugt zur illegalen Einreise genutzt werde. Dieses Argument überzeugte den Richter. Bei derartigen „Stichprobenkontrollen“ dürften die Beamten „die Auswahl der anzusprechenden Personen auch nach dem äußeren Erscheinungsbild vornehmen“.
Ich bin immer eine von ihren Stichproben
Kritiker hingegen sehen darin einen Fall des Ethnic oder Racial Profilings, das gegen das grundgesetzlich verbriefte Diskriminierungsverbot verstößt. „Das Problem ist: Ich bin immer eine von ihren Stichproben“, erklärt Mbolo Yufanyi von der Flüchtlingsselbstorganisation „The Voice Refugee Forum“ in Frankfurt. „Als ich nach Deutschland kam, dachte ich, das ändert sich, wenn ich Papiere habe“, sagt Yufanyi. Doch es sei egal, ob es sich bei der kontrollierten Person um einen Asylbewerber oder schwarzen Deutschen handele. In erster Linie richte sich die Praxis gegen das „Anderssein“ – und das mache sich an der Hautfarbe fest.
So sah es auch der Bundespolizeibeamte Matthias M. so, als er den Kasseler Studenten aufforderte, sich auszuweisen. Vor Gericht erklärte der Beamte freimütig, dass es dabei natürlich um die Hautfarbe des Mannes gegangen sei.
Urteil geht an der Lebenswirklichkeit vorbei
Dabei hatte die Bundesregierung noch im vergangenen Jahr erklärt, bei rechtmäßigen verdachtsunabhängigen Kontrollen dürfe es keine unterschiedliche Behandlung von Personen nach Herkunft, Hautfarbe oder Religion geben. Entsprechend hatte die Bundespolizei erst im Oktober 2011 versichert, dass bei Ein- und Ausreisekontrollen am Flughafen ethnische Gesichtspunkte keine Rolle spielen und dabei auf den Schengener Grenzkodex verwiesen. Angefragt hatte die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS).
Nach dem Urteil erklärte die Leiterin des ADS, Christine Lüders: „Es hat schwere Folgen für das Zusammenleben in Deutschland und unser Bemühen um Verhinderung von Diskriminierung, wenn die Polizei Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe kontrolliert (…). Dass das Gericht polizeiliche Ausweiskontrollen aufgrund der Hautfarbe als geringfügigen Eingriff bezeichnet, geht für uns an der Lebenswirklichkeit vorbei“.
Verstoß gegen nationales Recht
Vorbei geht diese Entscheidung auch an zahlreichen nationalen und internationalen Vorschriften. So verstoßen Personenkontrollen, die ausschließlich aufgrund der Hautfarbe einer Person durchgeführt werden, ohne dass ein Anfangsverdacht besteht, unter zwei Gesichtspunkten gegen geltendes Verfassungsrecht. Racial Profiling stellt eine nach Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes verbotene Diskriminierung dar. Dort heißt es: „Niemand darf wegen […] seiner Rasse benachteiligt werden.“ Zwar ist in manchen Situationen das Interesse des Betroffenen mit dem Interesse des Staates (hier der Polizei) abzuwägen, doch ist in diesem Diskriminierungsfall diese nicht gerechtfertigt.
Info: Das Verfahren am Oberverwaltungsgericht Koblenz wird begleitet vom Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung e.V. (BUG). Bis zum Urteil des OVG Rheinland-Pfalz am 29.10.2012 skizziert das BUG Racial Profiling in einer Artikelreihe – Erfahrungsprotokolle und Hintergrundberichte, in denen Betroffene zu Wort kommen – täglich auf MiGAZIN.
Selbst wenn eine solche Diskriminierung gerechtfertigt werden sollte, kämen hier nur Erwägungen der Effizienz der Arbeit der Bundespolizei infrage, wenn diese versucht, illegal Aufhältige zu identifizieren. Dann Menschen mit dunkler Hautfarbe bei Personenkontrollen heraus zu picken, fußt dann eher auf Stereotypen als auf belastbarem statistischem Material. Vorschriften des Aufenthaltsrechts kommen jedoch nicht ein gleiches verfassungsrechtliches Gewicht zu, dass sie das Diskriminierungsverbot des Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz aushebeln würden.
Verstoß gegen Völkerrecht
Außerdem verstößt die Praxis des Racial Profiling gegen völkerrechtliche Verpflichtungen Deutschlands, was indirekt auch zu einer Verletzung des Grundgesetzes führt. Das Grundgesetz fordert alle deutschen Staatsorgane zur weitestmöglichen Einhaltung des Völkerrechts auf, wie das Bundesverfassungsgericht in verschiedenen Urteilen unterstrichen hat.
Trotz dieser klaren Positionierung beschreibt eine solche Kontrollpraxis die Alltagserfahrung vieler Menschen mit einer nicht weißen Hautfarbe in Deutschland, heißt es auf dem Podium in Frankfurt. Tahir Della, Vorstandsmitglied der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD), bemängelt: „Es ist kein neues Problem, aber in der Öffentlichkeit meist unbekannt.“
Europaweites Problem
Dies gilt auch europaweit, wie der Blick auf eine Sammelklage zeigt, die in Frankreich anhängig ist. Auch bei einem Racial Profiling Fall in Spanien hat der UN-Menschenrechtsausschuss ausdrücklich festgestellt, dass anlasslose Identitätskontrollen allein aufgrund von Merkmalen der ethnischen Herkunft gegen Artikel 26 des UN-Paktes über bürgerliche und politische Rechte verstoßen. Dem lag der Fall einer in Spanien lebenden Afroamerikanerin zugrunde, die von der Polizei ausschließlich wegen ihrer Hautfarbe kontrolliert wurde. Ähnliche Hinweise finden sich zudem in der Rechtsprechung zu Artikel 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie Artikel 2 Absatz 1 des UN-Antirassismusübereinkommens.
Bipblab Basu von der Berliner Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt „ReachOut“ beobachtet kontinuierlich eine solche Kontrollpraxis. Mit der Initiative „Cop watch“ sammelt er die Fälle und berät die Betroffenen. Im Rechtsstreit aber, sagt Basu, würden nur Einzelfallentscheidungen gefällt, die Systematik dahinter werde so verschleiert. Er fordert eine Dokumentation der in seinen Augen rassistischen Kontrollen mit anschließender Auswertung durch eine unabhängige Kontrollinstanz. Die konkreten Kriterien für eine solche Instanz haben erst kürzlich fünf Bürgerrechtsbewegungen vorgelegt, darunter „Amnesty International“ und die „Humanistische Union“.
Hoffen auf die zweite Instanz
Die Initiativen und Organisationen hoffen nun auf die Berufungsverhandlung zu dem Koblenzer Urteil vor dem Rheinland-Pfälzischen Oberverwaltungsgericht am kommenden Montag (29.10.2012). Zumindest der Beschluss zur Zulassung der Berufung lässt eine andere Sicht der Richter in der Sache erkennen. Die in dem Schreiben festgehaltene Bewilligung der Prozesskostenhilfe wird üblicherweise nur gewährt, wenn die die Erfolgsaussichten der Klage „im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht verneint werden können“. Gute Chancen also für einen anderen Ausgang in der zweiten Instanz. Leitartikel Recht
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