Friedensrichter

Religiöse Paralleljustiz in Deutschland?

Die Tätigkeit religiöser „Friedensrichter“ in Deutschland lässt sich laut Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Fabian Wittreck „nicht einfach verbieten“. Zudem sei das ein Phänomen, dass nicht nur Muslime praktizieren, wie es oftmals suggeriert werde.

Donnerstag, 11.10.2012, 8:27 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 14.10.2012, 22:54 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Die Tätigkeit muslimischer „Friedensrichter“ in Deutschland lässt sich laut Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Fabian Wittreck „nicht einfach verbieten“. Das Bild sei uneindeutig, sagte der Forscher des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Uni Münster am Dienstagabend in einem Vortrag über „Religiöse Paralleljustiz im Rechtsstaat?“.

Wenn solche Streitschlichter in zivilrechtlichen Fällen tätig würden, sei das legal, sofern der Schlichter freiwillig eingeschaltet werde. Unproblematisch seien auch strafrechtliche Fälle, in denen ein „Friedensrichter“ vor Einschaltung der Behörden tätig werde. Erst wenn die Ermittler aktiv würden, stehe der Vorwurf der Strafvereitelung im Raum. „Auch bei Schwerstkriminalität ist der Versuch, solche Taten per Schlichtung ‚in der Familie‘ zu regeln, verboten und strafbar.“

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Religiöse „Paralleljustiz“ könne im deutschen Recht generell „den Schutz der Glaubensfreiheit“ für sich reklamieren, unterstrich der Jurist. Es gebe keine Gründe von Verfassungsrang, die ein „globales Verbot“ von religiöser Schiedsgerichtsbarkeit rechtfertigten. Vielmehr sei im Einzelfall darzulegen, dass tatsächlich Strafgesetze verletzt oder Grundrechte negiert würden. Oder es müsse nachgewiesen werden, dass Betroffene sich nicht wirklich freiwillig einem geistlichen Gericht unterworfen hätten.

Idealfall: staatlicher Rechtsschutz
Der Vortrag bildete den Auftakt zur Ringvorlesung „Religiöse Vielfalt. Eine Herausforderung für Politik, Religion und Gesellschaft“, die der Exzellenzcluster im Wintersemester mit dem neuen „Centrum für Religion und Moderne“ (CRM) veranstaltet.

Der Wissenschaftler riet gleichwohl davon ab, den „Friedensrichtern“ von staatlicher Seite unaufgefordert Entgegenkommen zu zeigen. Das sei zwar denkbar, indem der Staat die informelle Schiedsgerichtsbarkeit „aktiv“ dulde, als Kooperationspartner anerkenne oder gar eine staatlich anerkannte religiöse Schiedsgerichtsbarkeit einrichte. Dagegen sprächen aus rechtspolitischer Sicht aber neuere Forschungen: „Sie legen nahe, dass religiöse Gerichtsbarkeit die Kohäsion gerade von Gruppen mit Migrations- oder Diasporahintergrund steigert, zugleich deren religiöses Führungspersonal stärkt und sich dadurch nicht in Richtung einer Integration auswirkt.“ Prof. Wittreck plädierte dafür, der „Versuchung religiöser Paralleljustiz“ zu widerstehen und am „Ideal des gleichen staatlichen Rechtsschutzes für alle“ festzuhalten.

Reaktion der katholischen Amtskirche
Über das Ausmaß der „Anstatt-Justiz“ der „Friedensrichter“ in Berlin und andernorts könne bislang nur spekuliert werden, sagte der Forscher. Berichte darüber seien oft zu „alarmistisch“. Es fehlten belastbare Erhebungen. Statt von „Hinterhofgerichtsbarkeit“ solle von einer „informellen religiösen Schiedsgerichtsbarkeit“ gesprochen werden, die im größeren Zusammenhang der Wechselwirkung weltlicher und geistlicher Gerichtsbarkeit zu sehen sei. „Auch darf der Hinweis nicht fehlen, dass die ‚Friedensrichter‘ zwar überwiegend aus muslimischen Ländern stammen, ihre Entscheidungen aber meist gerade nicht religiös motivieren oder gar aus der Scharia ableiten. Ihre Klientel ist landsmannschaftlich bestimmt, weniger konfessionell.“

Prof. Wittreck hob hervor, Konflikte zwischen weltlicher und geistlicher Gerichtsbarkeit habe es oft in der europäischen Rechtsgeschichte gegeben, und auch heute beschränkten sie sich nicht auf „Scharia-Richter“. So gerate derzeit der weitgehende Ausschluss des staatlichen Rechtsschutzes durch kirchliche Arbeitsgerichte unter Rechtfertigungsdruck. „Auch die Reaktion der katholischen Amtskirche auf den Missbrauchsskandal lässt sich als Ausdruck einer ganz spezifischen Auffassung von Zuständigkeitsbereichen weltlicher und geistlicher Jurisdiktion deuten. Mit anderen Worten: Wir würden dem Islam Unrecht tun, wenn wir seine Richter losgelöst von anderen Phänomenen religiöser Gerichtsbarkeit betrachten.“

Vier Formen geistlicher Gerichtsbarkeit
Der Forscher, der am Exzellenzcluster das Projekt C4 „Geistliche Gerichtsbarkeit religiöser Minderheiten – Integrations- oder Segregationsfaktor“ leitet, stellte vier Formen geistlicher Gerichtsbarkeit dar, die unterschiedlich viel Konfliktpotential mit dem Recht des säkularen Verfassungsstaates haben.

Dazu gehört erstens die „klassische kirchliche Gerichtsbarkeit“, die auf innere Angelegenheiten wie Glaubenslehre, Organisation und kirchliche Ehe beschränkt ist und ohne Hilfe oder Kontrolle des Staates handelt. Eine zweite Form, die „staatlich anerkannte religiöse Schiedsgerichtsbarkeit“ birgt laut Prof. Wittreck mehr Konfliktpotential und ist in Deutschland nicht vorhanden; in den USA hingegen bestehe eine rege jüdische Schiedsgerichtsbarkeit und in Großbritannien ein „Muslim Arbitration Tribunal“. Die dritte Form bezeichnete der Forscher als „staatlich angeordnete kirchliche Gerichtsbarkeit“, die etwa in Israel zu finden sei, in Deutschland mit Blick auf kirchliche Arbeitsgerichte zumindest faktisch existiere. Als vierte Form gilt – wie im Fall der „Friedensrichter“ – die Rechtsprechung oder Schlichtung religiöser Akteure ohne jede staatliche Anerkennung oder Kontrolle, „weshalb die ‚Entscheidungen‘ nur durch freiwillige Befolgung oder sozialen Druck umgesetzt werden“. (vvm/bk) Aktuell Recht

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  1. Soli sagt:

    Prinzipiell sollte JEDWEDES strafrechtliche Verfahren ausschließlich den Deutschen Gerichten vorbehalten sein. Dabei ist es unerhablich ob es sich um minderschwere Fälle oder Schwerstkriminalität handelt.

    Es darf und kann nicht sein das sich da welche PRügeln (Körperverletzung) und nachher einfach gegen Geld davonkommen ohne das das irgenwo in Erwähnung tritt nur weil die nicht zur Polizei gehen.
    DAs Märchen „die haben das freiwillig nicht angezeigt“ glaubt dann doch keiner, das ist dann reiner Familienzwang!

    Zivilrechtlich ist das eventuell etwas anders zu bewerten.

  2. Cengiz K sagt:

    …Die dritte Form bezeichnete der Forscher als „staatlich angeordnete kirchliche Gerichtsbarkeit“, die etwa in Israel zu finden sei, in Deutschland mit Blick auf kirchliche Arbeitsgerichte zumindest faktisch existiere…
    Wo sind die Meinungen der üblichen PI Kommentatoren? Zu politisch inkorrekt?

  3. Torgey sagt:

    Hört sich nach einem sehr guten Vortrag an, hätte ich gerne gehört.

    @Soli: Ihre Meinung zum strafrechtlichen Aspekt teile ich prinzipiell, allerdings nicht vom Argument her: Wenn „die“ das Opfer dazu nötigen können, sich an einen Friedensrichter statt an ein ordentliches Gericht zu wenden, könnten „sie“ das Opfer ja auch einfach dazu nötigen, überhaupt keine Gerichtsbarkeit in Anspruch zu nehmen. Hier ist das Problem die Nötigung, nicht die Möglichkeit einer Friedensgerichtsbarkeit.
    Außerdem geht aus dem Text hervor, dass strafrechtliche Fälle nur vor Einschaltung der Behörden eine Berechtigung haben. Dann stellt sich allerdings die Frage, welchen Mehrwehrt sie haben möglicherweise eine Partei überhaupt erst dazu zu bringen, die Behörden einzuschalten).

  4. Soli sagt:

    @Torgey -ich denke innerhalb der Commnity ist der Druck das „zu regeln“ schon so groß, dass das nicht ohne irgendeinen externen geht. Hier wäre das dann so ein Friedensrichter.
    Wenn dann im Nachgang dann doch ein Gericht angestrebt wird – versuchen sie doch mal die „Nötigung“ zu beweisen? Ich glaube das ist das Problem.

    Ihren letzten Absatz verstehe ich leider nicht ganz. Hier geht es darum einen strafrechtlichen Fall zu behandeln -bevor- das die Behörden überhaupt mitbekommen.
    Der Autor sagt das wäre dann durchaus in Ordnung. Dem kann nur aufs schärfste wiedersprochen werden. Denn genau -das- öffent ja eben der Willkür Tür und Tor. wir haben feste Regeln und Handlungsleitfäden für strafrechtliche Vorgänge. Was Strafmaß etc. angeht. Diese können nur durch ordentliche Gerichte genutzt werden.
    Ich könnte mir gut vorstellen, dass ein „klammer Mitbürger“ das Angebot eines Friedensrichters ein „Strafgeld“ in Höhe von vielleicht einigen Tausend Euro eher gewillt ist anzunehmen, als eine erheblich geringere Summe die er evtl. von einem Gericht erhält. Nur wird in diesem Fall der Täter „freugekauft“ während er vom Gericht ja noch zusätzlich eine Haft/Bewährungsstrafe erhalten würde.

  5. Einspruch sagt:

    Einfach her zu gehen und zu sagen „das kann man nicht verbieten“ ist eigentlich schon eine Kapitulation vor dem was passiert. Weil Mafiaorganisationen „regeln“ die Dinge ja bekanntlich auf auf ihre eigene Weise. Die Kirchen sollten natürlich auch keine eigene Gerichtsbarkeit haben. Und ich spreche natürlich von schweren Vergehen wie Mord, Raub, Vergewaltigung usw. . kleine Dinge wären kein Ding. Dann sind die Gerichte wenigstens nicht überlastet. Aber ansonsten? Njet!

  6. Helmut sagt:

    In einem Staat, in welchem ein großer Teil der Bevölkerung mittlerweile konfessionslos ist, muss die Frage erlaubt sein, ob eine Durchbrechung des staatlichen Justizmonopols überhaupt noch zu rechtfertigen ist. Soweit man in diese Frage in der Vergangenheit – bei kaum nennenswerter Zahl von Konfessionslosen – bei den inneren Angelegenheiten der Kirchen großzügig verfahren ist, kann dies den Gesetzgeber nicht dauerhaft binden. Der Druck, der künftig auf Religionsangehörige ausgeübt werden könnte, sich unbedingt einer religiösen Paralleljustiz zu unterwerfen, dürfte enorm sein. Dies sollte nicht verkannt werden. Die Verharmlosung des absehbaren konformistischen Drucks hilft da überhaupt nicht weiter. Der negatorische Anspruch des Gläubigen aus dem Grundrecht der Religionsfreiheit wird durch eine solche Paralleljustiz zunichte gemacht. Es gibt für ihn dann faktisch keinen durch den Staat gewährleisteten Freiheitsschutz vor (den Auswüchsen) der Religion mehr, er muss sich auch der – von ihm möglicherweise abgelehnten – religiösen Rechtsprechung beugen. Das ist mit dem Grundrecht der Religionsfreiheit und dem staatlichen Gewaltmonopol nicht zu vereinbaren.