LKA-BW Gutachten

Wieso die NSU-Mörder Ausländer sein mussten

Eine Analyse des LKA Baden-Württemberg aus dem Jahr 2007 zeigt, wieso die NSU-Mörder unbehelligt morden konnten und wieso die Täter Ausländer sein mussten - ein Konstrukt aus Normen- und Wertesystemen.

Dienstag, 25.09.2012, 8:34 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 09.06.2020, 17:58 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Zehn Monate sind seit dem zufälligen Auffliegen der NSU vergangen. Und immer noch sind die Sicherheitsbehörden nicht in der Lage zu erklären, wie die Zwickauer Terroristen über einen Zeitraum von zehn Jahren zehn Menschen kaltblütig und brutal erschießen konnten, ohne festgenommen zu werden.

Bisher werden bei der Aufklärung mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Aktenvernichten, Falschaussagen, vorenthalten von Informationen dominieren seit Monaten die Schlagzeilen. Ein Skandal jagt die andere.

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Fallanalyse aus dem Jahr 2007

Heute weiß man zwar, dass die Täter Neonazis waren und aus Fremdenfeindlichkeit gemordet haben, doch wie konnte es passieren, dass Fahnder jahrelang im Dunkeln tappten? Hat wirklich keine einzige Spur ins rechtsextreme Milieu geführt? Zwischen den Jahren 2000 und 2006 wurden bei einer Mordserie neun Menschen mit Migrationshintergrund brutal ermordet und rassistische Motive wurden nicht einmal ernsthaft in Erwägung gezogen? Wieso jagte „SOKO Bosporus“ den „Döner-Mörder“ und nicht „SOKO Zwickau“ den „Nazi-Killer“?

Fragen, auf die ein Dokument des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg (LKA-BW) aus dem Jahr 2007 zumindest Teilauskunft gibt. Dabei handelt sich um die „Gesamtanalyse der bundesweiten Serie von Tötungsdelikten an Kleingewerbetreibenden mit Migrationshintergrund“. Eine über 100-Seiten starke Fallanalyse, die im Auftrag der Innenministerien Baden-Württemberg und Bayern erstellt wurde und die dem MiGAZIN jetzt vorliegt.

Unser Kulturkreis

Darin zeichnet Kriminalhauptkommissar beim LKA-BW und hauptverantwortlicher Fallanalytiker Udo Haßmann unter anderem ein Täterprofil. Haßmann, der im Mai 2012 vor dem NSU-Untersuchungsausschuss aussagte, schreibt wörtlich:

Vor dem Hintergrund, dass die Tötung von Menschen in unserem Kulturkreis mit einem hohen Tabu belegt ist, ist abzuleiten, dass der Täter hinsichtlich seines Verhaltenssystems weit außerhalb des hiesigen Normen- und Wertesystems verortet ist“. Wahrscheinlich sei daher auch, dass die Täter „im Ausland aufwuchsen oder immer noch dort leben“.

Mörder = immer Ausländer

Danach ist der Fall aus Sicht des hauptverantwortlichen Fallanalytikers des LKA-BW klar: Wann immer ein Mensch getötet wird, handelt es sich beim Täter wahrscheinlich um einen Ausländer weil „unser Kulturkreis“ Tötungen tabuisiert. Diese Behauptung durchzieht sich wie ein roter Faden durch die 100 Seiten.

Ein mögliches fremdenfeindliches Motiv wird in der Fallanalyse nicht konstruiert. (es) Leitartikel Politik

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  1. Guten Tag! Kann man die im Artikel angesprochene „Gesamtanalyse der bundesweiten Serie von Tötungsdelikten an Kleingewerbetreibenden mit Migrationshintergrund“ bekommen bzw. ist sie irgendwo veröffentlicht? Beste Grüße, Sabine Friedel

  2. Omar sagt:

    Das hört sich ja nach solider und logischer Polizeiarbeit an.

  3. Thomas sagt:

    Es ist viel schiefgelaufen bei den Ermittlungen und im Nachhinein sind alle immer schlauer gewesen. Was nur gerne verschwiegen wird, ist die Tatsache, dass Ermittler aus der Türkei auch keinen fremdenfeindlichen Anschlag erkennen konnten. So abwegig war die Vermutung also nicht, dass es sich um Täter mit Migrationshintergrund gehandelt haben könnte.
    Der Verfasser des Artikels suggeriert, dass der hauptverantwortliche Fallanalytiker davon ausgehe, dass an Mord fast immer ein Ausländer beteiligt sei. Dies ist schon eine große Frechheit! Wer sich mit Kriminalstatistik beschäftigt, der entwickelt irgendwann ein Gespür für Täterprofile. Auch aus meiner Laienerfahrung kann ich sagen, dass manche Tatumstände für Täter aus dem bestimmten Migrationsgebiet sprechen. Natürlich liege ich damit nicht immer richtig, aber die Trefferquote war bisher nicht schlecht. Wer das als Xenophobie auslegen will, dem möchte ich eine Frage stellen: wenn er von einer Vergewaltigung hört, denkt er dann nicht auch daran, dass der Täter höchstwahrscheinlich ein Mann ist? Ist er dann etwa sexistisch oder hat er nur auf seine Erfahrung zurückgegriffen?

  4. Pingback: (Bio-)Deutsche morden nicht, jedenfalls nicht kaltblütig. Weil das unserem Wertesystem widerspricht. « BlogIG – Migrationsblog der InitiativGruppe

  5. Unfreiwillig ist hier doch der Grund genannt worden, warum die Morde nicht aufgedeckt werden konnten. Es ist Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, jedenfalls, wenn ich diese Studie zum Maßstab nehme.Da ist dies jedenfalls deutlich zu erkennen. Wie kommt man sonst zu solchen Einschätzungen? Es ist fassungslos!

  6. Pingback: Wie testet man eine gute Argumentation? | Sarah Lukas

  7. aloo masala sagt:

    Die Formulierung „unser Kulturkreis“ ist zwar verdächtig allerdings würde mich schon das gesamte Zitat von Udo Hassmann interessieren. Denn der letzte Satz von Hassmanns Aussage erscheint nur teilweise zitiert. Nicht als Zitat ausgewiesen wurde der folgende Teil:

    „… Zitat A …“ Wahrscheinlich sei daher auch, dass die Täter „… Zitat B ….“.

    Die Frage ist nun, warum wurde das so zitiert? Zitat A ist die Annahme und Zitat B ist die Schlussfolgerung. Zwischen Annahme und Schlussfolgerung befindet sich eine Lücke im Zitat.

    Diese Lücke ist für die Bewertung von Hassmanns Aussage entscheidend. In dieser Form kann man Hassmann nichts aber auch gar nichts vorwerfen. So wie hier zitiert wurde ist völlig unklar, ob die Schlussfolgerung B sich ausschließlich auf die Annahme A bezieht.

    Davon abgesehen, wird Hassmann (ohne Anführungsstriche) mit „wahrscheinlich ist auch“ wiedergegeben. Das ist für einen Fallanalytiker eine völlig korrekte Aussage. Es ist normal, dass man in alle möglichen sinnvollen Richtungen ermittelt, deswegen auch das Wort „auch“.

    Es wäre gut, wenn der Autor des Artikels hierzu genauere Angaben machen könnte. Denn wenn Hassmann das wirklich so gesagt hat, dann ist er ein blanker Rassist. Wenn nicht, dann sollte da schnellstens richtig gestellt werden, bevor hier im Netz weiter bösartige Unterstellungen verbreitet werden, die durch ein falsches Zitat verursacht wurden.

  8. Frager sagt:

    Das fremdenfeindliche Motiv in der Fallanalyse findet man wohl beim Verfasser der Analyse.

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