Lamyas Welt

Ich kam, ich saß, ich ging – Islamverbände in Erklärungsnöte

Eine Schmierenkomödie – die sich da abzeichnet: Empört haben die großen Islamverbände auf die Vorstellung der „Vermisst-Kampagne“ durch das Bundesinnenministerium reagiert. Mit viel Tamtam wurde kurz darauf die „Initiative Sicherheitspartnerschaft“ beendet.

Von Lamya Kaddor Montag, 17.09.2012, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 20.09.2012, 1:04 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Und jetzt stellt sich heraus: Alles nur populistisches Theater? Wie MiGAZIN unter Berufung auf eine ausführliche Stellungnahme des Bundesinnenministeriums berichtet, waren die Verbände nicht nur frühzeitig über die Kampagne informiert, sondern sogar in die Erarbeitung involviert. Selbst einer der Vorsitzenden hat demnach die Plakat-Motive zunächst abgesegnet.

Zweifel an der ministeriellen Darstellung der Dinge sind sicherlich erlaubt. Angesichts der Details, mit denen hier der Ablauf des Verfahrens und das Verhalten der involvierten Verbandsvertreter geschildert werden, wär es aber schon ein merkwürdiger Skandal, sollte das alles falsch sein.

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Mangelndes Interesse. Fehlen bei Sitzungen. Teilnahmsloses Abnicken von Papieren. Keine Reaktion auf Emails – so schildert es das Ministerium und ich kann sagen, das kommt mir aus meiner inzwischen auch schon längeren persönlichen Erfahrung im Umgang mit manchen der großen Verbände bzw. ihrer Vertreter durchaus bekannt vor.

Jenseits des peinlichen Verhaltens stellen sich allerdings auch grundsätzliche Fragen – etwa nach dem Selbstverständnis der hier in Erklärungsnot geratenen Verbände. Wie ernst nehmen sie ihren Vertretungsanspruch – jenseits großer öffentlichkeitswirksamer Auftritte? Was bezwecken sie eigentlich mit ihrer Arbeit? Welche Kompetenzen halten sie angesichts ihrer Größe und ihrer 40-jährigen Erfahrung vor?

Als Muslim bleibt man ratlos zurück. Da schauen Spitzenvertreter der großen Lobbyorganisationen auf ein Plakat. Es zeigt eine muslimische Frau mit Kopftuch. Darunter stehen die Worte einer imaginären Freundin: „Ich erkenne sie nicht mehr. Sie zieht sich immer mehr zurück und wird jeden Tag radikaler.“ Obwohl die Verbandsvertreter, die sich gerade das Bild anschauen, öffentlich stets die Bedeutung des Kampfes gegen antimuslimische Vorurteile und Islamfeindlichkeit betonen, kommt keiner auf den Gedanken zu intervenieren. Niemand erkennt, was später – als die Kritik an den Plakaten bereits hochkocht – von Seiten der Verbände lautstark herausposaunt wird: „Die Motive vermitteln den Eindruck, lächelnde Muslime wären gefährlich und müssten beobachtet werden.“

Solange die Verbandsvertreter keine überzeugende Stellung beziehen, kann man über die Hintergründe dieses Verhaltens nur spekulieren. Vermutlich können sich einige auf der langen Liste der Kritiker schon mal bei ihnen bedanken. Die jetzigen Erkenntnisse dürften sie nämlich bestätigen. Die Spitzenvertreter der großen Islamverbände treten seit Jahren auf die politische Bühne, und rechnen ihre Mitgliedszahlen hoch, um möglichst unbestritten ihren gewünschten Alleinvertretungsanspruch für die Muslime in Deutschland zu untermauern. Wenn sie aber Zusammenhänge nicht erkennen, die kurz nach Veröffentlichung sofort von fast allen Seiten Kritik auf sich ziehen, haben die Führungskräfte entweder den Kontakt zur Basis längst verloren oder, was noch schlimmer wäre, es interessiert sie nicht, was dort geschieht.

Möglicherweise zeigt das Verhalten dieser Verbandsvertreter aber auch, dass es manchen gar nicht um Inhalte geht, sondern allein um Machtbelange, um die Nähe zur oberen politischen Klasse. Oder es geht um Inhalte, aber nur in die eine, von ihnen primär gewünschte Richtung. Stichwort: Anerkennung als Religionsgemeinschaft, Einfluss auf universitäre Islamlehrstühle etc. Mit Anfragen, die an sie herangetragen werden, beschäftigen sie sich hingegen nur unzureichend. Das ist ein unverantwortlicher Umgang mit dem politischen Zeitgeschehen. Das eigentliche Anliegen der „Vermisst-Kampagne“ beispielsweise ist durchaus berechtigt und wichtig. Man kann als Islamverband nicht ernsthaft darüber hinweggehen, wenn sich Menschen aus den eigenen Reihen radikalisieren und somit möglicherweise zur Gefahr werden – für Nicht-Muslime ebenso wie für Muslime.

Ich kam, ich saß, ich ging! Man weiß nicht, was schlimmer ist: Dass einige Verbandsvertreter, nachdem sie sich in die Sicherheitspartnerschaft begeben haben, nicht mehr rühren, wenn es um die konkrete Arbeit geht, oder dass diejenigen, die mitarbeiten, zentrale Belange der Muslime in Deutschland nicht erkennen oder vertreten.

Erstaunlich sind am Ende aber auch die ersten Reaktionen auf die neuen Erkenntnisse über die „Vermisst-Kampagne“. Muslime, die sich an anderer Stelle nicht scheuen, ihre Stimmen gegenüber Andersdenkenden zu erheben, und zumindest öffentlich für eine offene Diskussionskultur plädieren, schweigen auffallend deutlich, während einigen anderen nichts Besseres einfällt, als zuallererst die Kritiker dieses Verhaltens der Verbandsvertreter als „Islamophobe“ oder „Nestbeschmutzer“ zu brandmarken. Aktuell Meinung

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  1. Peter Müller sagt:

    „Solange die Verbandsvertreter keine überzeugende Stellung beziehen…“ Wie soll das gehen? Eine Entschuldigung wird es wohl kaum geben, niemand gibt öffentlich seine Unfähigkei zu. Ausreden will niemand hören und daß das BMI alles erfunden hat, glaubt auch niemand. Es wird also nix passieren. Es wird mal wieder ausgesessen statt diskutiert und die Politik macht einfach weiter wie bisher, ist für die nämlich auch besser, wenn ihre Kooperations-„partner“ nicht bei allzu vielen Menschen dumm aussehen.

  2. Joaquín sagt:

    Es geht allein um Machtbelange und um die Nähe zur oberen politischen Klasse!
    Die Interessenvertreter sehen sich schon als Abgeordnete oder Islambeauftragte der Bundesregierung! Hauptsache Gehalt aus dem Staatsdienst….
    Alles total peinlich!!! Aber, so sind Sie halt. Die Inhaltr bleiben auf der Strecke….

  3. Brandt sagt:

    Im Grundgesetz sind die Artikel niedergelegt, die den deutschen Staat verpflichten mit den Religionsgemeinschaften zu sprechen. Lesen Sie einmal selbst:

    Artikel 4

    (1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

    (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

    Artikel 7

    (1) Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.

    (2) Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.

    (3) Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.

    Der Text der Grundgesetz Artikel hätte bei mir zu der plausiblen Annahme geführt, dass sich die islamischen Religionsgemeinschaften eine Konferenz mit den 16 Kultusministerien abhalten würden.

    Nun haben wir aber das Bundesinnenministerium als Veranstalter, so dass man folgern muss: dass es schon am Anfang der Gedanke stand, die islamischen Verbände als Vorfeld-Organisationen für das Innenministerium einzuspannen.

    Natürrlich wäre es daher, den Islamgipfel abzusagen und neu aufzulegen mit den 16 Kultusminister. Als Beiräte wären Vertreter der Finanzministerien zu laden, um die Gleichstellung bei der Kirchensteuer mit zu beraten.

  4. AI sagt:

    @Brandt: Meinen Sie Kirchensteuer, oder Religionssteuer?

  5. Peter Müller sagt:

    Der deutsche Staat muss endlich kapieren, dass der Islam nicht so aufgebaut ist, wie das Christentum besser gesagt wie der KAtholizismus. Logisch, dass das Grundgesetz davon ausgeht. Als es geschrieben wurde gab es fast nur (noch) Christen im Land. Was will man aber damit, wenn sich die Realität im Land geändert hat. Muslime haben niemanden, der für sie sprechen kann, irgendwann wird es auch das deutsche Rechtssystem verstehen müssen und sich neue Ideen zur Einbeziehung von Muslimen machen müssen anstatt bloß auf das gute alte vorhanden Gesetzeswerk zurückgreifen zu können.

  6. Osman Genc sagt:

    Es ist ärgerlich, dass diese Debatte im Geschreie um die Mohamed-Film und die Protest untergeht.

  7. Osman Genc sagt:

    ok, muss mich korrigieren. Sehe gerade, das Kritik ist bei den „großen“ Medien doch nicht ganz untergegangen und zumindest am Rande erwähnt worden. Z.B. hier
    http://www.spiegel.de/spiegel/vorab/plakataktion-friedrich-hegt-unverstaendis-fuer-islamisch-verbaende-a-853357.html

    oder hier:
    http://www.tagesschau.de/inland/plakataktion-radikalisierung100.html

    Herr Mazyek gab sogar zu, dass er die Plakate vorher gekannt hat: „Dass wir nicht substantieller nachgehakt haben, sehe ich rückblickend kritisch.“

    Eine Erklärung für das Verhalten ist das natürlich nicht. Aber so haben es vielleicht dann doch einige Menschen auch außerhalb von migazin gelesen.

  8. Sinan Sayman sagt:

    ja frau kaddor, das ist für sie doch ein gefundenes fressen, stehen sie mit ihem kl. lib doch in großer konkurrenz zu den islamischen verbänden, nur all zu gerne würden sie doch gerne alle lehraufträge an schulen ihr eigen nennen, können sie gerne, aber ohne unsere kinder.

  9. Omar sagt:

    Grundsätzlich stimme ich Lamyas Ausführungen in großen Teilen zu. Vor allem ist auffällig, dass die beteiligten Vereine ziemlich verschwiegen sind in dieser Angelegenheit. Immerhin, die ditib hat den Austausch zwischen sich und dem BMI weitestgehend veröffentlicht (was ich sehr positiv bewerte, [1]) und die igmg war nicht beteiligt. Was aber mit den restlichen drei Verbänden (zmd, vikz und igdb) ist, das weiss man nicht weiter und diese halten es nicht für nötig, sich zu erklären. Dass der zmd-Vorsitzende Aiman Mazyek gefragt spartanisch mit „oops“ antwortet, entschuldigt nicht das Fehlen einer ordentlichen Erklärung.

    Problematisch sehe ich allerdings die Scheinheiligkeit des Artikels. Lamya Kaddor sagt: „Vermutlich können sich einige auf der langen Liste der Kritiker schon mal bei ihnen bedanken.“ – scheint sich doch die Autorin selbst übermäßig zu freuen, dass sie etwas kritisieren darf, was sie sich eigentlich selbst vorwerfen lassen müsste. Mitnichten ist es so, dass sich der Lib e.V. die Zeit für die Basisarbeit nimmt, bevor Unternehmungen in die Politik und an die Machtstrukturen unternommen werden.

    [1]: http://www.ditib.de/detail_pos2.php?id=5&lang=en

  10. Roman sagt:

    Finde ich toll Frau Kaddor, dass sie das Verhalten der Verbände hier so kritisch beschreiben. Ich habe das zwar schon vom Innenminister Friedrich irgendwo gelesen, aber das wird natürlich nicht überall wahrgenommen.
    Und wenn Seiten wie Pi-News das kritisieren, heißt es gleich wieder, das wären ja nur Rechte und die Lügen nur. Und die Verbände sind mit ihrem unmöglichem Verhalten aus dem Scheider, vor allem der Herr Mayzeck. Das kann und darf nicht sein. Sonst können wir das Thema Integration gleich wieder begraben, wie es einigen aus den Verbänden sicher ganz Recht wäre.