Zwischen Syrien und Deutschland

Auf dem Weg

Bassam ist in Damaskus geboren, ist Mitte 20 und arbeitet als Assistenzarzt in einem Krankenhaus in Deutschland. Er heißt in Wirklichkeit anders, muss aber anonym bleiben, da das Regime um Präsident Assad noch existiert und immer noch eine Bedrohung für jeden Syrer darstellt, der sich kritisch äußert.

Von Janos Tubel Dienstag, 21.08.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 26.08.2012, 23:48 Uhr Lesedauer: 9 Minuten  |  

Müde liegt Bassam auf seinem kleinen Bett in dem schmucklosen Raum eines Schwesternwohnheims. Auf dem Schreibtisch steht ein Laptop, auf dem Bildschirm sind lauter kleine Videofenster zu sehen. Die Videos lassen den Betrachter für einige Minuten oder Sekunden an einer verstörenden, brutalen Realität teilnehmen. Fern scheinen die Bilder, doch für Bassam sind sie ganz nah. Die kurzen Filme spielen in seiner Heimat Syrien. Die Menschen in den Videos – es könnten Freunde oder Bekannte von ihm sein.

Noch eine Stunde bis er Essen und Trinken darf. Um die Augen hat er dunkle Schatten und sein Mund ist so trocken, dass er nicht gut sprechen kann. Es ist Anfang August, das Wetter ist für Hochsommer eher schlecht, es regnet viel und richtig warm wird es auch nicht. Bassam ist froh darüber: „Zum Glück ist der Sommer in Deutschland so kalt!“ Bassam muss lachen. „Aber dafür ist es viel zu lange hell, das ist echt hart!“ Trotzdem hat er gemischte Gefühle, wenn er an das Ende des Ramadan denkt: „Ich freue mich darauf mehr unternehmen zu können, nicht mehr immer sparsam mit meiner Energie umgehen zu müssen. Aber ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich meine Religion nicht genug ausgeübt habe. Das macht mich auch traurig.“ Zwei Sachen haben Bassam im Fastenmonat gefehlt: Das gewohnte Umfeld und Zeit.

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Optimismus und Hoffnung
Zu Beginn des Ramadan, vor ca. einem Monat, gab Bassam dem syrischen Regime noch ein bis zwei Monate. Seine Hoffnung war aber, dass der unvermeidliche Untergang des Diktators schnell ginge, dass am Id-ul-Fitr, dem Fastenbrechenfest, Syrien mit der Möglichkeit zum Neuanfang beschenkt würde. So ist es nicht gekommen. Seine neue Prognose: „Noch zwei Monate, dann wird er vom Volk weggeschafft. Dann gibt es ein paar Jahre Chaos und dann wird es besser. Ich bin optimistisch und glaube, dass Syrien ein demokratischer Staat wird.“ Auf die Frage, ob er denn an Demokratie glaube, antwortet er energisch, fast entrüstet: „Ich glaube 100 Prozent an Demokratie. Jede Bevölkerung soll für sich selber entscheiden.“ Dieser Optimismus und der Glaube an eine bessere Zukunft schimmern oft durch seine Aussagen und helfen ihm scheinbar dabei, nicht an den den Hürden und Aufgaben zu verzweifeln, die er immer wieder überwinden muss.

Bassam lebt und arbeitet in einer mittelgroßen deutschen Stadt. Die Stadt ist für deutsche Verhältnisse weder besonders arm oder reich, noch besonders schön oder hässlich. Man würde das daher nicht unbedingt vermuten – die Stadt liegt nicht in einer der typischen strukturschwachen Regionen Deutschlands – aber für junge hoch-qualifizierte Ärzte ist die Stadt als Wohnort nicht besonders attraktiv. Im Krankenhaus herrscht Ärztemangel und junge Ärzte aus nicht-EU-Ländern werden eingestellt, um den medizinischen Notstand abzuwenden. In den großen Städten und bekannten Uni-Kliniken hatte Bassam keine Chance eingestellt zu werden. Bevorzugt werden Deutsche, danach EU-Ausländer und erst dann werden Menschen aus anderen Ländern in Betracht gezogen. Bassam macht hier seinen Facharzt der Inneren Medizin und lebt im angeschlossenen Schwesternwohnheim, um Geld zu sparen.

Harte Arbeit in Deutschland und bittere Realität in der Heimat
Die Arbeit – sie ist hart und die Oberärztin ist gnadenlos. Bassams Arbeitstag hat nicht selten zwölf Stunden, was in deutschen Krankenhäusern für viele Ärzte Realität ist. Zwölf Stunden Arbeit sind ermüdend, zwölf Stunden Arbeit ohne Essen und Trinken schwer vorstellbar. Dafür verdient er viel Geld – 2000 bis 2500 Euro Netto bekommt er raus. „Ich arbeite so viel, dass ich mit dem Geld gar nichts machen kann.“ Schwer zu sagen, ob Ironie in seiner Stimme liegt.

Die psychischen Belastungen durch die ständige Konfrontation mit Krankheit und Tod – viele Ärzte kennen sie wohl – sind für ihn momentan kein Thema. Er hat andere Probleme: In seiner Heimat bleibt der Tod nicht in den Krankenhäusern und Friedhöfen. Er lauert in den Straßen und hat seinen Weg in den Alltag gefunden: Wenn seine Schwester Einkaufen geht, wenn seine Mutter zur Arbeit in die Innenstadt fährt, wenn ein Cousin irrtümlich eingesperrt wird, wenn ein Freund froh ist wegen Teilnahme an einer Demo nur leicht gefoltert worden zu sein. „Jeden Abend nehme ich Kontakt zu meiner Familie auf. Zum Glück geht das Internet noch. Meine Familie verlässt nur noch selten die Wohnung. Wenn ich mal nichts von ihnen höre, werde ich fast wahnsinnig.“

Deutscher Alltag
Während des Ramadan geht Bassam jeden Abend zum Fastenbrechen in die türkische Moschee. „Dort bekomme ich eine Vorzugsbehandlung, weil ich Doktor bin. Ich weiß mittlerweile alles über die Krankheiten von jedem Einzelnen.“ In der Gesellschaft der türkischstämmigen Muslime fühlt er sich wohl, er genießt seinen Status, den ihm sein Beruf verleiht. „Ich war auch in der arabischen Moschee, aber ich möchte vermeiden die ganze Zeit meine Lebensgeschichte erzählen zu müssen. Mir gefällt es in der türkischen Moschee besser!“

Vorurteile und Alltagsrassismus begegnen ihm ständig, Bassam misst dem aber nicht allzu viel Bedeutung bei. „Es gibt in jedem Krankenhaus ein paar Rassisten. Einmal hat mir eine Frau gesagt, dass sie einen NPD-Mitgliedsausweis hätte. Ich wusste nicht was das ist und fragte nach. Sie reagierte sehr verwirrt.“ Bassam muss lachen. Allerdings: „Wenn die Leute hören, dass ich aus Syrien komme, werden sie manchmal ganz plötzlich zurückhaltend. Wegen meinem Aussehen halten mich viele für einen Südeuropäer, für einen Franzosen oder Spanier. Ich sage dann trotzdem, wo ich wirklich herkomme.“ Noch andere Dinge stören ihn: „Wenn man keine Frau dabei hat, ist es für Dunkelhäutige schwierig in Diskos zu kommen.“ Bassam hat ein Netz an Bekannten und Freunden, dass über ganz Deutschland verteilt ist. Die meisten davon hat er in Damaskus kennengelernt. Diese Kontakte erleichtern es ihm, Anschluss zu finden.

Ruhe und Frieden in Neu-Damaskus
Bassam ist ein Kind der privilegierten Mittelschicht in Damaskus. Seine Mutter hat einen Job im öffentlichen Dienst, sein Vater arbeitet als Ingenieur und Taxifahrer. „Das ist ganz typisch in Syrien. Akademiker müssen verschiedene Jobs machen, viele Gebildete fahren nebenbei Taxi.“ Die Familie lebt in einer 4-Zimmer-Wohnung, in einem modernen Hochhaus der damaszener Vorstadt Dummar, Neu-Damaskus genannt. Es ist ein ruhiger und sauberer Stadtteil, das Leben hier ist teuer. Dummar liegt hinter dem Berg Qasiyun. Man verlässt das alte Damaskus und folgt einer kurvigen Straße, die sich zwischen dem Berg Qasiyun und dem weitläufigen Areal des Präsidentenpalastes windet. Die Hektik, der Lärm und der Schmutz der Metropole Damaskus bleiben zurück. Dummar ist ein Suburb im Schatten des Berges. Heute ist die Straße unterbrochen von Militärcheckpoints, der Weg in die Stadt dauert nun dreimal so lange. Auf dem Berg Qasiyun steht jetzt Artillerie – bereit die eigene Hauptstadt zu bombardieren. Vor Ausbruch der Kämpfe war der Berg ein beliebtes Ausflugsziel.

In der Näher der Wohnung von Bassams Familie gibt es eine noch unbebaute Brachfläche und braunes, steiniges Land, von einem Zaun umgrenzt, mit einem Wachturm auf einer Erhebung in Sichtweite. Es ist der Rand des militärisch befestigten Gebietes, auf dem die Palastanlage der Herrscherfamilie steht. Auf der Brachfläche daneben versammelten sich vor mehr als einem Jahr, als die Proteste anfingen und erste Demonstrationen in Damaskus stattfanden, Sicherheitskräfte und große grüne Busse. Die Männer des Regimes hielten sich dort für Prügeleinsätze in anderen Stadtteilen verfügbar, zu denen sie mit den zweckentfremdeten Bussen gebracht wurden. Die Busse waren in Friedenszeiten ein Teil des chronisch überlasteten öffentlichen Personennahverkehrs. In Dummar selber kamen die mit Latten und Eisenstangen bewaffneten Männer nicht zum Einsatz, dort blieb und bleibt es ruhig. Die Leute dort haben etwas zu verlieren. Mittlerweile hört man aber selbst hier die Bombenexplosionen aus der Stadt hinter dem Berg.

Geplanter sozialer Aufstieg
Geboren wurde Bassam in einem relativ armen Stadtteil. Dort steht noch immer das Haus seiner Großeltern, dass er früher als Art Wochenendabsteige benutzte, um sich mit Freunden zu treffen und Wasserpfeife zu rauchen. Bassam lebte hier in seiner Kindheit, dann zog seine Familie um, in die Vorstadt, in ein gebildeteres und wohlhabenderes Umfeld. Als er klein war, durfte er nicht mit den Kindern auf der Straße spielen. „Meine Mutter hat mir das immer verboten, sie hielt die anderen Kinder für keinen guten Umgang. Sie meinte ich solle lieber Hausaufgaben machen und lernen.“ Der soziale Aufstieg ist das prägende Moment seines Lebens. Seine Eltern haben den großen Sprung in das wohlhabende Dummar geschafft und die Kinder sollen den Weg weitergehen. Für Bassam war die Richtung klar definiert: überdurchschnittliches Abitur, Studium der Medizin, als Arzt Karriere machen. Sollte er es schaffen, war klar, dass er seine Geschwister finanzieren würde. Sein Bruder studiert BWL und seine Schwester Architektur. Auch in Syrien kostet eine gute Ausbildung eine Menge Geld.

Bassam begann die Weichen für seine Karriere zu stellen: Er besuchte Deutschkurse im Goethe-Institut in Damaskus, traf sich mit deutschen Studenten, legte international anerkannte Prüfungen zusätzlich zu den obligatorischen ab. Nach einigen Jahren konnte
er nahezu perfekt deutsch und hatte einen der besten Abschlüsse seines Jahrgangs in der Tasche. Dazu besaß er Praxiserfahrung im Uni-Krankenhaus in Damaskus und hatte eine mit Auszeichnung bestandene Amerikanische Prüfung, die er in Jordanien abgelegt hatte sowie drei absolvierte Praktika in deutschen Krankenhäusern vorzuweisen. Dann durchkreuzten die politischen Entwicklungen seine Pläne. Eigentlich wollte Bassam an einer deutschen Universität noch einen Doktortitel drauflegen, dafür fehlte nun die Zeit und das Geld. Bassam musste, wenn er Geld verdienen wollte das Land verlassen und zwar schnell. Nun begann für ihn eine Odyssee durch den Sumpf der syrischen und anschließend der deutschen Behörden. Er wäre fast gescheitert. Nach unzähligen Gesprächen, Anträgen und Erklärungen, nachdem seine Familie eine nicht geringe Summe Geld zusammengekratzt hatte und nach einem Zeitraum von fast einem ganzen Jahr, hatte Bassam endlich einen Aufenthaltstitel mit Arbeitserlaubnis. Ein Job war schnell gefunden, viele deutsche Krankenhäuser suchen ja händeringend nach Ärzten.

Auf Kurs bleiben
Wenn der Ramadan vorbei ist, geht es weiter. Bassam hat immer einen Plan, wie es weitergeht. Er verfolgt seinen Lebensentwurf, an dem auch ein Stück weit das Schicksal seiner Geschwister, ja seiner ganzen Familie hängt,ehrgeizig und hangelt sich daran entlang. Der nächste Zwischenstopp ist die so genannte Gleichwertigkeitsprüfung. Besteht er, bekommt Bassam den gleichen Status wie ein deutscher Arzt. Die Lehrbücher liegen schon bereit. Bald wird er mit einem mehrmonatigen Lernmarathon beginnen. Ein paar Monate wird er abends, nachts und die Wochenenden mit den Büchern verbringen. Die Wochen vor der Prüfung werden dann ganztägig gelernt. Seinen Urlaub hat Bassam bereits verplant. Feuilleton Leitartikel

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