Report nach NSU
Das Kartell der Verharmloser
Die Aufdeckung der Mordserie des rechtsextremistischen NSU war eine Zäsur im Umgang mit dem Rechtsextremismus. Doch was hat sich geändert, wie sieht es vor Ort aus und was muss sich noch tun? Das beleuchtet ein Report der Amadeu Antonio Stiftung.
Mittwoch, 15.08.2012, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 19.08.2012, 22:21 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Als Reaktion auf die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) beschloss der Deutsche Bundestag am 22. November 2011 einstimmig „gerade jetzt alle demokratischen Gruppen [zu ] stärken, die sich gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus engagieren“. Und weiter: „Wir werden prüfen, wo dem Hindernisse entgegenstehen.“ Darauf reagiert die Amadeu Antonio Stiftung mit ihrem Report „Das Kartell der Verharmloser – Wie deutsche Behörden systematisch rechtsextremen Alltagsterror bagatellisieren“.
Der Report greift beispielhaft die Situation in acht Bundesländern auf, in denen über Jahre der Rechtsextremismus von den zuständigen Behörden kleingeredet wurden. Die Gefährlichkeit der Täter werde negiert, Rassismus als Tatmotiv bei rechtsextremen Straftaten ausgeblendet, die prekäre Lage der Opfer zusätzlich erschwert. Trotz des Bekanntwerdens der NSU-Mordserie habe sich daran nichts geändert.
NSU Spitze des Eisbergs
„Die Taten des Nationalsozialistischen Untergrunds sind nur die Spitze eines Eisberges rechter Gewalt, der sich bis heute in vielen Kommunen als rechtsextremer Alltagsterror darstellt. Nicht zuletzt deshalb sind große Teile Ostdeutschland eine No-Go-Area für Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe geblieben. Doch diese alltägliche Dimension des rechtsextremen Terrors droht trotz der Arbeit im NSU-Untersuchungsausschuss wieder aus dem Blick zu geraten“, so Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung.
Schlimmer noch: Wie der Report zeigt, verharmlosen, bagatellisieren und relativieren die zuständigen Sicherheitsorgane häufig das Ausmaß der rechten Gewalt im Alltag. Der Terror des NSU könne und dürfe nicht ohne die alltägliche Dimension der rechten Gewalt in Deutschland gesehen werden. Die ganze Bundesregierung sei hier mit einem konzeptionellen und vernetzten Handeln sowie einem Fokus auf die Perspektive potenzieller Opfer von rechter Gewalt gefragt. Es sei absurd, wenn sich die ganze Kritik auf den Bundesinnenminister konzentriere, aber die für Prävention zuständige Ministerin Schröder die Hände in den Schoß lege.
Mauer aus Ignoranz und Verharmlosung
Kahne weiter: „Auch der Bundestag muss handeln: Die Abgeordneten müssen sich stärker vor Ort mit Rechtsextremismus auseinandersetzen und dürfen nicht die Kommunen und Verwaltungen aus ihrer menschenrechtlichen Pflicht- den Schutz für alle Menschen zu garantieren entlassen werden. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass Migranten weniger wert sind, als Herkunftsdeutsche.“
Marion Kraske, Politologin & Publizistin, die den Report im Auftrag der Amadeu Antonio Stiftung erstellt hat, ergänzt: „Opfer rechter Gewalt, Beratungsstellen und Opfervereine kämpfen bundesweit gegen eine Mauer aus Ignoranz und Verharmlosung an. Polizei und Strafverfolgungsbehörden negieren nur allzu oft die politischen Motive von Rassismus. In vielen Städten existiert eine Kultur des Wegschauens: Die Opfer werden in ihrer Notsituation allein gelassen, die Täter hingegen erfahren Solidarisierung und können dadurch immer mehr gesellschaftlichen Raum besetzen. Wer das Nazi-Problem offen anspricht, trifft dagegen auf Abwehr, wird gar als Nestbeschmutzer diffamiert. Insgesamt fehlt in vielen Bundesländern und Kommunen eine klare Positionierung gegen rechtsextreme Gesinnung und ihre gewaltbereiten Schläger und Provokateure. Die wehrhafte Demokratie wird so zur Farce.“
Keine Lehren aus dem NSU gezogen
Katja Fiebiger, Projektleiterin der Mobilen Beratungsstelle MOBIT in Thüringen, beschreibt es so: „Eigentlich haben die Verantwortlichen vor Ort aus dem NSU keine Lehren gezogen. Erst im Juli 2012 gab es einen gewalttätigen Übergriff durch Rechtsextreme auf eine Kunstausstellung in Erfurt. Trotz eindeutiger Indizien, wie Bekleidung der Täter mit rechten Symboliken und Sieg Heil- Rufen, ermittelte die Polizei anfänglich nur wegen einer Schlägerei. Erst auf Drängen der Beratungsstellen wird auch ein rechtsextremer Hintergrund geprüft. Oft reagieren die Behörden erst auf Nachfrage von außen. Ohne den zivilgesellschaftliche Druck würden viele Fälle gar nicht ernst genommen“.
Download: Der Report „Das Kartell der Verharmloser: Wie deutsche Behörden systematisch rechtsextremen Alltagsterror bagatellisieren.“ Amadeu Antonio Stiftung kann für 5 Euro für Porto und Verpackung bestellt oder kostenlos im Internet heruntergeladen werden.
Die beschriebenen Zustände sind laut Report ein gesamtdeutsches Phänomen. Dabei wird vor allem im Westen des Landes die rechte Szene von der Öffentlichkeit massiv unterschätzt. Seit vielen Jahren wird beispielsweise der Stadtteil Dortmund-Dorstfeld in NRW von Nazis terrorisiert. Erst durch die NSU-Mordserie hat es hier auf Landesebene endlich ein Umdenken gegeben.
NSU eine Zäsur
„Dortmund ist ein Hotspot des Rechtsextremismus. Vor allem die Autonomen Nationalisten schüren bis zum heutigen Tag Angst und Unsicherheit. Zehn Jahre lang ist der Rechtsextremismus hier verharmlost und ignoriert worden. Wir fangen bei Null an. Die Finanzierung einer unabhängigen Opferberatung kommt spät, ist aber ein Schritt in die richtige Richtung. Doch trotz der hoffnungsvollen Weichenstellung fehlen auch in NRW noch immer finanzielle Mittel, um die Beratungsarbeit gegen rechts auf eine solide Grundlage zu stellen. Dabei wurde schon genug Zeit vertan, gewaltbereite Neonazis konnten erstarken, ihre Netze spannen, Menschen folgenlos angreifen“, erklärt Claudia Luzar, Leiterin der Opferberatung back up, NRW.
Auch Wolfgang Thierse (SPD), Vizepräsident des Deutschen Bundestages, ist überzeugt, dass eine Mischung aus Verharmlosen, Verschweigen und Vertuschen durch Polizei, lokale Behörden und Kommunalpolitik vielerorts eine düstere Situation erzeugt haben. Thierse: „Es bedarf einer breiten gesellschaftlichen Sensibilisierung, um das System der Verharmlosung endlich zu durchbrechen und rechten Alltagsterror wirksam zu ächten.“
Für Stefan Ruppert (FDP), Berichterstatter der FDP-Bundestagsfraktion für das Thema politischer Extremismus, ist die NSU-Aufdeckung eine Zäsur im Umgang mit dem Rechtsextremismus in Deutschland. „Ein Ignorieren oder Verharmlosen rechter Straf- und Gewalttaten darf es zukünftig nicht mehr geben.“ (es) Aktuell Gesellschaft Studien
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