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Ein Fremdwoerterbuch

Salafismus als Ausweg

In den Monaten vor ihrem Verschwinden schaute sich Seher stundenlang Videos von islamischen Predigern im Internet an. Anfangs ist die religiöse türkische Familie unbesorgt. Dann distanziert sich Seher immer mehr von ihren Eltern. Schließlich kritisiert sie ihren Vater, er würde sein Geld unislamisch verdienen. In diesem Haushalt könne sie deshalb nicht Essen, nicht Trinken, das sei nicht halal, nicht islamkonform. Dann verschwindet sie.

Von Kübra Gümüşay Mittwoch, 11.07.2012, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 13.07.2012, 1:10 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Zwei Wochen später erreicht die Familie dann ein Anruf von einer salafitischen Gemeinde in Mönchengladbach. Die Tochter sei gesund und wohlauf. Sie sollen sich keine Sorgen machen, Seher sei bei ihnen untergekommen. Selbstverständlich werde man sich bemühen, sie nach Hause zu schicken, sagt das Gemeindemitglied am Telefon. Aber – das müsse auch gesagt werden – die Tochter habe recht. Der Vater solle sich eine neue Arbeit suchen.

Sehers Geschichte ist eine von vielen, die mir ein muslimischer Soziologe erzählt. Er betreut Familien, die sich hilfesuchend an ihn wenden. Familien, die nicht wissen, wie sie mit dem Salafismus und der neu gewonnen Religiosität ihrer Kinder, die so anders als ihre ist, umgehen sollen.

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Für Nurhan sind diese Geschichten nichts Neues. Sie ist engagierte Schulsprecherin, erfolgreiche Schülerin und religiös praktizierende Muslimin. Lange war sie eine der wenigen Kopftuchträgerinnen auf ihrem Gymnasium, heute sind es deutlich mehr. Und denen ist Nurhan heute nicht islamisch genug mit ihrem bunten Kopftuch, der hellen Kleidung und ihrer Freude am Kontakt zu Frauen wie Männern; deshalb wird sie schon mal „Muslim light“ geschimpft.

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Es ist Abiball-Zeit. Die Stufe diskutiert mit einem Lehrer die Organisation des Abends, Thema ist Alkohol. Weil viele Muslime in der Stufe sind, plädiert Nurhan dafür, erst ab der zweiten Hälfte des Abends Alkohol auszuschenken, kurz vor dem Partyteil. Zwei Sitze entfernt sitzt Hamza. „Ich dachte, du wärst eine richtige Muslimin“, sagt er zu Nurhan. „Warum sagst du das?“, fragt sie. „Wenn man in einem Raum so eng mit so vielen Frauen und Männern sitzt, im Haus des Shaytan (des Teufels), was passiert dann mit deinem Iman (Glauben)?“ Wer zum Abiball gehe, sei ein Munafiq, ein Heuchler. Nurhan ist verletzt, leise versucht sie, sich zu wehren.

Dann ruft der Lehrer alle, die nicht zum Abiball kommen, dazu auf, sich vor die Stufe zu stellen und zu rechtfertigen. Als niemand aufsteht, tut es Nurhan. „Das können Sie nicht verlangen“, sagt sie dem Lehrer, „der Abiball ist keine Pflichtveranstaltung. Es gibt einige, die können es sich finanziell nicht leisten, andere, die aus religiösen Gründen nicht wollen. Sie können sie doch nicht vor den anderen bloßstellen“, kritisiert sie.

„Ich will vermitteln“, sagt Nurhan und wird dabei zerrieben. Da sind die Lehrer, die über die „Islamisierung“ der Schule schimpfen und spöttisch über die muslimischen Schüler herziehen, und die Klassenkameraden, die Nurhan vorschreiben wollen, wie sie den Islam zu leben habe. „Aber die Salafisten haben auch viel Gutes gemacht“, sagt sie. „Sie haben viele von der Straße und aus der kriminellen Szene geholt. Sie haben ihnen Zusammenhalt geboten, wie eine Familie.“ Statt die Salafisten zu kritisieren, müssten die übrigen Muslime eine Alternative anbieten, sagt sie. Bis dahin werde sie sich zerreiben lassen müssen. Aktuell Meinung

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