Pro und Contra
NPD-Verbot
In der wissenschaftlichen und publizistischen Debatte um das NPD-Verbot ist keine Rechts-Links-Frontenbildung festzustellen. Sowohl Befürworter als auch Skeptiker eines erneuten Verbotsverfahrens haben nachvollziehbare Argumente.
Von Prof. Uwe Backes Montag, 18.06.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 18.06.2012, 19:47 Uhr Lesedauer: 20 Minuten |
Die Enthüllungen über das mörderische Treiben des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) haben die Forderung nach dem NPD-Verbot erneut auf die politische Tagesordnung gebracht. Zwar hat sich die Partei eilends von „den abstoßenden Taten des Kriminellen-Trios“ distanziert und erklärt, „dass sie Terrorismus und Gewalt jedweder politischer Richtung ablehnt und aufs Schärfste verurteilt“. 1 Aber wie schon bei vielen früheren Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund fehlte es auch im Fall der „Zwickauer Terrorzelle“ nicht an Spuren, die vom militanten Milieu in die Partei führen. Am 29. November 2011 wurde der ehemalige NPD-Funktionär Ralf Wohlleben in Jena unter dem Verdacht festgenommen, die Gruppe von Ende der 1990er Jahre an finanziell unterstützt und ihr eine Schusswaffe mit Munition beschafft zu haben. 2 Ab 1999 war er mit Unterbrechungen Mitglied des thüringischen NPD-Landesvorstandes. 3 Solche Verbindungen sind kein Zufall, hat sich die NPD doch seit 1996 für Aktivisten aus NS-affinen „Kameradschaften“, „Freien Kräften“ und subkulturellen Gruppierungen (Skinheads, Hooligans) geöffnet, sie für Demonstrationen und Wahlkampfeinsätze eingespannt und bis in die Vorstandsebene hinein integriert. 4 Ihr symbiotisches Verhältnis zu militanten Szenen und ihre geistige Nähe zum historischen Nationalsozialismus unterscheiden die NPD im europäischen Vergleich von den meisten der bei Wahlen erfolgreichen Formationen am rechten Rand des politischen Spektrums. 5
Ist es mithin angesichts der deutschen Vergangenheit nicht ein dringendes Gebot politischer Hygiene, die NPD mittels Verbot aus dem politischen Prozess auszuschließen? Wollen wir etwa „in einem Land mit braunen Flecken leben“? 6 Oder wäre ein NPD-Verbot kaum mehr als eine billige „Ersatzhandlung“, mit der angesichts rechtsextremistischer Mordtaten einem emotionalen Bedürfnis nachgegeben wird, „etwas zu tun, ein Zeichen zu setzen“, 7 ohne die Folgen kühl kalkulierend abzuwägen? Besteht die Gefahr, dass der demokratische Staat mit einem erneuten NPD-Verbotsantrag in eine „unsägliche Falle“ 8 tappt, weil die Erfolgsaussichten zuvor nicht hinreichend geprüft werden? Unter welchen Voraussetzungen kann ein NPD-Verbot überhaupt Erfolg haben? Welche Wirkungen wären von ihm zu erwarten? Welche Chancen, welche Risiken sind damit verbunden? Antworten auf diese Fragen sucht der folgende Beitrag zu geben, indem er zunächst eine Informationsgrundlage zum Instrument des Parteiverbots schafft. Anschließend werden die Argumente der Verbotsskeptiker wie der Verbotsbefürworter einander gegenübergestellt, um zu einer bilanzierenden Einordnung der komplexen Problematik zu gelangen.
Parteiverbot als Instrument der „streitbaren Demokratie“
Parteiverbote sind kein selbstverständlicher Bestandteil des Demokratieschutzes – wie etwa die alten Verfassungsstaaten Großbritannien und USA zeigen, die ein solches Instrument nicht kennen. 9 Umgekehrt suchen Diktatoren ihre Herrschaft nicht selten mit Parteiverboten zu stabilisieren. Wenn die Väter und (wenigen) Mütter des Grundgesetzes ein Parteiverbot in der Verfassung verankerten, so stand ihnen nicht das Sozialistengesetz des Kaiserreiches (Verbot sozialistischer/sozialdemokratischer Organisationen unter Bismarck) vor Augen, sondern der Untergang der Weimarer Republik, die sich nach verbreiteter Lesart nur halbherzig gegen ihre Feinde zur Wehr gesetzt hatte. Mit dem Konzept der „streitbaren“ oder „wehrhaften Demokratie“ nahm der Parlamentarische Rat Forderungen aus dem demokratischen Widerstand und Exil auf, die darauf zielten, die neue deutsche Demokratie gegen Extremismus resistent zu machen und einen erneuten autokratischen Rückfall zu verhindern. 10 Die Betonung der Wertebasis des Grundgesetzes, der Menschenwürde (Art. 1), und des damit verbundenen institutionellen Kerngehalts (Art. 20; Art. 79 Abs. 3) fand ihre Entsprechung in Abwehrinstrumenten wie dem Parteiverbot (Art. 21 Abs. 2), die nicht erst wirksam werden sollten, wenn der Versuch eines gewaltsamen Umsturzes unternommen würde. Stattdessen war daran gedacht, extremistischen Bestrebungen bereits dann entschieden entgegenzutreten, wenn diese sich der von den Nationalsozialisten praktizierten „Legalitätstaktik“ bedienten, also den Versuch unternähmen, die Demokratie mit ihren eigenen Mitteln (Wahlen, Parlamente) zu schlagen, Gewaltenkontrolle, Pluralismus, Minderheitenschutz und Freiheitsrechte außer Kraft zu setzen. 11
Anders als das Vereinigungsverbot (Art. 9 Abs. 2) ist das Parteiverbot jedoch kein einfach zu handhabendes Instrument der Exekutive. Wegen der elementaren Bedeutung des Parteienpluralismus für das Funktionieren eines demokratischen politischen Prozesses kann es nur von der höchsten Instanz der Judikative, dem Bundesverfassungsgericht, ausgesprochen werden. Dies ist in der Geschichte der Bundesrepublik bisher nur zweimal erfolgt: 1952 gegen die rechtsextremistische Sozialistische Reichspartei (SRP) und 1956 gegen die linksextremistische Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Allerdings tat sich das Gericht im Falle der (an Ost-Berlin und Moskau orientierten) KPD schwerer als in dem der (am Nationalsozialismus orientierten) SRP. Im KPD-Urteil wurde daher betont, eine Partei sei „nicht schon dann verfassungswidrig“, wenn sie die „obersten Prinzipien einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht anerkennt, sie ablehnt, ihnen andere entgegensetzt. Es muss vielmehr eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung hinzukommen; sie muss planvoll das Funktionieren dieser Ordnung beeinträchtigen, im weiteren Verlauf diese Ordnung selbst beseitigen wollen.“ 12
Diese hohe Hürde trug dazu bei, dass Parteiverbote zwar öfters öffentlich gefordert, aber selten in die Tat umzusetzen versucht wurden, zumal sich das „Weimar-Trauma“ im Zuge des Konsolidierungsprozesses der Bundesrepublik Deutschland allmählich abschwächte. Die NPD war schon in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre nach einer Serie von Wahlerfolgen auf Landesebene Gegenstand einer erregt geführten Verbotsdiskussion. 13 Die Chancen, ein Verbot durchzusetzen, waren jedoch gering, da die besitzbürgerlichen und deutschnationalen Elemente der Partei Adolf von Thaddens dominierten, so schwer die Vorbehalte gegenüber ihrer Verfassungstreue auch wogen. 14 Die ideologisch wie strategisch weiter radikalisierte NPD der zweiten Hälfte der 1990er Jahre bot demgegenüber ein anderes Bild, sodass die Partei im 2001 eingeleiteten Verfahren wohl verboten worden wäre, hätten drei der sieben zuständigen Verfassungsrichter aufgrund der V-Mann-Problematik (Präsenz zahlreicher Informanten des Verfassungsschutzes in NPD-Vorständen; Nutzung der Aussagen von Informanten zum Nachweis der Verfassungswidrigkeit der Partei in den Verbotsanträgen) nicht letztlich unüberwindbare Schwierigkeiten für die Gewährleistung eines fairen rechtsstaatlichen Verfahrens gesehen. 15 So wird ein neues Verfahren nur dann erfolgreich geführt werden können, wenn jeglicher Verdacht der unzulässigen staatlichen Beeinflussung der Parteileitungen entkräftet ist.
- NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, NPD-Fraktion verurteilt jegliche Form des Terrorismus und fordert Aufklärung über geheimdienstliche Verstrickungen in Sachen „Döner-Morde“, Meldung vom 14.11.2011.
- Vgl. Pressemitteilung des Generalbundesanwaltes, Nr. 41/2011.
- Vgl. Porträt: Ex-NPD-Funktionär im Visier, in: Focus vom 29.11.2011.
- Vgl. Uwe Backes/Henrik Steglich (Hrsg.), Die NPD. Erfolgsbedingungen einer rechtsextremistischen Partei, Baden-Baden 2007; Marc Brandstetter, Die NPD im 21. Jahrhundert. Eine Analyse ihrer aktuellen Situation, ihrer Erfolgsbedingungen und -aussichten, Marburg 2006; Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.), Die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD) als Gravitationsfeld im Rechtsextremismus, Köln 2006; Uwe Hoffmann, Die NPD. Entwicklung, Ideologie und Struktur, Frankfurt/M. 1999; Richard Stöss, Rechtsextremismus im Wandel, Berlin 2010.
- Vgl. Uwe Backes, The Unsuccessful Parties – Ideologies, Strategies, and Conditions of the Failure, in: ders./Patrick Moreau (eds.), The Extreme Right in Europe. Current Trends and Perspectives, Göttingen 2012, S. 149-169.
- Claus Christian Malzahn, Die NPD ist antidemokratisch und gehört verboten, in: Die Welt vom 16.11.2011.
- Thomas Schmid, Warum ein NPD-Verbot völlig untauglich wäre, in: Die Welt vom 16.11.2011.
- So der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, in einem Interview in: Die Welt vom 4.12.2011.
- Vgl. Gregor Paul Boventer, Grenzen politischer Freiheit im demokratischen Staat. Das Konzept der streitbaren Demokratie in einem internationalen Vergleich, Berlin 1985; Gregory H. Fox/Georg Nolte, Intolerant Democracies, in: Harvard International Law Journal, 36 (1995) 1, S. 1-70; Dan Gordon, Limits on Extremist Political Parties: A Comparison of Israeli Jurisprudence with that of the United States and West Germany, in: Hastings International and Comparative Law Review, 10 (1987), S. 347-400; Eckhard Jesse, Demokratieschutz, in: ders./Roland Sturm (Hrsg.), Demokratien des 21. Jahrhunderts im Vergleich. Historische Zugänge, Gegenwartsprobleme, Reformperspektiven, Opladen 2003, S. 451-476.
- Vgl. Friedrich Karl Fromme, Von der Weimarer Verfassung zum Bonner Grundgesetz. Die verfassungspolitischen Folgerungen des Parlamentarischen Rates aus Weimarer Republik und nationalsozialistischer Diktatur, Berlin 19993 (1960); Armin Scherb, Präventiver Demokratieschutz als Problem der Verfassungsgebung nach 1945, Frankfurt/M. 1987.
- Vgl. Jürgen Becker, Die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VII, Heidelberg 1992, S. 309-359; Johannes Lameyer, Streitbare Demokratie. Eine verfassungshermeneutische Untersuchung, Berlin 1978; Andreas Sattler, Die rechtliche Bedeutung der Entscheidung für die streitbare Demokratie. Untersucht unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Baden-Baden 1982.
- BVerfGE 5, 85 (251); vgl. auch: Markus Sichert, Das Parteiverbot in der wehrhaften Demokratie, in: Die Öffentliche Verwaltung, 54 (2001) 16, S. 671-681.
- Vgl. Lars Flemming, Das NPD-Verbotsverfahren. Vom „Aufstand der Anständigen“ zum „Aufstand der Unfähigen“, Baden-Baden 2005, S. 88-94.
- Vgl. etwa Peter Dudek/Hans-Gerd Jaschke, Entstehung und Entwicklung des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik. Zur Tradition einer besonderen politischen Kultur, Bd. 1, Opladen 1984, S. 344-353.
- Für eine kritische Bewertung vgl. Theresia Anna Gelberg, Das Parteiverbotsverfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG am Beispiel des NPD-Verbotsverfahrens, Osnabrück 2009. Vgl. auch: L. Flemming (Anm. 13); Martin H.W. Möllers/Robert Chr. van Ooyen (Hrsg.), Parteiverbotsverfahren, Frankfurt/M. 20113; Christoph Weckenbrock, Die streitbare Demokratie auf dem Prüfstand. Die neue NPD als Herausforderung, Bonn 2009.
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Unterdessen widersprach der SPD-Politiker Dieter Wiefelspütz Darstellungen, er habe Friedrichs Rücktritt gefordert. Vielmehr habe er lediglich dessen Umgang mit rechtsextremistischen Terror kritisiert, sagte Wiefelspütz der Nachrichtenagentur dpa. Dies sei aber nicht als parteipolitische Abrechnung gemeint gewesen.