Doppelpass

Vater oder Mutter?

Die Diskussion über die doppelte Staatsbürgerschaft hat in Deutschland etwas von schlechten Rap-Battles. Eloquent kickt die eine Seite These um These „ihre Rhymes“, worauf die andere Seite mit schlechten Kontern vor lauter Paranoia Fracksausen bekommt.

Von Omid Nouripour Freitag, 18.05.2012, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 23.05.2012, 0:39 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Zuerst und der Thesen-Chronologie nach: Ja, ich besitze sie beide! Zwei Pässe! Ich kann nicht anders. Es ist wie die Liebe zu Vater und Mutter, nur das der Vater in diesem Falle Menschen quasi von Geburt an nicht ausbürgert. Punkt.

Gerate ich jetzt dadurch als Volksvertreter in einen Konflikt? Bleibe ich dem Grundgesetz nicht mehr loyal gegenüber, wenn ich alleine und ungestört zu schlechter persischer Exilanten-Musik aus Kalifornien in meinen eigenen vier Wänden tanze und später im Bundestag über den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan abstimme?

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Die Gegenargumente, die ich meist auf genau solch schlechten Rap-Battles höre, sind auf beiden Seiten der Peinlichkeitsgrenzen vorzufinden. MC Erika (Steinbach), im Zeichen Axt-Anlegerin an die Deutsch-Polnische-Freundschaft, stach neulich erst wieder heraus. Die Entscheidung zwischen Ehefrau und Affäre, sei für einen Mann schwieriger zu entscheiden, als die zwischen zwei Pässen. Wo ist das Ehe-Verständnis der Konservativen nur hingekommen?! Ein weiteres Mosaikstück in dem Bild der Argumentationslosigkeit vieler Gegner der Doppelten Staatsbürgerschaft.

Abgesehen von der Loyalitätsparanoia und Emotionalität dieser schlechten Argumente: Kann sich unsere Wirtschaft überhaupt diese Diskussion leisten? Wie produktiv ist diese Diskussion für unsere Stellung auf dem Weltmarkt, wenn wir Fachkräfte bzw. Menschen mit einem komplementären Erfahrungshorizont „bitten“ ihre Identität abzulegen bevor sie in unser Land kommen? Länder wie Kanada bieten genau diesen Fachkräften als erstes einen Pass an. Nicht etwa bloß um ihrer Willkommenskultur gerecht zu werden, sondern auch um die Menschen dadurch an das eigene Land und damit an die eigene Wirtschaft zu binden. Die Chance auf Mehrstaatlichkeit ist hier ein entscheidender Faktor zur Wahl der neuen Heimat.

Im Übrigen: Falls Sie als „Migrant“ mit oder ohne Doppelpass, weder MC noch Volksvertreter werden wollen, sondern den diplomatischen Dienst anstreben, sollten sie vorher eines wissen: Es ist Voraussetzung, eine Erklärung zu unterzeichnen, sich niemals als Diplomat in ihr Geburtsland oder das Land ihrer Eltern versetzen zu lassen. Es könnte zu Loyalitätskonflikten kommen! Die positiven Erfahrungswerte der Briten und ihrer indisch stämmigen Diplomaten in Indien (bereits seit dem 19. Jahrhundert wohlgemerkt!) wurden paranoider weise nicht berücksichtigt. Und falls Sie Chinesisch können und in der Wirtschaft bei einem großen Unternehmen landen, werden sie sich bestimmt dagegen wehren müssen, nicht nach China versetzt zu werden.

Leider kann ich nicht auf chinesisch rappen, auch nicht auf türkisch. Jedoch weiß ich, das „Vaterland“ auf türkisch „Mutterland“ („Anavatan“) bedeutet. Die Geschichte des Verbotes der Mehrstaatlichkeit ist also wie die Frage nach der Liebe zu Vater oder Mutter. Wen von den beiden wollen Sie denn eigentlich lieben, auf wen wollen Sie verzichten? Aktuell Meinung

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  1. Per Lennart Aae sagt:

    Sehr geehrter Herr Nouripour, Sie schreiben:

    „Abgesehen von der Loyalitätsparanoia und Emotionalität dieser schlechten Argumente: Kann sich unsere Wirtschaft überhaupt diese Diskussion leisten? Wie produktiv ist diese Diskussion für unsere Stellung auf dem Weltmarkt, wenn wir Fachkräfte bzw. Menschen mit einem komplementären Erfahrungshorizont „bitten“ ihre Identität abzulegen bevor sie in unser Land kommen?“

    Meine Antwort hierauf lautet wie folgt:

    Die Frage der „Produktivität“ ist davon abhängig, ob Sie diesen Begriff im Sinne eines Exportunternehmens oder einer soziokulturell gewachsenen Gesellschaft meinen. Das heißt: Sie hängt davon ab, ob es das Ziel der Bundesrepublik Deutschland ist, gleich einer Aktiengesellschaft ihre Stellung auf den Weltmärkten zu bewahren (oder gar zu forcieren, extremer noch als heute ohnehin der Fall ), oder aber die Integrität ihres deutschen Staatsvolkes zu schützen und vernünftig, das heißt nachhaltig, weiterzuentwickeln.

    Ich weiß, daß die meisten etablierten Politiker heute die soziokulturelle Gesellschaft eher als Kapitalgesellschaft denn als kulturell und sozial gewachsenes Gemeinwesen ansehen. Aber vergessen wir nicht, daß auch für die Römer der Kaiserzeit die Stellung Roms in der Welt, militärisch und wirtschaftlich, zunehmend zum alleinigen Staatsziel wurde, während die soziokulturellen und sozioökonomischen Grundlagen des römischen Volkes, auf Grund derer sich die Weltmacht allein hatte entwickeln können, zur Nebensache verkamen und letztlich überhaupt kein Thema mehr waren. Die Folgen kennen wir.

    Die Frage ist, ob wir die ethnisch-kulturell bedingte Solidar- und Schicksalsgemeinschaft als Selbstzweck anerkennen, oder aber als bloßes Mittel für eine aggressive Geschäftspolitik auf den Weltmärkten sehen.

    Die Frage hat zwei Aspekte, einen wissenschaftlichen und einen axiomatischen, letzterer im Sinne von nicht mehr beweisbedürftigen und auch nicht mehr verhandelbaren Grundwerten und Grundpositionen.

    Die wissenschaftliche Diskussion führt über den Menschen als Gemeinschafts- und Kulturwesen und über die stammesgeschichtlich begründete Bedeutung der Ethno- und Kulturgemeinschaft für die Herausbildung der Persönlichkeit und für unser Menschsein überhaupt. Daß diese Gemeinschaft nicht statisch, sondern ständigen Veränderungen unterworfen ist, muß dabei natürlich berücksichtigt werden, aber nicht wie bei einem Phänomen, dessen Veränderlichkeit letztlich ein Ausdruck seiner Gegenstandslosigkeit (und, wenn man so will: Wertlosigkeit) ist, sondern in dem Sinne, in dem wir langfristig veränderliche Gleichgewichtssituationen in der Natur überhaupt (von der wir ja ein Teil sind) betrachten, etwa bei den natürlichen Biotopen.

    Den zweiten Aspekt kann man im Grunde als Teilaspekt des ersten sehen, er hat aber eine gewaltige politische Brisanz, denn er ist eng verbunden mit der Legitimation des Staates. Diese beruht auf zwei Prinzipien, einem materiellen und einem ideellen. Das materielle Prinzip ist das erfolgsorientierte Opportunitätsprinzip, durch welches wir als Individuen dem Staat gegenüber so lange loyal sind, wie er unsere materiellen Lebensgrundlagen, einen gewissen persönlichen Wohlstand und Sicherheit garantiert. Wenn dies vorübergehend nicht mehr oder nicht in ausreichendem Maße der Fall ist, kommt es auf das ideelle Prinzip an, eben auf den Grad der ethnisch-kulturellen Zugehörigkeit, auf unsere Fähigkeit zur Identifizierung mit dem Gemeinwohl, zum altruistischen Handeln. Ist auch diese nicht ausreichend gegeben, was in einer schockartig, gleichsam mit Gewalt, „multikulturell“ gemachten Gesellschaft stark zu befürchten ist, kann jegliche Legitimation des Staates in Frage gestellt werden – und WIRD früher oder später auch in Frage gestellt werden, wie die Geschichte lehrt.

    Vor diesem Hintergrund muß man sich nicht zuletzt auch fragen, inwieweit wir uns auf die berühmt-berüchtigten Weltmärkte, von denen heute 50 Prozent des deutschen BIP abhängen, wirklich verlassen können. Wenn die Stabilität des Staates und unseres Gemeinwesens im Sinne des o.g. materiellen Prinzips allein davon abhängt, ist diese Frage nicht nur berechtigt, sondern zwingend. Wir brauchen uns nur vor Augen zu führen, daß einerseits unsere Industrieproduktion zu einem ganz wesentlichen Teil aus Exportüberschüssen besteht, andererseits diese aber für die Stabilität des Weltwirtschafts- und Finanzsystems schädlich, ja unter Umständen katastrophal sind, wie wir heute besonders deutlich im Euro-Raum sehen. Was passiert in Deutschland, wenn unser Leistungsbilanzüberschuß auf annähernd Null schrumpft, was im Sinne einer innereuropäischen Stabilität eigentlich erforderlich wäre?

    Diese Frage sollte man sich vorlegen, bevor man ausländische Arbeitskräfte nach Deutschland holt, damit dieses Exportüberschußland noch größere Exportüberschüsse produzieren kann, während die deutsche Gesellschaft immer mehr ihre ethnische Integrität verliert und immer instabiler wird – und während gleichzeitig wegen der einseitig globalistischen wirtschaftlichen Ausrichtung nicht nur Länder wie Griechenland, sondern auch immer größere Regionen innerhalb von Deutschland ihre kleinteilige, arbeitsteilige innere Wertschöpfungsstruktur und damit die sozioökonomische Grundlage ihrer gesellschaftlichen Existenz verlieren?

    Per Lennart Aae