Journalismus

Es ist an der Zeit, öfter Tacheles zu reden

Was tun, wenn Journalisten sich nicht vom Verlauf eines Gesprächs überraschen lassen, sondern dem Beitrag ihren vorbereiteten Stempel aufdrücken - klischeehaft, stereotypisch? Dieser Frage geht Didem Yüksel nach.

Von Didem Yüksel Mittwoch, 09.05.2012, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 25.03.2014, 9:40 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Es ist an der Zeit, lauter als bisher die Stimme zu erheben und öfter Tacheles zu reden, wenn es darum geht, nicht zu zulassen, dass klischeehafte Bilder von Menschen mit türkischem Hintergrund in den Medien in die Gesellschaft hinein transportiert und projiziert werden.

Ich wurde letztens von einem großen Fernsehsender in meiner Rolle als Bundesvorstandsmitglied der Türkischen Gemeinde in Deutschland zum Thema Geschlechterquote interviewt. Mit der neuen Satzungsänderung hinsichtlich der Geschlechterquote gilt es, beide Geschlechter im Vorstand vertreten zu haben.

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Obwohl es um das Thema Geschlechterquote ging, stellte der Journalist ständig die Frage, warum die TGD die Frauenquote einführen würde. Hinsichtlich dessen habe ich ihn immer wieder und massiv verbessert und gesagt, die TGD führe eine Geschlechterquote und keine Frauenquote ein. Dennoch werden beide Begrifflichkeiten in seinem fertigen Beitrag von ihm vertauscht und so gewählt, wie es dem Journalisten gefällt.

Natürlich bin ich für Pressefreiheit. Aber ist das nun seine Vorstellung von der Pressefreiheit, um diese Wirklichkeit in der Mehrheitsgesellschaft mit Klischees verfrachtet darzustellen? Wem soll das nützen? Der Mehrheitsgesellschaft? Dem Journalismus?

In diesem Interview hat der Fernsehjournalist ständig klischeehafte Fragen gestellt, seine allererste Feststellung handelte davon, dass ja der türkische Mann ein Macho sei. Meine Antwort war, dass dies nicht verallgemeinert werden könne, da dies auf Männer zutreffen oder auch nicht zutreffen könne.

Da meine Antworten ihn nicht zufriedengestellt haben, hat er seine Haltung zu türkischen Männern in seinem O-Ton verdeutlicht. Darin heißt es: „Fortschritt ist dringend nötig, glaubt man dem Klischee, wonach viele Deutschtürken in einer Männermachowelt leben und Frauen höchstens ausnahmsweise unabhängig sind…“ Um seine Klischees aufrechtzuerhalten hat er folgende Bilder in den Beitrag hineingeschnitten: Es werden Männer in einem Türkischen Cafe und eine kopftuchtragende Frau auf einer Straße gezeigt. Diese Bilder unterstützen den Aufbau von Vorurteilen in unserer Gesellschaft, bzw. zementieren sie. Sie lassen außer Acht, dass auch die türkische Gesellschaft in Deutschland heterogen und nicht homogen ist.

Er stellte weiter stigmatisierende Fragen in Bezug auf die türkischen Frauen. Ich ließ auch hier keine Verallgemeinerung zu und gab Beispiele dafür, dass es in der Türkei, verglichen mit anderen europäischen Ländern, einen höheren Anteil von Frauen unter Professoren gibt. Dies wird in seinem Beitrag nicht erwähnt.

Schließlich landeten wir beim Thema Schule und ich sagte, dass in Grundschulen mehr Lehrerinnen arbeiteten als Lehrer und dennoch wären oft Männer Direktoren. Auch dass es Arbeitsstellen gibt, in denen Frauen im Vergleich zu Männern trotz gleicher Qualifikation schlechter bezahlt werden.

Was mich an diesem Beitrag am meisten gestört hat und noch immer stört: Obwohl ich mich sehr bemüht habe, die Klischeefragen des Journalisten zu dekonstruieren, indem ich Beispiele aus der Realität gab und seine Behauptungen zurückwies, hat er seine Pressefreiheit genutzt, um dann klischeehafte Bilder hineinzuschneiden. Damit werden seine Darstellungen der türkischen Community als These in der Öffentlichkeit als legitim dargestellt und so verleiht er seiner Stimme noch mehr Ausdruck, indem er die Realität über die heterogene Gruppe der Menschen mit türkischem Hintergrund hier völlig außer Acht lässt.

Und er geht noch einen Schritt weiter, indem er seine Thesen in einem zweiten Beitrag platziert hat. Hier arbeitet er diese Klischees noch stärker heraus, z.B. indem Knoblauchzehen für Menschen mit türkischem Hintergrund versus Kartoffeln für Menschen mit deutschem Hintergrund als Figuren eingesetzt werden und am Ende des Beitrags kommt der O-Ton: „Auch wenn die Türken nun die Quote haben. Kein Mann muss fürchten, dass die was bewirkt. Denn Frauenquoten sind in Deutschland meistens nur ‚getürkt‘.“ Er verwendet das Wort „getürkt“ unreflektiert und ohne das Bewusstsein, dass dieser Ausdruck andere Menschen verletzen oder stigmatisieren und andererseits die rassistischen Positionen stärken kann. Ich denke, dass dieser und auch viele andere Journalist/innen die Zuschauer/innen mit türkischem Hintergrund ignorieren, die diese Ausdrucksweise unpassend und demütigend finden.

Diese Art von Medienmenschen sollte über die einseitige Sichtweise in ihrer Berichterstattung nachdenken und unbedingt einen Sensibilisierungsworkshop u.a. zum Thema Critical Whiteness nutzen. Dann würde dieser Journalist vielleicht seine eigenen Vorurteile reflektieren und auch lernen, Menschen mit türkischem Hintergrund als Individuen zu sehen und sie endlich in ihrer Wirklichkeit und Normalität auch in den Medien – ohne jegliche Verzerrung – darzustellen. Aktuell Meinung

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  1. g.boos.niazy sagt:

    Liebe Frau Yüksel,
    Ihr Artikel ist der erste Schritt, auf den der zweite folgen sollte: die öffentliche Namensnennung der Journalisten, die in dieser Art und Weise arbeiten. So können andere von Ihrer Erfahrung profitieren und auf einer anderen Grundlage entscheiden, ob sie sich auf ein Interview einlassen oder nicht. Es ist mir klar, dass diese Liste ziemlich lang sein wird, denn jeder, der mit den Medien schon mal Kontakt hatte, kann darüber berichten, wie er mehr oder weniger verzerrend zitiert wurde. Je aktueller der Anlass ist und je kürzer der Beitrag, desto klischeehafter ist in der Regel das Resultat. Die Auswahl der Bilder ist manchmal geradezu grotesk, so findet sich z.B. zur Illustration eines Beitrags über muslimischen Feminismus in Deutschland das Bild einer Niqab-tragenden Palästinenserin im Gaza-Streifen mit auffallend grünen Augen. Man muss geradezu schon dankbar sein, dass überhaupt eine entlarvende Bildunterschrift drunter steht an der jeder erkennen kann, dass Bild und Beitrag nichts miteinander zu tun haben. Aber: ein Bild spricht mehr als tausend Worte und das Klische wird zementiert.
    Nur indem wir uns bestimmten, bekannten Medien und Journalisten verweigern, wird sich etwas ändern, denn die Journalisten sind darauf angewiesen, einen Beitrag zu bekommen. Falls der Druck einer tendenziösen Berichterstattung (gefragt ist, was sich vermarkten lässt) eher von den Redaktionen ausgeht, können die Journalisten diesen signalisieren, dass das auf diese Art und Weise nicht funktioniert und dadurch kann sich längerfristig etwas ändern.
    Der Hinweis auf das Interview, über das Sie berichten, war leider zu vage, als dass man hätte herausfinden können, wer es geführt hat ; ansonsten hätte jeder, der in die gleiche Situation kommt schon einmal eine bessere Chance von vornherein Bedingungen zu stellen, die einen vor solchem Ärger bewahren. Geht die Gegenseite darauf nicht ein, muss sie sich eben einen anderen Gesprächspartner suchen. Die nächste (bessere) Gelegenheit kommt bestimmt.

  2. theo sagt:

    Erklären Sie mir bitte den effektiven Unterschied zwischen „Frauenquote“ und „Geschlechterquote“. Führen Sie die Geschlechterquote ein, weil nicht ausreichend Männer repräsentiert waren?

    Was das „getürkt“ betrifft, so bin ich ganz ihrer Ansicht.

  3. BiKer sagt:

    @ theo

    ja, die geschlechterquote hat in der tat einem mann geholfen! hier: http://www.migazin.de/2012/04/05/die-wirkung-der-symbolischen-geschlechtequote/

    tja, so düpiert man sich selbst. hoffe, ist jetzt klar, was der unterschied ist ;)

  4. Jean Baptiste sagt:

    Auch wenn ich völlig Ihrer Meinung bin, was die Qualität des Beitrags im Speziellen und der journalistischen Bedienung von Klischees im Allgemeinen angeht: Dass Sie hier die Pressefreiheit anführen, finde ich erstens für Ihr Argument überflüssig, und zweitens zweifelhaft, weil Sie es auf eine fast vormärzliche Weise tun: Da „missbrauche“ jemand quasi seine Pressefreiheit, um schlechten Journalismus zu betreiben.

    Schlechtes journalistisches Handwerk hat aber nichts mit Pressefreiheit zu tun. Sätze der Art „Natürlich bin ich für Pressefreiheit. Aber…“ klingen völlig überflüssigerweise so, als stimme etwas mit der Pressefreiheit nicht, weil es schlechte Journalisten gibt, die schlechte Arbeit gut verkaufen.

  5. theo sagt:

    Mir geht es weniger um solche Einzelfälle, sondern um das Grundsätzliche.
    Und im Grundsätzlichen, vermute ich, war doch eher die Frau unter-repräsentiert (was ja auch kein allein türkisches Phänomen wäre). Aber ich las mich da gerne belehren.

    Disclaimer: Ich halte Frauenquoten per se für nicht schlecht.

  6. Ali sagt:

    Tja das nützt auch nix wenn man die Namen der Reporter kennt oder den Sender usw.
    Sollten die Reporter die Gewünschten Personen nicht ans Mikro oder vor die Kamera bekommen, tja dann…..basteln diese sich eben selber Personen oder helfen Ihnen in ein Amt. Beispiel?
    Stellt euch mal vor jemand hat sich noch nie wirklich mit Fussball beschäftigt, er kennt auch die Regeln nicht, er weiss nicht genau warum es den Schiri gibt und hat noch nie ein Spiel vom Anfang bis Ende gesehen…..nicht mal selber gespielt hat….und dieser jemand wird dann „Fussballexperte“ in den Qualitätsmedien genannt und zitiert!
    Also wenn ich mir ansehe das es Menschen gibt in Deutschland, die noch nie sich im entferntesten mit dem Islam beschäftigt haben, noch nie eine Mosche von innen gesehen haben, noch nie ein Gebet von Anfang bis Ende beobachtet haben, noch nie den Quran gelesen haben……..nicht mal selber Muslime sind…….
    in den „Qualitätsmedien“ aber gelten diese Personen als „Islamexperten“!? So könnte ich bestimmt behaupten das dieser nicht genannte Reporter hier sich auch als „Türkexperte“ bezeichnen würde.
    Immerhin kennt er alle Vorurteile und ist fest davon überzeugt das diese auf alle Türken übertragbar sind.
    Soll heißen wenn diese Medien die gewünschten Personen nicht vor die Kamera bekommen dann basteln diese sich selber welche, oder ernennen andere eben mal zu „Experten“.

  7. Tante Jay sagt:

    Ich halte Vorurteile nach wie vor für nichts schlechtes, sie sind unvermeidlich. Ich *kann* nicht alles kennen, worüber ich mir ein Urteil bilde.

    Schlimm ist aber der Umgang mit Vorurteilen. Wenn ich nicht erkenne, dass ich mich blenden lasse, nicht mehr den Menschen sehe, sondern das, was er MEINER MEINUNG nach repräsentiert:

    – fanatischer Islamist (was immer Islamist bedeuten mag, aber es klingt so schön)

    – Macho

    – potenzieller Ehrenmörder

    Und immer sinds die Männer, die angefeindet und die Frauen, die bedauert werden.
    Die das aber oft gar nicht wollen, weil sie so leben wollen. Ich habe eine türkische Frau mal gefragt, warum sie ein Kopftuch trägt. Ich war neugierig. Es hat sich eins der besten Gespräche meines Lebens draus entwickelt, ein lebhafter Austausch von unterschiedlichen Lebensweisen, ohne Aggression, ohne ein „ich lebe besser als du“ – einfach ein: Ich lebe so, du so und warum ist das so.

    Migration ist nicht immer ein erzwungenes „du musst so leben wie ich es will, weil das hier unser Standard ist“ – es kann genauso ein fröhliches Nebeneinander sein, wo jeder den anderen respektiert und man trotzdem so leben möchte, wie man es gewohnt ist.

    Aber die Töne, die inzwischen gerade in Richtung türkischer Bevölkerung angeschlagen werden sehe ich hochkritisch und mit einer gewissen Ängstlichkeit.
    Vor nicht allzulanger Zeit waren ähnliche Töne in Richtung einer jüdischen Bevölkerung zu hören.

    Wann hört das endlich auf, dass man die Leute aufgrund ihrer Religion und ihres Andersseins ausgrenzt? Wann kapiert auch der letzte Trottel, dass „Anderssein“ jeden treffen kann? Das blondes Haar und blaue Augen nicht davor schützen?

  8. Nathalie sagt:

    Das aus meiner Sicht schlimmste an solchen Erfahrungsberichten ist ja, dass es mich nicht einmal mehr wundert, dass Journalisten so arbeiten. Sehr traurig. Immerhin ist es heutzutage dank des Internets leichter möglich über solche Vorgänge aufzuklären. Nur leider wird das die Mehrheit der Zuschauer gar nicht mitbekommen…

  9. Thomas sagt:

    Politiker (auch solche mit Migrationshintergrund) verstehen sich meist als Anwalt ihrer Sache. Es ist daher ganz natürlich, dass sie Journalisten gern vereinnahmen würden und ihnen ihre völlig überzogene, da einseitige Perspektive aufdrücken wollen.

    Wenn Journalisten sich nicht durch Einzelbeispiele oder sonstige Schönfärberei beeindrucken lassen, Hut ab!

    „Interpretationshoheit“ über die Realität haben Sie, Frau Yüksel, zum Glück nur in ihrem Blog. Es wäre schön, wenn alle Politiker so wenig Erfolg beim Frame-Building hätten.

    Das Wortspiel „getürkt“ ist ein – vielleicht etwas bemühtes – Wortspiel zum Ende. Es ist etwas unglücklich gewählt, da es denjenigen eine Vorlage liefert, die sich gern empören möchten.