TheaterSprachCamp

Deutsch lernen mal ganz anders

Im TheaterSprachCamp lernen Kinder – mit und ohne Migrationshintergrund – Sprache auf eine ganz andere Art – spielend, lachend, tanzend. Das Konzept ist maßgeschneidert und entspricht den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen. Ein Projekt zum Nachahmen.

Von Janina Pohle Freitag, 04.05.2012, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 07.05.2012, 15:15 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

„Sie ist ’ne Hexe! Hexe! Sie macht mir Angst, denn ich weiß nicht, wie sie tickt!“ Die Hamburger Grundschüler tanzen in ihrer Choreographie immer wieder aus der Reihe, doch der Text sitzt und die Energie schäumt über. Das Publikum, bestehend aus den Schülern der anderen Camps, deren Verwandten und Freunden, den Campbetreuern und Christa Goetsch, der damaligen Schulsenatorin, jubelt und klatscht zum umgedichteten Song, der im Original aus der Feder Culcha Candelas stammt. Die Idee, das Lied für die Abschlussvorführung des TheaterSprachCamps auf „Hexen“ umzuschreiben, war nicht willkürlich gewählt. Es ist das Thema, das sich durch das gesamte Camp zieht und die Komponenten Freizeit, Sprache und Theaterpädagogik miteinander verbindet.

Die Inspiration zum TheaterSprachCamp brachte eine Studie des Max-Planck-Instituts. Daraus geht hervor, dass Deutschförderung mittels einer Kombination aus Theater und Sprachunterricht die größten Effekte und erfreulichsten Erfolge bei den Kindern erzielt. In Anlehnung an das Bremer Modell, das ein solches Camp schon seit acht Jahren anbietet, rief die Schulbehörde 2006 gemeinsam mit Wolfgang Sting und Ursula Neumann ein Theater-Sprach-Projekt auch für Hamburg ins Leben.

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Der Theaterpädagoge und die Professorin der interkulturellen Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg kümmerten sich um Konzept und Umsetzung des Vorhabens. Als Partner für die Organisation der dreiwöchigen Freizeit konnte das Jugenderholungswerk (JEW) gewonnen werden. Es ermöglicht Erholungs- und Ferienfreizeiten gezielt auch für Kinder und Jugendliche, deren Familien sich privat einen Urlaub nicht leisten können. So beträgt der Eigenbeitrag für ein Kind, das an dem TheaterSprachCamp teilnimmt, 50 Euro, und entfällt bei Familien in einer besonders schwierigen finanziellen Lage sogar ganz.

„Das Hamburger Konzept zur Sprachförderung ist keines, das sich an Nationalität oder Migrationshintergrund bindet“, sagt Initiatorin Ursula Neumann, wenn man sie auf den Faktor „Migration“ anspricht. Das TheaterSprachCamp ist Kindern mit und ohne Migrationshintergrund geöffnet, bei denen ein additiver Sprachförderbedarf festgestellt wird. De facto sind aber zwei Drittel der Kinder mit einer anderen Sprache aufgewachsenen und lernen nun Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache.

Mangelnde Deutschförderung in der frühen Kindheit oder die eigene Migrationserfahrung sind damit die häufigsten Gründe für die Förderbedürftigkeit im Fach Deutsch und der Teilnahme an den Camps. Neben den Kindern aus den Vorbereitungsklassen und mit Migrationsgeschichte fahren jedoch auch viele Schüler mit, die aufgrund einer Lese-Rechtschreib-Schwäche, fehlender Motivation oder sonstiger Umstände Schwierigkeiten in Deutsch haben.

280 Drittklässler, 70 Betreuer, 10 Camps in Hamburg und Umgebung, von Wohldorf bis nach Sylt, pro Sommer – das klingt unübersichtlich. Doch sieben Pädagogen pro Camp halten nicht nur den Betreuerschlüssel hoch, sondern werden auch selbst vorher schon monatelang in Seminaren und Workshops ausgebildet und auf ihre Arbeit mit den Kindern vorbereitet. Sie sind größtenteils Lehramtsstudierende für das Fach Deutsch, aber auch aus anderen Studienfächern, und sind neben den Freizeitpädagogen entweder auf Theater- oder Sprachpädagogik spezialisiert.

Während der Vorbereitung im Frühjahr erarbeiten sie als Betreuergruppe gemeinsam für ein Camp ein Konzept, das Theater- und Sprachwerkstätten, sowie Freizeitgestaltung zum Zweck der Sprachförderung vereint und insgesamt auf einem Buch basiert. In den letzten Jahren war dies „Die Schwarze Hexe“. Die Leitmotive des Buches ziehen sich durch das Camp und lassen die drei Wochen zu einem Abenteuer werden, das wie ganz nebenbei auch die Motivation und Sprachkompetenz der Kinder fördert. Diese Geschichte hat sich bewährt, da sie mit Emotionen spielt, viele Möglichkeiten für die szenische Arbeit bereithält und sich gleichzeitig besonders gut für die Bearbeitung in den Deutschwerkstätten eignet.

Im Camp werden die Kinder in zwei Gruppen in Sprachwerkstätten spielerisch und kreativ an die Tücken der deutschen Sprache herangeführt. Neben den Freizeitaktivitäten wird das Programm durch regelmäßige Theaterwerkstätten in denselben Gruppen ergänzt, in denen der Sprachunterricht aufgegriffen und der Inhalt des Buches szenisch erarbeitet wird. Das Theater gibt den Kindern überdies eine Stimme, sich zu äußern – mit und ohne Worte, in Deutsch oder einer anderen Sprache – es verleiht den Kindern Selbstvertrauen, die Möglichkeit, Emotionen auszudrücken und Grenzen zu überwinden. Selbst öde Grammatik kann durch die szenische Darstellung Spaß machen und auf einleuchtende Weise erlernt werden.

Dabei wird viel Wert auf die Individualität der Kinder gelegt. Das Buch steht in drei unterschiedlich schwierigen Niveaus zur Verfügung und eine Lernstandfeststellung zu Beginn der Freizeit ermöglicht eine weitgehend individuelle Betreuung. Zudem beziehen die Betreuer auch Mutter- und Erstsprachen mit ein und geben der Vielfalt der Individuen viel Raum. Mehrsprachigkeit wird als Stärke gesehen und damit das Selbstbewusstsein der mehrsprachigen Kinder gefördert.

Viele Betreuer haben selbst einen Migrationshintergrund, was überdies den Vorteil hat, dass sie bei Vorgesprächen mit den Eltern leichter deren Vertrauen erwerben können. Denn denen fällt es oft schwer, die Kinder für so eine lange Zeit gehen zu lassen, da sie z.B. in den Ferien normalerweise in die Heimat fahren, wie es in türkischen Familien oft üblich ist, oder als Eltern von Flüchtlingskindern große Verlustängste haben. Der Besuch und die Betreuung durch eine Person mit dem gleichen kulturellen Hintergrund und entsprechenden Sprachkenntnissen erleichtern dann meist das Vertrauen. Auch während der Camps selbst können kulturelle und Sprachkenntnisse von Vorteil sein, wenn Schüler sich in einer schwierigen Situation nicht ausdrücken können oder bei Heimweh jemanden brauchen, der ihnen mit ihrer Muttersprache ein Gefühl der Geborgenheit geben kann.

Nach Ende der Freizeit können die Kinder auf der großen Bühne vor allen ihren Freunden und Verwandten eine Theaterszene oder Performance rund ums Thema Hexen vorführen, die sie in den Camps selbst erarbeitet haben. Auf der Abschlussvorführung 2010 äußerte sich Christa Goetsch schließlich mit Begeisterung über die Ergebnisse der verschiedenen Camps, beteuerte, dass das TheaterSprachCamp auch weiter gefördert werden müsse und erntete damit großen Applaus. Auch 2011 wünscht sich ihr Nachfolger, Senator Ties Rabe, begeistert eine Ausweitung des Projekts. Die Schüler sind froh, wieder bei den Eltern zu sein, aber auch motiviert und stolz auf sich selbst. Einige von ihnen wissen jetzt schon, dass sie im nächsten Jahr wieder mitfahren wollen und so sind die Anmeldelisten für das TheaterSprachCamp 2012 bereits bis auf die letzten Plätze gefüllt. Aktuell Gesellschaft

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