Daniela Kolbes Zwischenruf

Es bewegt sich etwas, aber noch lange nicht genug

Viel ist passiert im letzten Monat: Die Ergebnisse zum anonymisierten Bewerbungsverfahren wurden vorgestellt, Innenminister Friedrich entschuldigte sich im Innenausschuss für das Zustandekommen der Bild-Kampagne und wir debattierten über den Gesetzentwurf zur Zuwanderung von Hochqualifizierten.

Von Daniela Kolbe Mittwoch, 02.05.2012, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 03.05.2012, 23:33 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Es ist für mich ein Novum, dass sich ein Innenminister für sein Fehlverhalten entschuldigt: „Das war großer Mist, ich bitte um Nachsicht. Das kommt nicht wieder vor“, lauteten die Worte von Innenminister Hans-Peter Friedrich vor den Mitgliedern des Innenausschusses am vergangenen Mittwoch. Die Entschuldigung ist mit Respekt anzuerkennen. Das Eingeständnis von Fehlern zeugt von persönlicher Stärke. Allerdings reicht eine Entschuldigung nicht aus und in diesem Falle entschuldigte sich der Innenminister nur für die Fehlinformationen die er dem Parlament auf Nachfragen, wie denn die Studie vorab an die Bild kam, gegeben hatte. Die Wirkung auf unsere muslimischen Mitbürger/-innen fand keinen Platz in seinen Erklärungen. Auch nicht die Folgen, die eine solche reißerische Bild-Kampagne nach sich zieht: Ein vergiftetes Klima des Miteinanders. Brandgefährlich sind diese alt bekannten Kampagnen, bei denen mit Ressentiment-bedienenden Schlagzeilen Auflagen in die Höhe getrieben werden sollen.

Anonymisierte Bewerbungen sollten zur Pflicht werden
Es bleibt für mich unverständlich, dass die deutsche Wirtschaft, die doch mit lauter Stimme nach Fachkräften ruft, nicht aus Eigeninteresse Verfahren wie die anonymisierten Bewerbungen einführt. Es brauchte erst die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, ein Pilotprojekt zu initiieren. Obwohl aus anderen Ländern längst bekannt und wissenschaftlich belegt ist, dass insbesondere Frauen, Menschen mit Migrationsbiographie und Ältere von diesem Verfahren profitieren. Also all jene die trotz gleicher Qualifikationen das Nachsehen auf dem Arbeitsmarkt haben. Ihnen wird mit dem anonymisierten Verfahren die Chance gegeben, mit ihren Qualifikationen zu glänzen. Das Verfahren hilft, dass nicht bereits die schriftliche Bewerbung im Papierkorb landet. Die Fakten sprechen für dieses Verfahren: Es lässt sich leicht umsetzen für mittlere und große Unternehmen, es regt Personaler zum Umdenken an und es bietet Chancengleichheit für strukturell benachteiligte Gruppen. Ich finde, wir brauchen das anonymisierte Bewerbungsverfahren im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft überall dort, wo es von der Unternehmensgröße her sinnvoll ist.

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Die Nutzenökonomie der Bundesregierung und das Lohndumping auf neuem Terrain
Anonymisierte Bewerbungen sind ein Baustein das inländische Potential zu nutzen. Wenn die SPD über ein Fachkräftekonzept diskutiert sind es immer diese beiden ergänzenden Bausteine: Die Potenziale im Inland ausschöpfen und eine Strategie zur Zuwanderung ausländischer Fachkräfte.

Im Inland bedeutet das, die Frauenerwerbsquote zu erhöhen, die Zahl der Absolvent/-innen mit einem Schulabschluss und einer Berufsausbildung zu erhöhen, Weiterqualifizierungen im Beruf zu fördern und und und. Zu den Potenzialen im Inland zählen selbstverständlich die schon hier lebenden Einwanderer/-innen. Für ihre angemessene Platzierung auf dem Arbeitsmarkt brauchen wir zusätzliche Instrumente wie anonymisierte Bewerbungen, die direkte und indirekte Diskriminierung abbauen. Ausländische qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen, beginnt schon mit unseren ausländischen Studierenden und Hochschulabsolvent/-innen. Viel zu wenige von ihnen bleiben nach einem Studienabschluss hier. Das hat mit einer relativ geringen Attraktivität Deutschlands zu tun: Die Bildungsrenditen sind vergleichsweise niedrig, die rechtliche Aufenthaltslage ist kompliziert und schließlich herrscht noch zu wenig ein Klima, in dem Pluralität als Normalität anerkannt wird. Mit ihrem Gesetzentwurf hat die Bundesregierung nun einige richtige Schritte eingeleitet.

Der Zuverdienst für Studierende wird erleichtert, Hochschulabsolvent/-innen wird mehr Zeit zur Arbeitsplatzsuche eingeräumt und noch einige weitere Details. Dem Herzen des Gesetzes, den Bedingungen zur Zuwanderung von Fachkräften allerdings, kann die SPD nicht zustimmen. Die angesetzte Mindestverdienstgrenze für so genannte Mangelberufe ist aus arbeitsmarktpolitischer Perspektive viel zu niedrig angesetzt. Wer die Grenze für Hochschulabsolventen niedriger ansetzt als das Einstiegsgehalt des öffentlichen Dienstes beträgt, läuft Gefahr die Rahmenbedingungen für Lohdumping zu schaffen. Aktuell Meinung

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  1. Liebe Frau Kolbe,
    die SPD hat doch selbst mit ihrer Agenda 2010 massenhaft Lohndumping und Armut ins Land gebracht, und Ihrer Partei fällt bis heute nichts anderes ein, als Hartz IV-Empfänger mit Sanktionen vom Job-Center zu schikanieren.

    Nicht zu vergessen, dass die SPD einen Typ wir Sarrazin nicht ausschließen kann, weil viele SPD-Wähler den richtig gut finden. Wenn ich Ausländer wäre, würde ich nicht die SPD wählen. Ihre Partei tut nichts für die Geringverdiener.

    Herzliche Grüße
    Georg Niedermüller

  2. Kawin sagt:

    Stimmt, 35.000 € im Jahr sind viel zu wenig für Akademiker/innen. Schön, dass Frau Kolbe das auch so sieht.
    Schade nur, dass das für einige Akademiker/innen anscheinend nicht zu gelten scheint.
    Überlegen wir mal – 35.000 € brutto im Jahr wäre pro Monat 2.916,66 € .
    Von diesem Bruttoverdienst können Lehrkräfte in Integrations- und berufssprachlichen Kursen nur träumen. Das liegt vor allem daran, dass sie nicht ihre Arbeitsstunden bezahlt bekommen sondern nur die unterrichteten Stunden. Die Vor- und Nachbereitung müssen wir vollkommen unbezahlt leisten. Und das für Stundenlöhne von ca. 18,- €, gegen die auch die SPD nichts hat verlauten lassen.
    Da kommen in einem guten (!) Monat gerade mal 1.800 € zusammen, in schlechten eher 1.000 € oder weniger, ohne dass uns ein Arbeitgeber wie bei angestellten Fachkräften die Hälfte der Sozialversicherung bezahlen muss. Damit liegt man ganz schnell unter dem Hartz IV-Satz. Ach, von wem kam nochmal Hartz IV ?? Ah ja ….. danke Frau Kolbe !

  3. Maike Grünwaldt sagt:

    Liebe Frau Kolbe,

    ich arbeite jetzt schon seit 3 Jahren in der Grundbildung für Migranten. Derzeit bekomme ich 20€ die Stunde. Die Arbeit gefällt mir sehr und lastet mich voll aus. Dennoch muss ich oft meine Eltern um finanzielle Hilfe bitten, damit ich die Beiträge für Kranken- und Rentenversicherung zahlen kann. Würden sie es nicht machen, müsste ich zum Arbeitsamt gehen. Das ist doch ein entwürdigender Zustand!!! Das Bundesamt schiebt die Verantwortung auf die Träger und die Träger wälzen die Last auf die Honorarkräfte. Das ist absurd, spart aber Kosten für den Staat. Andererseits gibt das Bundesamt für Migration immermehr Weisungen, wie der Unterricht stattzufinden hat. Ich habe nichts gegen Bemühungen zur Qualitätssicherung. Aber ich erwarte eine gerechte und ausreichende Bezahlung auch im Krankheitsfall und während der Ferien. Das muss doch zu schaffen sein. Ich wünsche mir endlich Rückrat und konsequentes Handeln von der SPD. Ich möchte, dass Sie sich auf die Seite der ungerecht bezahlten Honorarkräfte stellen und die neoliberalen Schiebereien beenden. Ansonsten sind Sie für mich als soziale Partei einfach unglaubwürdig.
    Mit besten Grüßen Maike Grünwaldt
    L

  4. Xanele sagt:

    „Wer die Grenze für Hochschulabsolventen niedriger ansetzt als das Einstiegsgehalt des öffentlichen Dienstes beträgt, läuft Gefahr die Rahmenbedingungen für Lohdumping zu schaffen.“

    Die Politik betreibt doch längst Lohndumping. Die Lehrkräfte in Integrationskursen werden weiterhin unterbezahlt und sind sozial nicht abgesichert. Tun Sie endlich etwas dagegen! WIr brauchen eine anständige Bezahlung und soziale Sicherheit! Vom Einstiegsgehalt eines Hochschulabsolventen laut Tarif können wir nur träumen!

  5. Tobias Hülswitt sagt:

    Liebe Frau Kolbe,
    auch vergessen wollen wir den Ausbau der Zeitarbeit, der mit der Agenda 2010 einherging, durch den Massen von Beschäftigten ihre Festanstellung verloren, um als Zeitarbeiter später teilweise für dieselben Firmen zu arbeiten, die ihnen gekündigt hatten. Das ist Lohndumping mit anderem Namen. Eine weitere Baustelle, auf der Hochschulabsolventen zu unglaublichen Niedriglöhnen arbeiten, ist der Bereich der Integration. Hier sind Lehrerinnen und Lehrer für Stundenlöhne von mitunter weniger als 10 € tätig. Was tun Sie dagegen?
    Beste Grüße,
    Tobias Hülswitt

  6. Deutschlehrerin Sauerland sagt:

    Ich leite seit 2008 Integrationskurse an dem Stundenlohn von 19,50 hat sich nichts geändert.Ich habe in der Zwischenzeit noch ein weiteres Studium aufgenommen in der Hoffnung irgendwann einen besser bezahlten Job zu bekommen.Es ist schon schade,im Grunde liebe ich diese Arbeit und würde sehr gern dabei bleiben,jedoch nicht unter diesen mieserablen Zuständen!

  7. Mira sagt:

    Was für eine Politik herrscht in diesem Lande?!
    Ich arbeite seit über zwei Jahren als Honorarkraft und frage mich jeden Tag, was für ein Sinn hat überhaupt mein Leben?
    – Meine Bemühungen werden nicht richtig geschätzt und dazu miserabel bezahlt!
    – Wenn ich krank bin und nicht arbeiten kann, bekomme ich kein Cent und niemanden geht das an!
    – Ich DARF keine Beiträge für die Arbeitslosenversicherung zahlen, weil ich vorher nicht in einem angestellten Verhältnis tätig war,
    – Des Weiteren, wenn ich die Arbeit verliere, lande ich auf dem Harz IV Status und bin somit mit den Menschen, die ich unterrichte, gleichgestellt!
    – Vom Urlaub kann ich nur träumen…
    – Kinder kann ich mir unter solchen Umständen auch nicht leisten, weil ich ihnen außer Brot und Wasser nichts anderes anbieten könnte…

    Statt der gesellschaftlichen Anerkennung werde ich unterbezahlt, soll aber zufrieden und glücklich leben – WIE HERRLICH!!!

  8. Sabine Schmidt sagt:

    Sehr geehrte Frau Kolbe,

    da ich als Lehrkraft in DaZ-Kursen unfair bezahlt werde, habe ich die Tätigkeit eingestellt und mich arbeitslos gemeldet. Die Arbeitsagentur findet, wie ich selbst auch nicht, seit 1,5 Jahren keinen Job für mich. Schon frustrierend mit deutschem Uni-Diplom. Die SPD war für mich- kürzlich im Saarland an die Wahlurne gebeten – nicht wählbar.
    Übrigens fragte mich eine Zeitarbeitsfirma im Vorstellungsgespräch, ob ich für 7,80€ bereit wäre als Übersetzerin zu arbeiten.
    Was tut Ihre Partei eigentlich „Soziales“?

  9. Zum Glück hat Frau Kolbe nicht für die Fortführung der Hartz IV-Sanktionen gestimmt, aber diejenigen Abgeordneten der SPD, die dafür stimmen, dass man den Ärmsten der Armen noch die Leistungen kürzt, sollten sich in Grund und Boden schämen.
    Sie sitzen im Parlament, verdienen gutes Geld, und treten die Menschen, die unten sind, in den Dreck.
    Hochachtung vor den paar anständigen SPDlern, die sich wenigstens enthalten haben oder nicht mit abgestimmt haben.
    Auf unseren offenen Brief vom 30.04. bekommen wir wahrscheinlich wie immer keine Antwort von der SPD.

  10. Jobfrust sagt:

    Als DaF-Lehrerin in einer JVA habe ich einen Vertrag mit dem Land NRW. § 4 des Vertrages lautet: „Die Lehrkraft erhält […] in der Regel den Vergütungssatz, der jeweils im Geschäftsbereich des Ministeriums für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen für die Erteilung nebenamtlichen bzw. nebenberuflichen Unterrichts an Real- und Sonderschulen für die Lehrer mit den verschiedenen Lehrbefähigungen bzw. Einstufungen festgesetzt ist. Der Vergütungssatz beträgt zurzeit 16,67 € und unterliegt dem Steuerabzug (Lohnsteuer) nach allgemeinen Grundsätzen. Durch die festgesetzte Vergütung sind Zeiten der Vor- und Nachbereitung mit abgegolten.
    Muss man dazu noch irgendetwas sagen?