Österreich

EU-Gericht hebt Deutsch-Lernpflicht für Türken auf

Gerichtsurteile zwingen die österreichische Regierung, bei türkischen Staatsbürgern auf die Deutschpflicht vor dem Ehegattennachzug zu verzichten. Das Brisante: Rechtsgrundlage ist EU-Recht und bindet auch Deutschland.

Dienstag, 24.04.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 30.04.2012, 1:10 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Türkische Staatsbürger könnten künftig von diversen Verschärfungen des österreichischen Fremdenrechts ausgenommen werden. Das legen Entscheide von Europäischem Gerichtshof (EuGH) und Verwaltungsgerichtshof (VwGH) nahe, die am Montag von der integrationspolitischen Sprecherin der österreichischen Grünen, Alev Korun, und Anwalt Helmut Blum in einem Pressegespräch präsentiert wurden.

Das österreichische Innenministerium hat bereits betont, dass den Entscheidungen von EuGH und VwGH Folge geleistet wird. Ministeriumssprecher Karlheinz Grundböck erklärte: „Die Entscheide sind sehr eindeutig.“ Damit sind Türken künftig von Maßnahmen wie „Deutsch vor Zuzug“ und der „Integrationsvereinbarung“ befreit. Im Vorjahr wären davon 765 Personen betroffen gewesen.

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Die Rechtslage
Ins Rollen gebracht hatte den Fall Murat Dereci, türkischer Staatsbürger, der im Jahr 2001 in Österreich Asyl gesucht hatte. Während seines Aufenthalts heiratete er eine österreichische Staatsbürgerin und wurde Vater von drei Kindern. Als er in der Folge einen regulären Aufenthaltstitel erlangen wollte, wurde Dereci wegen der mittlerweile verschärften Gesetzeslage aufgefordert, das Land zu verlassen und von der Türkei aus seinen Antrag auf Familienzusammenführung zu stellen und dort den Entscheid abzuwarten.

Dagegen zog Dereci bis vor den Verwaltungsgerichtshof, der sich wiederum an den EuGH wandte. Dieser fällte im November vergangenen Jahres nun ein Urteil, das weitreichende Konsequenzen haben könnte. Denn die europäischen Richter verwiesen auf ein bereits lange bestehendes Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Türkei, das besagt, dass sämtliche Verschärfungen des Fremdenrechts seit Österreichs EU-Beitritt im Jahr 1995 nicht anzuwenden sind. Das Brisante dabei: Da die Rechtslage sich aus dem Assoziierungsabkommen ergibt, ist die Entscheidung auch für die Bundesrepublik bindend.

Weitreichende Konsequenzen auch für Deutschland
Der VwGH schloss sich im Januar dieser Rechtsmeinung an und entschied für Herrn Dereci. Mittlerweile gibt es laut Anwalt Blum auch entsprechende Folgeurteile in anderen Fällen. Damit sei klar gestellt, dass zumindest für Türken, die mit österreichischen Staatsbürgern verheiratet sind, keine Verschlechterungen gegenüber den fremdenrechtlichen Regelungen aus dem Jahr 1995 möglich sind. Betroffen sein dürften durch das Assoziierungsabkommen aber auch andere Gruppen wie über einen längeren Zeitpunkt in Österreich legal beschäftigte Personen aus der Türkei.

MiG-Dossier: Weitere Einzelheiten und Hintergründe zur Thematik gibt es im MiG-Dossier „Visumsfreiheit für Türken„.

Konkret bedeutet das für diese Gruppen, dass diverse vor allem seit der Jahrtausendwende vollzogene Verschärfungen des Fremdenrechts nicht angewendet werden dürfen. Das beginnt bei der Deutschprüfungspflicht vor der Einreise, geht über die Abschiebedrohung wenn eine Deutschprüfung im Inland nicht bestanden wird und und reicht bis hin zum Passus, dass man erst ab dem 21. Lebensjahr (früher 18.) einen Antrag auf Familienzusammenführung stellen kann. Regelungen, die in ähnlicher Form auch in Deutschland gelten.

Deutsch lernen auf freiwilliger Basis
Die österreichische Regierung habe „nun die Wahl, ob sie mit Verschärfungen weiterwurschteln möchte oder die Chance ergreifen, die größte Integrationsoffensive der 2. Republik zu ergreifen“, so Korun. Es gehe dabei um flächendeckende Deutschkurse und Integrationsprogramme vom ersten Tag an. Allerdings ohne Zwang, denn die sei nicht nötig.

Bisherige freiwillige Deutschkurse wie „Mama lernt Deutsch“ zeigten, dass die Bereitschaft zum Deutsch Lernen groß ist: Die Evaluierung der Kurse habe gezeigt, dass die größte Gruppe der Teilnehmerinnen mit über 41 % türkeistämmige Frauen waren – und das auf freiwilliger Basis. „Es geht jetzt also um massive gemeinsame Integrationsanstrengungen und die Schaffung von genug Sprach- und Integrationskursen um die Fehler der letzten Jahrzehnte nicht zu wiederholen“, so Korun.

Ob die Deutschland dem Schritt der österreichischen Regierung folgen wird, darf bezweifelt werden. Im September 2011 schaffte auch die Niederlande aufgrund eines verlorenen Rechtsstreits Sprachtests beim Ehegattennachzu ab. Darauf hatte die Bundesregierung mit Schulterzucken reagiert. (bk) Ausland Leitartikel

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  1. HamburgerX sagt:

    Ich fordere, das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Türkei sofort zu kündigen! Das Wohl der Europäer bzw. Deutschen im Hinblick auf eine sorgfältige Migration und Integration steht höher als alte Abkommen, die niemals eine Mehrheit in der Bevölkerung gefunden hat..

  2. Pingback: Sprachanforderungen bei Türken – Kippt die Regelung jetzt auch in Deutschland? | MiGAZIN

  3. Matthias sagt:

    Betracht man sich die Entstehungsgeschichte des ARB 1/80 verwundert es, dass in der Hauptsache über den Familiennachzug diskutiert wird. Grundsätzliches Ziel war die schrittweise Herstellung der Arbeitnehmerfreizügigkeit aus einem vollkommen anderen Zusammenhang heraus.

    Und auch darauf sollte abgestellt werden. Das Zusatzprotokoll diente dazu, den Arbeitnehmern einst erworbene „Arbeitnehmer“freizügigkeiten zu gewähren und eben nicht dazu, auch andere Sachverhalte zu regeln.

    Insofern ist nach ARB Bezug im vorliegenden Verfahren zu fragen. Zieht als ein Türke zu einem Inländer (ohne eigenes Freizügigkeitsrecht) zu, besteht kein Bezug zum ARB-Recht und das Deutschkenntniserfordernis bleibt erhalten.

    Der Autor des Beitrags ist der Auffasung, man solle auf freiwilliger Basis Deutschkurse in Österreich anbieten. Die dortige Situation kenne ich nicht. Für Deutschland ist ein solches System vorhanden und zeigt , alle Integrationsromatik mal abgestrichen, dass die Freiwilligkeit nicht funktioniert. Nur ein kleiner Bruchteil der Bedarfsträger besucht auf freiwilliger Basis solche (für Geringverdiener kostenlose) Kurse.