Bundespräsident Joachim Gauck
„Eine offene Gessellschaft wird auch mir am Herzen liegen“
Bundespräsident Joachim Gauck ist am Freitag, 23. März 2012 als neues Staatsoberhaupt vereidigt worden. In seiner ersten politischen Rede sprach er sich für eine offene Gesellschaft aus. MiGAZIN dokumentiert Auszüge der Rede im Wortlaut:
Freitag, 23.03.2012, 11:16 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 28.03.2012, 8:08 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
„Wie also soll es nun aussehen, dieses Land, zu dem unsere Kinder und Enkel ‚Unser Land’ sagen sollen?
Es soll ‚unser Land’ sein, weil ‚unser Land‚ soziale Gerechtigkeit, Teilhabe und Aufstiegschancen verbindet. Der Weg dazu ist nicht der einer paternalistischen Fürsorgepolitik, sondern ein Sozialstaat, der vorsorgt und ermächtigt.
Wir dürfen nicht dulden, dass Kinder ihre Talente nicht entfalten können, weil keine Chancengleichheit existiert. Wir dürfen nicht dulden, dass Menschen den Eindruck haben, Leistung lohne sich für sie nicht mehr, und der Aufstieg sei ihnen selbst dann verwehrt, wenn sie sich nach Kräften bemühen. Wir dürfen nicht dulden, dass Menschen den Eindruck haben, sie seien nicht Teil unserer Gesellschaft, weil sie arm, alt oder behindert sind. Freiheit ist eine notwendige Bedingung von Gerechtigkeit. Denn was Gerechtigkeit – auch soziale Gerechtigkeit – bedeutet, und was wir tun müssen, um ihr näher zu kommen, lässt sich nicht paternalistisch anordnen, nur in intensiver, demokratischer Diskussion klären. Umgekehrt ist das Bemühen um Gerechtigkeit unerlässlich für die Bewahrung der Freiheit. Wenn die Zahl der Menschen wächst, die den Eindruck haben, ihr Staat meine es mit dem Bekenntnis zu einer gerechten Ordnung der Gesellschaft nicht ernst, sinkt das Vertrauen in die Demokratie. ‚Unser Land’ muss also ein Land sein, das beides verbindet: Freiheit als Bedingung von Gerechtigkeit – und Gerechtigkeit als Bedingung dafür, Freiheit und Selbstverwirklichung erlebbar zu machen.
„Unsere Verfassung spricht allen Menschen dieselbe Würde zu, ungeachtet dessen, woher sie kommen, woran sie glauben und welche Sprache sie sprechen. Sie tut dies nicht als Belohnung für gelungene Integration, sie versagt dies aber auch nicht als Sanktion für verweigerte Integration.“
In ‚unserem Land’ sollen auch alle zuhause sein können, die hier leben. Wir leben inzwischen in einem Staat, in dem neben die ganz selbstverständliche deutschsprachige und christliche Tradition Religionen wie der Islam getreten, auch andere Sprachen, andere Traditionen. In dem der Staat sich immer weniger durch die nationale Zugehörigkeit seiner Bürger definieren lässt, sondern durch ihre Zugehörigkeit zu einer politischen und ethischen Wertegemeinschaft. In dem nicht ausschließlich die über lange Zeit entstandene Schicksalsgemeinschaft das Gemeinwesen bestimmt, sondern zunehmend das Streben von Unterschiedlichen nach dem Gemeinsamen: diesem unseren Staat in Europa, in dem wir in Freiheit, Frieden und in Solidarität miteinander leben wollen.
Wir wären allerdings schlecht beraten, wenn wir aus Ignoranz oder falsch verstandener Korrektheit vor realen Problemen die Augen verschließen würden. Hierauf hat Bundespräsident Johannes Rau bereits vor zwölf Jahren in seiner Berliner Rede deutlich hingewiesen. Aber in den Fragen des Zusammenlebens dürfen wir uns nicht von Ängsten, Ressentiments und negativen Projektionen leiten lassen.
Für eine einladende, offene Gesellschaft hat Bundespräsident Christian Wulff in seiner Amtszeit nachhaltige Impulse gegeben. Herr Bundespräsident Wulff, dieses – Ihr – Anliegen wird auch mir in meiner Amtszeit am Herzen liegen.
Unsere Verfassung spricht allen Menschen dieselbe Würde zu, ungeachtet dessen, woher sie kommen, woran sie glauben und welche Sprache sie sprechen. Sie tut dies nicht als Belohnung für gelungene Integration, sie versagt dies aber auch nicht als Sanktion für verweigerte Integration. Unsere Verfassung wie unser Menschsein tragen uns auf, im Anderen geschwisterlich uns selbst zu sehen: begabt und berechtigt zur Teilhabe wie wir.
…
Anders als die Demokratie von Weimar verfügt unser Land über genügend Demokraten, die dem Ungeist von Fanatikern, Terroristen und Mordgesellen wehren. Sie alle bezeugen mit unterschiedlichen politischen oder religiösen Gründen: Wir lassen uns unsere Demokratie nicht wegnehmen, wir stehen zu diesem Land, nicht weil es so vollkommen ist, sondern weil wir nie zuvor ein besseres gesehen haben. Und speziell zu den rechtsextremen Verächtern unserer Demokratie sagen wir in aller Deutlichkeit: Euer Hass ist unser Ansporn. Wir lassen unser Land nicht im Stich. Wir schenken euch auch nicht unsere Angst. Ihr werdet Vergangenheit sein und unsere Demokratie wird leben.
Die Extremisten anderer politischen Richtungen werden unserer Entschlossenheit in gleicher Weise begegnen. Und auch denjenigen, die unter dem Deckmantel der Religion Fanatismus und Terror ins Land tragen, und die hinter die europäische Aufklärung zurückfallen, werden wir Einhalt gebieten. Ihnen sagen wir: Die Völker ziehen in die Richtung der Freiheit. Ihr werdet ihren Zug vielleicht behindern, aber endgültig aufhalten könnt ihr ihn nicht.“ Leitartikel Politik
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Herr Gaucks Rede hat einen Widerspruch in sich. Er spricht von „unserem Land“ und gleichzeitig sollen wir alle mehr Mut zu Europa haben. Was denn nun? Ich meine aber, wir haben eindeutig bereits genug Europa in allen Bereichen!!
Wir dürfen uns auch gern mal wieder darauf besinnen, dass wir einfach schlichtweg Deutsche und stolz auf dieses Land sein können. Punkt.
In Punkto Chancengleichheit kann ich nur sagen: Wer was im Kopf hat, fleißig lernt und reelle Freunde oder motivierende (aber arme) Eltern hat, schafft auch ohne Geld das Abi. Schule ist in Deutschland immer noch völlig umsonst….Es gibt auch viele gutsituierte Leute mit dummen faulen Sprößlingen. Da nützt auch das gute Elternhaus nichts um den Superschulabschluß zu schaffen….
Warum Europa?,@Esta Nun, weil Europa eine Schule des Miteinanders sei, in der wir lernen müssen, das Miteinander unterschiedlicher Sprachen,Ethnien und Religionen zu ertragen oder zu genießen, je nach dem…….und, dass die Zukunft Europas davon abhängt, in welchem Umfang wir dies zu lernen bereit sind.
Gauck missbraucht religiöse Freiheit.
Gaucks Antrittsrede fand ich zu 99% gut bis sehr gut.
Jedoch ist für mich sein letzter Satz – zum Teil – überhaupt nicht in Ordnung: „Gott und den Menschen sei Dank.“
Denn hierbei unterstellt er realitätsfern, dass „Gott“ genauso real ist wie die „Menschen“. Er ignoriert die sicher auch ihm bekannte unbestreitbare Tatsache, dass es wissenschaftlich weder möglich ist zu beweisen, dass es so etwas wie einen „Gott“ gibt, noch, dass es so etwas nicht gibt. Darum gibt es eben auch einen sehr großen Anteil der Bevölkerung Deutschlands, welcher – völlig gleichberechtigt! – nicht an einen Gott glaubt und sich darum nun durch Gaucks Worte ausgeschlossen, diskriminiert fühlt.
Gauck übt unterschwellig – wie ein Missionar – Druck aus, „Gott“ als Realität zu akzeptieren. Hiermit missbraucht Gauck die Freiheit eines jeden Menschen, welche stets dort aufhören muss, wo die Freiheit des anderen (z.B. Nicht-Gottesgläubigen) anfängt.
Als oberster Repräsentant Deutschlands ist er jedoch sogar am meisten verpflichtet, sich an die Richtlinie vom Bundesverfassungsgericht zu halten, dass der deutsche Staat weltanschauungsneutral sein muss, da es nur dann möglich ist, dass Deutschland eine „Heimstatt“ für alle sein kann, wo man sich wohl fühlen kann, egal welche religiöse oder nichtreligiöse Weltanschauung man hat.
Wenn „Mitbürger“ Gauck also wahrhaftig sozial gerecht sein will, hätte er z.B. klar sagen sollen: „Allen religiösen und nichtreligiösen Menschen sei Dank.“ Dies hätte alle Menschen geeint statt nun durch die Bevorzugung von Gottesgläubigen zu spalten.
Zu 99%, fandes Sie also die Rede gut bis sehr gut, können aber nicht akzeptieren, dass Gauck eben der ist , der er nun mal ist?
Darf er nicht zum Ausdruck bringen, dass er gläubig ist?
Verkraftet das die säkulare Gesellschaft nicht? Was ist denn mit der Authentizität, die wir doch alle von unserem Bundespräsidenten wollen?
Wer nicht gläubig ist, weiß, wo er sich bei Gauck abgrenzen kann. Ich bin ja vielleicht mit anderen Dingen nicht einverstanden, ohne den Anspruch zu erheben, dass Gauck sich bitte dieser oder jener Seite seiner Persönlichkeit zu enthalten habe.
Ihr Ansinnen ist despotisch.