NSU-Terror

„Dazu liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor“

Besonders vertrauenseinflößend sind die bisherigen Bemühungen der Bundesregierung, die Neonazi-Morde an zehn Menschen lückenlos aufzuklären, nicht - Entschlossenheit sieht anders aus. Ein Papier aus dem Bundesinnenministerium erhärtet diesen Eindruck.

Von Donnerstag, 15.03.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 20.03.2012, 7:45 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

„Warum hat das Thüringer Landeskriminalamt, nach dem Bericht des MDR, im Jahr 1998 im letzten Moment einen Zugriff auf das Zwickauer Terror-Trio gestoppt, obwohl schon ein Einsatzplan vorlag“, wollte der integrationspolitische Sprecher der Bundestagsgrünen, Memet Kılıç, in einer schriftlichen Anfrage von der Bundesregierung wissen.

Die Antwort in dem vom Staatssekretär Ole Schröder (CDU) unterzeichneten Papier, das dem MiGAZIN vorliegt, lautet: „Dazu liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor“.

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Dabei geht es hier um ein höchst brisantes Detail, die möglicherweise Informationen liefern könnte, um mögliche Hintermänner auch innerhalb der Sicherheitsdienste ausfindig zu machen. Dass die Bundesregierung hierzu auch nach mehreren Monaten keine Informationen eingeholt hat, dürfte für sich sprechen. Ein Wille zur lückenlosen Aufklärung ist jedenfalls nicht zu erkennen.

In einer zweiten Frage möchte Kılıç wissen, „in welchem Zeitraum und in welcher Funktion“ der „sogenannte ‚kleine Adolf‘ beim Landesverfassungsschutz und beim Regierungspräsidium Kassel tätig“ war. Auch hier wirft die Antwort des Innenministeriums mehr Fragen auf, als sie beantwortet. „Die Weitergabe von Detailinformationen vor Abschluss laufender Ermittlungen ist geeignet, das Ermittlungsverfahren zu gefährden“, so das Bundesministerium.

„Nach all dem was über den ‚Kleinen Adolf‘ bekannt geworden ist, ist die Versetzung zum Regierungspräsidium Kassel ein Skandal. Dass die Bundesregierung die Beschäftigungszeiten hier nicht erwähnt und dies mit der Gefährdung des laufenden Ermittlungsverfahren begründet, ist, diplomatisch ausgedrückt, ein Armutszeugnis für die Bundesregierung. Damit versucht die Regierung nicht, das laufende Ermittlungsverfahren zu schützen, sondern einen offensichtlichen Skandal innerhalb der Behörde zu verschleiern“, so der Grünen-Politiker.

Auch zu der Frage, ob und unter welchem Aktenzeichen gegen die Behörde ermittelt wurde, die den gefälschten Pass für einen der getöteten NSU-Terroristen ausgestellt hatte und, gibt die Bundesregierung ebenfalls eine fadenscheinigen Antwort: „Der Bundesregierung sind keine entsprechenden Ermittlungen der örtlich zuständigen Behörden bekannt geworden. Im Übrigen wurden nach den bisherigen Erkenntnissen des Bundeskriminalamtes die Dokumente offenbar durch Täuschung unter Zuhilfenahme sehr ähnlicher Passfotos und gefälschter Unterschriften erlangt.“ Anhaltspunkte für ein Verschulden von Beamten seien in diesem Kontext bislang nicht ersichtlich.

Kılıç: „Jetzt wissen wir endlich, dass in dieser wichtigen Frage nicht einmal Ermittlungen in die Wege geleitet wurden. Hätten die zuständigen Behörden dies getan, könnte sich die Bundesregierung jetzt hinter dem Vorwand der ‚laufenden Ermittlungen‘ verstecken. Dieser Vorwand existiert jedoch nicht und die Bundesregierung ist nackt. Haben die zuständigen Behörden, inklusive Innen- und Justizministerium, sowie die Staatsanwaltschaft, etwa aus dem Kaffeesatz gelesen? Woher nehmen sie die Gewissheit, dass die Behörde getäuscht worden ist, ohne dies zu ermitteln?“
Leitartikel Politik

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  1. Lutz Bucklitsch sagt:

    Offenbar verfügt der Autor über wenig Sachkenntnis, denn ansonsten würden hier nicht solche Bewertungen vorkommen.

    Zunächst sollte man wissen, natürlich wurde durch das BKA auch die Beschaffung des Passes geprüft, ist auch Bestandteil anderer Ermittlungen in den Bundesländern Sachsen und Thüringen. Außerdem wird es auch in den beiden U-Ausschüssen behandelt werden.

    Hinsichtlich des „kleinen Adolf“ gibt es sicherlich viele Fragen. Doch primär gilt es das Land Hessen diese Fragen zu stellen, nicht der Bundesregierung, zumal dieser Mitarbeiter bei keiner Bundesbehörde, also dem Bundesamt tätig war, sondern Mitarbeiter des LfV Hessen.

    Sie sollten schon genauer recherchieren und dann schreiben. Dieser Bericht bringt weder Informationen, noch ist er hilfreich bei der Bewertung dieser Vorgänge, die wesentlich komplexer sind, als sie offenbar überblicken können.

  2. Sinan A. sagt:

    „Nicht besonders vertrauenseinflößend“ – in der Tat. Das Papier wiegelt behördliches wegschauen möglichst ab. Birol Kocaman hat völlig recht. Entweder weiß man von nichts, oder verweist auf laufende Ermittlungen, oder trägt Erkenntnisse vor, die in eine andere Richtung deuten.

    „Sehr ähnlich“ ist außerdem beschönigend. Die Pass-Doublette mag noch funktionieren, wenn man davon ausgeht, die Glatzen gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Bei Zschäpe, der kleinen Dicken mit dem Mondgesicht, dürfte das schon schwieriger werden. Die Doublette würde ich gern mal sehen.

  3. Raif Özalan sagt:

    Ein guter Brauch der Presse ist es, eine zweite Quelle zur Bestätigung oder zur Relativierung einer Meldung zu nutzen. Die Quelle gab es auch: integrationspolitische Sprecher der Bundestagsgrünen, Memet Kılıç. Von eine zweiten Quelle ist aber in dem Beitrag nicht zu lesen. Ich folgere daraus, dass der Verfasser sich zu einem Werkzeug des Politikers Mehmet Kilic gemacht (Populismus) hat und sich von der Wahrheit gänzlich abgewendet hat. Mithin sollte der Artikel von der Redaktion als „Kommentar“ gekennzeichnet werden, um rechtlich nicht belangt zu werden.

    Deutschen Presserat: “Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse. – Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen.”

  4. BiKer sagt:

    @ raif oezalan

    was die grundsaetze journalistischer sorgfalt angeht, haben sie recht. aber eben nur grundsaetzlich. hier beruft sich der autor auf eine quelle, die der redaktion vorliegt und umterzeichnet vom staatsminister ist. was wollen sie in diesem fall noch? eine kopie der quelle damit es doppelt ist. im uebrigen gibt der autor die quelle wieder und den gruenn politiker. wenn hier eine meinung des autors steckt, dann aber minimal. und es braucht auch keine kennzeichnung als kommentar, da es sich hierbei um einen namensbeitrag handelt (s.o.l.). sonst finden sie nur einen kuerzel.

    sorry aber, wenn die bundesregierung solche antworten gibt, darf sie sich auch nicht ueber solche artikel wundern. ich stimme dem gruenen politiker zu.

  5. BiKer sagt:

    @ lutz bicklicht

    wenn die bundesregierung umfassende aufklaerung verspricht, hat sie ermittlungen einzuleiten oder sich zumindest ueber die ermittlungen in den laendern zu informieren. andernfalls sollte sie von vornhinein sagen, dass das laendersache ist. solche antworten sind aber ein no-go und ueberzeugen nicht nur nicht, sie machen auch wuetend. so als sage man, leck mich am a…

  6. Raif Özalan sagt:

    Sie verwechseln Apfel mit Birnen. Es geht hier nicht um Urheberschaft und Beweiserhebung sondern um eine faire und sachliche Berichterstattung. Im übrigen muss ein Journalist eine Meinung haben und Partei ergreifen. Gerade darum geht es in der Demokratie.

    Die Hauptaufklärung in der Sache obliegt dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestag. Nur er hat die nötigen Befugnisse und Kompetenzen. Insoweit muss der Verfasser und Mehmet Kilic sich den Vorwurf des Populismus gefallen lassen und den Abschlussbericht des Untersuchungsauschusses abwarten(Anfang 2013).

  7. Sinan A. sagt:

    Titanic meldete letzte Woche:

    NSU-Untersuchungsausschuß nimmt Fahrt auf

    Der Neonazi-Untersuchungsausschuß im Bundestag hat seine Arbeit fortgesetzt. Das Gremium benannte zunächst einen Strafrechtsexperten, der dem Ausschuß beim Sichten der Akten helfen soll. Weitere Tagesordnungspunkte waren die Auswahl der Briefmarke, mit der das Schreiben an den Juristen freigemacht werden soll, das Befeuchten des Briefmarkenschwämmchens sowie die Berufung eines Experten für Kalligraphie, der mit der Gestaltung des Umschlags beauftragt wurde. Außerdem wurde bei Möbel Hübner eine besonders lange Bank bestellt, auf die der Vorgang spätestens 2013 geschoben werden soll. Sämtliche Anträge wurden vertagt, da sich die Ausschußmitglieder nicht abschließend über das Schnäppchenangebot von Hübner informiert fühlten. „Die Opfer der Anschläge sollen nicht das Gefühl haben, daß ihr Fall jetzt übers Knie gebrochen wird“, so Bundesinnenminister Friedrich, der zu diesem Anlaß besonders komfortable Knieschoner trug.

  8. Optimist sagt:

    LOL, Sinan, ich muss ehrlich gestehen, ich bin ein Fan von Ihnen und liebe Ihre stets geistreichen Kommentare, einfach köstlich :D

  9. Sinan A. sagt:

    Oh, besten Dank Optimist,
    die letzte Meldung ist von Titanic, nicht von mir. Ich fand nur, die passt jetzt sehr gut rein und inhaltlich ist es ja nicht ganz verkehrt.

  10. Optimist sagt:

    @ Sinan

    Ja, haben Sie ja auch in dem Beitrag geschrieben. Ich habe aber allgemein gesprochen, weil ich Ihre Meinung sehr schätze ;)