Menschenrechtsgerichtshof
Recht auf Schutz endet nicht auf Hoher See
Jeder Mensch hat Recht auf Schutz, wenn ihm Menschenrechtswidrige Behandlung droht. EU-Staaten können sich dieser Verpflicht nicht entziehen, indem sie Grenzkontrollen auf die Hohe See verlagern. Das entschied das Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.
Dienstag, 28.02.2012, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 01.03.2012, 9:03 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Nach der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) hat jeder Mensch, der vor schweren Menschenrechtsverletzungen flüchtet, das Recht auf individuelle Prüfung seines Schutzantrags. Dieser Verpflichtung entziehen sich europäischen Staaten regelmäßig, indem sie Grenzkontrollen auf die Hohe See vorverlagern.
So auch Italien im Mai 2009. Südlich von Lampedusa wurden Flüchtlinge auf Hoher See gestoppt und auf einem italienischen Militärschiff nach Libyen zurückgeführt – ohne Prüfung des Einzelfalls. Dieser Praxis hat der Europäische Menschengerichtshof (EGMR) vergangene Woche (23.2.2012) eine eindeutige Absage erteilt.
Die Richter führten aus, dass die Staaten an die EMRK gebunden sind, sobald sie Hoheitsgewalt ausüben. Das sei auch der Fall, wenn ihre Schiffe Flüchtlinge auf Hoher See aufgreifen und verhindern, dass die Betroffenen ihre Rechte aus der Europäischen Menschenrechtskonvention geltend machen können.
Andere Sitten im Asylrecht
Nadja Hirsch, integrationspolitische Sprecherin der FDP im Europaparlament, sieht nach diesem Urteil die Europäische Kommission in der Pflicht: „Die EU basiert auf einem gemeinsamen Werte- und Rechtesystem. Im Asylbereich herrschen jedoch andere Sitten: kollektive bis willkürliche Abschiebungen ohne vorherige Prüfung im Einzelfall, katastrophale Aufenthaltsbedingungen für Asylbewerber und lange Aufnahmeverfahren. Die Europäische Kommission, als Überwacherin des EU-Rechts, muss endlich aktiv werden!“
Hirsch fordert: „Wir brauchen eine einheitliche Liste sicherer Dritt- und Herkunftsstaaten in der EU, um unterschiedliche Einschätzungen der Lage in Ländern wie Syrien oder Libyen zu vermeiden. Genauso wichtig ist ein faires Verteilungssystem für Asylbewerber in der EU, das sich an der realen Aufnahmekapazität eines Mitgliedstaats und nicht an seiner geografischen Lage orientiert.“
Deutschland ist gefordert
Für das Deutsche Institut für Menschenrechte ist die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte richtungsweisend. „Die Menschenrechte enden nicht an den Außengrenzen der EU, sie gelten auch auf Hoher See“, so Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte. „Die Staaten können sich ihren Verpflichtungen auch nicht durch den Abschluss bilateraler Abkommen entziehen. Diese Klarstellungen des Gerichtshofs müssen auch von Deutschland im Kontext europäischer Flüchtlingspolitik beachtet und umgesetzt werden“, so Rudolf.
Hendrik Cremer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut, unterstreicht, dass das Urteil in einer Reihe von Entscheidungen stehe, in denen der Europäische Menschenrechtsgerichtshof die Mitgliedstaaten der EU an ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen gegenüber Flüchtlingen erinnern müsse. Nach dieser Entscheidung müsse sich Deutschland „dafür einsetzen, dass die menschenrechtlichen Standards auf Hoher See und an den Außengrenzen der EU eingehalten werden“. Dazu gehöre auch, dass sich Deutschland auf EU-Ebene für klare und verbindliche Regelungen einsetze. Gleichzeitig müssten Mandat und Ausrichtung der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex auf den Prüfstand. „Sofern nicht eindeutig und effektiv gewährleistet ist, dass die Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention eingehalten werden, sollte Deutschland auch jegliche Unterstützung und Beteiligung an Frontex-Einsätzen einstellen“, fordert Cremer. (hs) Aktuell Recht
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Es ist richtig, dass sich die Staaten nicht so einfach vor der Verantwortung drücken sollen und auf hoher See alle Richtlinien wortwörtlich über Bord werfen. Da muss etwas passieren.