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Türke in Wien

Der Marathonläufer

Die Türken spielten schon immer eine wichtige Rolle in Wien. Erst brachten sie den Kaffee in die österreichische Hauptstadt, dann - in Person von Ibrahim Kılıçdağı - das legendäre Lokal Do-An. Doch Kılıçdağı kam aus dem Westen, aus Stuttgart. Eine ganz besondere Migrantenkarriere.

Von Susanne Rieper Montag, 16.01.2012, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 17.01.2012, 10:49 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Sitzt man bei einem Kaffee oder einem Mittagessen am Naschmarkt kann man davon ausgehen, dass irgendwann Ibrahim Kılıçdağı, 45, um die Ecke biegt. Immer schnellen Schrittes, so als hätte er keine Zeit zu verlieren und doch irgendwie immer entspannt und lässig, um dann auch schon wieder verschwunden zu sein. Der Wiener Naschmarkt schlängelt sich zwischen linker und rechter Wienzeile entlang, dort wo sich die Häuser mit ihren Jugendstilfassaden lichten und man immer etwas Sonne abbekommt, sollte das Wiener Wetter es gestatten. Schlendert man zwischen den Marktständen mit seinen weit vorragenden Markisen hindurch, so taucht man in einen Tunnel von Gerüchen ein. Man ist umgeben von türkischen, arabischen, österreichischen, persischen und asiatischen Waren.

Ständebetreiber, diese ebenso aus aller Welt, halten einem Oliven und Falafeln zum Kosten hin. Zwischen den Marktständen befinden sich gastronomische Betriebe, wie eben auch das Do-An. Das Do-An gehört Ibrahim Kılıçdağı. Er besitzt am Naschmarkt zudem das Orient & Occident und einen Gemüse-, Obst- und Gewürzstand. Außerdem ist er der Besitzer des An-Do und des An-Do Fisch am Brunnenmarkt im 16. Wiener Gemeindebezirk. Letzten Sommer eröffnete am Naschmarkt Kılıçdağıa Pastamanufaktur. Erst kürzlich hatte Kılıçdağı das Gemüse und Obst seines Standes durch Pullover, Tassen und Schildkappen ausgetauscht, auf denen „I love Naschmarkt“ zu lesen ist. Nicht weil er von diesen Merchandise-Produkten sonderlich überzeugt wäre, sondern weil man, so sagt er, mit der Zeit gehen muss. „Heute kaufen die meisten Leute ihr Obst und Gemüse im Supermarkt ein. Der Obst- und Gemüsestand war einfach nicht mehr rentabel.“

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Seine gastronomischen Betriebe zeichnen sich durch ihre schlichte und offene Architektur aus. Sitzt man in einem seiner Glaskästen, von Stammgästen auch gerne Aquarium genannt, hat man das Gefühl, sich dennoch mitten im Marktreiben zu befinden. Auf den Karten seiner Lokale findet man eine gelungene kulinarische Mischung aus österreichischer und mediterraner Küche.

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Seinen Erfolg erklärt sich Kılıçdağı durch seine Disziplin und sein Durchhaltevermögen und nicht zuletzt durch den Spaß, den ihm seine Arbeit bereitet. „Ich will immer schauen, ob ich es schaffen kann. Ich mag die Herausforderung.“ Es scheint so, als gelinge ihm jener Balanceakt, den nur wenige beruflich erfolgreiche Menschen schaffen. Es scheint nämlich so, als hätte er trotz der vielen Arbeit sich selbst nicht vergessen. Kılıçdağı legt großen Wert auf ausreichend Schlaf. Sein Handy pflegt der geschäftige Gastronom immer lautlos bei sich zu tragen, sodass er auch tagsüber nicht ständig durch Anrufe gestört wird. Die Sonntage gehören seiner Familie. Da frühstückt man dann gemeinsam und geht ins Kino. Und zwischendurch ist Kılıçdağı dann auch einfach wieder mal gar nicht da.

„Meine Generation sitzt zwischen zwei Stühlen. Ich fühle mich weder als Türke, noch als Deutscher und auch nicht als Österreicher, aber ich fühle mich überall zu Hause. Meine Kinder, also die dritte Generation, haben es da schon leichter. Sie sind Österreicher türkischer Abstammung.“

Erst letzten November bereiste er gemeinsam mit ein paar Freunden und seiner Tochter, welche demnächst in London als Unternehmensberaterin zu arbeiten beginnt, Argentinien. Seine Leidenschaft aber ist der Wüstenmarathon. Sein Cousin und er haben bereits an einem Wüstenmarathon in Marokko teilgenommen. Diesen Februar brechen sie erneut zu einem Wüstenmarathon auf, welcher diesmal in Chile stattfindet. Dem Training sieht er gelassen entgegen. Er werde demnächst wieder jeden Abend laufen gehen, meinte Kılıçdağı. „Es geht uns nicht ums Gewinnen, sondern ums Durchhalten. Uns kommt es darauf an, die Strecke zu schaffen. So ein Marathon wird im Kopf entschieden.“

Sind seine Lokale also sein ganz persönlicher Marathon? „Sie geben mir die Möglichkeit, meine Ziele immer wieder neu zu stecken.“ Das findet Kılıçdağı auch so schön an seiner Arbeit. Er arbeitet viel. Er schätzt sein tägliches Arbeitspensum auf 16 Stunden. Als Offsetdrucker in Stuttgart hatte er das Gefühl, sich nicht weiterentwickeln zu können. Er war mit 14 Jahren aus Zentralanatolien zu seinen Eltern nach Stuttgart gezogen, welche dort als türkische Gastarbeiter lebten. Heute leben seine Mutter und seine Schwester wieder in der Türkei. Sein Vater ist bereits gestorben. Nachdem Kılıçdağı den Militärdienst in der Türkei absolviert und die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen hatte, zog er 1994, er war damals 28 Jahre alt, gemeinsam mit seiner Frau, auch sie Tochter von türkischen Gastarbeitern, seiner Tochter und seinem Sohn nach Wien. Sein zweiter Sohn wurde in Wien geboren. Von Stuttgart aus war er bereits seit 1992 am Obst-, Gemüse- und Gewürzstand seines Cousins am Wiener Naschmarkt mitbeteiligt.

In Wien angekommen hatte Kılıçdağı die Idee, am Naschmarkt einen gastronomischen Betrieb, nämlich das Do-An, zu eröffnen. Diese Idee sollte den Naschmarkt längerfristig verändern, denn viele haben es Kılıçdağı gleich getan. Das Do-An in seiner jetzigen Form gibt es seit 2001. Seitdem eröffnet Kılıçdağı immer wieder neue Lokale. „Ich arbeite gemeinsam mit meinen Brüdern. Die Ideen habe ich.

Ich setze sie um und meine Brüder führen sie fort.“ Zwischen den Brüdern gibt es eine klare Arbeitsteilung. Kılıçdağı selbst kümmert sich um die Lokale am Naschmarkt, seine Brüder um die Lokale am Brunnenmarkt. Kılıçdağı mag diese Einteilung, denn auf diese Weise, so meint er, sieht man sich nicht so oft. „Mit der Familie arbeiten ist immer etwas schwierig. Zu den beruflichen Problemen kommen dann immer auch die privaten.“ Kılıçdağı gesteht, dass ihm bei seiner Arbeit immer wieder Fehler unterlaufen. Jedoch wenn man, so sein Credo, aus den eigenen Fehlern lernt, werden aus diesen Fehlern eine Erfahrung und somit etwas Gutes. Wenn man ihn fragt, welches von seinen Lokalen er am liebsten hat, dann erhält man zunächst eine recht loyale Antwort, nämlich die, dass seine Lokale wie Kinder für ihn sind und dass man seine Kinder alle gleich gern hat. Nach einer kurzen Pause und mit einem breiten Grinsen fügt Kılıçdağı dann hinzu: „Das Do-An war mein erstes Lokal. Es wird immer meine erste große Liebe bleiben.“

„Meine Generation sitzt zwischen zwei Stühlen“, sagt Kılıçdağı. „Ich fühle mich weder als Türke, noch als Deutscher und auch nicht als Österreicher, aber ich fühle mich überall zu Hause. Meine Kinder, also die dritte Generation, haben es da schon leichter. Sie sind Österreicher türkischer Abstammung.“ Die Türken selbst seien aber auch nur „ein Mischmasch“. Sie entstammten dem Osmanischen Reich, einem Vielvölkerreich. „Aber auch mein kurdischer und muslimischer Hintergrund beeinflussen mein jetziges Leben kaum.“

Und dennoch merkt Kılıçdağı, dass er noch immer als Migrant wahrgenommen wird. Er wird öfters als andere Leute von der Polizei aufgehalten und muss sich ausweisen. Das Problem sieht er aber nicht in den Politikern der FPÖ wie deren Parteichef Heinz-Christian Strache. Beunruhigender findet er die Anhängerschaft. Bis zu 30 Prozent der Stimmen erhält die fremdenfeindliche Partei mitunter in Wahlen „Integration braucht eben Zeit“, so Kılıçdağı. Und dann eilt er auch schon wieder davon, denn er, so meint Kılıçdağı, habe noch viel zu tun. Aktuell Feuilleton

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  1. Shanelle sagt:

    Guter Beitrag! Wien ist eine wunderschöne Stadt, vor allem der Naschmarkt ist toll und einen Besuch wert! Offenbar bildet die türkische Community eine neue Form von „Avantgarde“, vielleicht gerade weil diese Menschen in zwei Sprachen und Kulturen zuhause sind? Ein riesen Vorteil für die gesamte Gesellschaft, weiter so!!!

  2. akira sagt:

    „Tatsächlich stammt eines der ersten Wiener Kaffeehäuser etwa aus dieser Zeit und wurde 1685 von einem Griechen bzw. Armenier[3] namens Johannes Theodat gegründet“

    http://de.wikipedia.org/wiki/Wiener_Kaffeehaus

  3. Optimist sagt:

    @ akira

    Soll das jetzt heißen, daß der Kaffe nicht von den Türken überliefert wurde? Schau mal hier:

    http://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_Theodat

    „Nachdem Kaiser Leopold I. ab 1669 in Wien die Juden ausgewiesen hatte, brach die Silberversorgung für die kaiserliche Münze zusammen. Da ansässige Handelsleute die Lieferung nicht übernehmen konnten, wurde Diodatos Handelsgesellschaft engagiert. Von März bis Oktober 1671 war er dazu in der Türkei, konnte jedoch auch nicht für einen regelmäßigen Betrieb der Münze sorgen.“

    Oder hat er etwa den Kaffee 14 Jahre später in Wien einfach nochmal selbst neu entdeckt oder gar selbst „erfunden“, weil er als Handelsmann zwischen den Türken und den Ansässigen 14 Jahre nix von Kaffee wusste und dann plötzlich ne Eingebung hatte und das erste Kaffe-Haus in Wien eröffnete, oder wie jetzt?

  4. Shanelle sagt:

    Optimist@ Akira will damit nur sagen, dass wenn sie hier und dort Sätze aus dem Zusammenhang reißt, es durchaus möglich ist, Geschichte zu verfälschen. Mehr will sie glaube ich nicht sagen, oder meinen Sie hinter diesem Kommentar irgendeine fundierte Aussage zu entdecken?!

    Augen auf, solche Leute laufen zuhauf herum!

  5. akira sagt:

    Die Osmanen haben aus vielen Völkern bestanden.

    Die heutige Türkei ist kann man nicht mit dem Osmanischen Reich vergleichen.

    Und wenn jemand Geschichte studiert hat, sollte man dieses wissen…

  6. AHA sagt:

    @Optimist
    Soll das jetzt heißen, daß der Kaffe nicht von den Türken überliefert wurde?
    http://de.wikipedia.org/wiki/Kaffee
    Richtig wurde er nicht!! Denn der erste Ausschank wurde von einem Armenier und dann später zunächst vor allem von Griechen getätigt. Was die Österreicher dann später daraus gemacht haben im Gegensatz zu den Türken zeigt was man bei entsprechender Fantasiefähigkeit alles an leckeren Kreationen schaffen kann.
    Gebrühter Kaffee wurde in Wien auch zubereitet, aber mit der Bezeichnung „Karlsbader“ versehen, nach der dafür nötigen Stockwerkskanne, der „Karlsbader-Kanne“[8]).

    In der langjährigen Wiener Kaffeehaustradition wurden an die 50 Kaffezubereitungen serviert, die mit den Schalengrößen bzw. Anrichtung in speziellen Gläsern, der Zugabe oder Weglassens von Zucker, Obers, Schlagobers, Milch, Milchschaum, Milchhaut, Spirituosen und der Reihenfolge oder Schichtung der Zugaben variiert waren.

    Das zeigt mir das es nicht wichtig ist wo oder von wem etwas mitgebracht wurde. Wichtig ist was man daraus macht!!

  7. Shanelle sagt:

    @Akira „Die Osmanen haben aus vielen Völkern bestanden.“ Super, Sie meinen wohl das Osmanische Reich hat aus vielen Völkern bestanden, aber eigentlich meinen Sie „sich aus vielen Völkern zusammengesetzt“, nicht wahr?

    @Akira „Die heutige Türkei ist kann man nicht mit dem Osmanischen Reich vergleichen…“ Aha und wer tut das? Sie etwa, ohne es zu bemerken? Man kann das Dritte Reich auch nicht mit der Bundesrepublik vergleichen oder tun Sie das?

    Und überhaupt empfehle ich Ihnen einen Blick in die Bücher, die Türkei ist, ebenso wie Deutschland (Neben der größten Minderheit, den Türken, Serben, Kroaten, Italiener, Griechen, Sorben, Dänen und und und), ein Vielvölkerstaat und das ist auch ganz gut so. Meinen se net?

  8. Optimist sagt:

    Wenn diese Möchtegern-Allesbesserwisser nicht als einziges Ziel hätten, die Kommentarecke und Beiträge zu unterminieren, wüssten sie, daß die Armenier über Jahrhunderte Teil der osmanischen Bevölkerung waren. Während die Osmanen eine breite Hochkultur hatten, leckte man sich hier damals noch die Wunden des 30jährigen Kriegs, wo die sterbende und hungernde Bevölkerung sogar nachgewiesenermaßen Kannibalismus betrieb, mal ganz abgesehn von den hygienischen Zuständen im Mittelalter. Man braucht nur mal unter Wiki den Begriff Barbar eingeben, dann sieht man, was Deutschland vor den Denkern und Dichtern war.

  9. akira sagt:

    “sich aus vielen Völkern zusammengesetzt”

    -> ja, kann man auch so sagen…

    “Aha und wer tut das?”

    -> Die Autorin dieses Textes.

    Die Türkei “war” nie ein Vielvölkerstaat.
    Die Gründung der Türkei begann mit Vertreibungen und Massenmorden an all jenen Völkern welche “Autonomie” haben wollten und sich nicht “Türkisch” gefühlt haben.

  10. Shanelle sagt:

    Optimst@ Ich kann Ihre Wut über den kommentierten Schwachsinn hier verstehen, allerdings würde ich nicht in dieselbe Kerbe hauen. Wir wissen, dass die Araber die Seife erfunden haben und wir wissen auch von den in der Religion verankerten Hygenievorschriften im Islam, man denke nur an die vielen Brunnen und Hamams im Osmanischen Reichs. Wir sollten die lieben Leute aber viel mehr aufklären, anstatt Ihnen mit denselben unsachlichen Vorurteilen zu begegnen!

    Akira@ De facto war die Türkei immer schon ein Vielvölkerstaat, de jure gab es einen Nationalismus, der die Minderheiten im Land ignorierte. Haben Sie eigentlich gewusst, dass der Nationalismus eine “europäische Erfindung ist?” und in alle Länder exportiert wurde?

    Geschichte lernen Sie nicht, in dem Sie ein Buch aufschlagen, Sie sollten mit offenen Augen durch das Leben gehen, das wünsche ich Ihnen!