Zigeuner?

Ausgrenzung deluxe

Was denken Roma und Sinti über ihre Rolle in den europäischen Gesellschaften? Was erzählen sie in ihrer Kunst und Literatur über sich, ihre Kultur und ihre Identität? Ein Rückblick auf das Symposium "Was heißt denn hier Zigeuner?"

Von Susanne Rieper Donnerstag, 17.11.2011, 7:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 20.11.2011, 23:26 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

„Vor ein paar Jahren wäre so ein Symposium undenkbar gewesen. Dieses Symposium hat viele hochkarätige Teilnehmer. Das ist durchaus ein Statement“, so Delaine Le Bas, britische Künstlerin mit Roma-Hintergrund. „Wir treffen uns hier, um Ideen zu sammeln, wie man in Zukunft mit Roma in Europa umgeht.“ So beschreibt Kiba Lumberg, finnische Künstlerin mit Roma-Hintergrund das gut besuchte Symposium „Was heißt denn hier Zigeuner? Bild und Selbstbild von Europas größter Minderheit“, welches am 10.11. und 11.11.2011 in Berlin stattfand. Organisiert wurde es von der Bundeszentrale für politische Bildung und der Allianz Kulturstiftung.

Das Symposium wurde von Herta Müller eröffnet. Nichts beschreibt die Situation der Roma in Rumänien und die dortige Pogromstimmung eindrücklicher als es ihr Reisebericht aus Rumänien, „Der Staub ist blind, die Sonne ist ein Krüppel“, tut. Die Dringlichkeit der Angelegenheit, weswegen man sich hier eingefunden hatte, offenbarte sich, als am Ende des Eröffnungsabends Kenan Emini von der Göttinger Initiative „Alle bleiben“ in den Saal stürzte und von 70 Roma erzählte, welche seit 20 Jahren in Deutschland leben und vor ein paar Stunden in den Kosovo abgeschoben worden sind.

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Die Situation der Roma in Europa ist verheerend. Laut Morten Kjaerum, Direktor der Europäischen Menschenrechtsagentur, nimmt die Diskriminierung von Roma in Europa zu. Das Recht auf Bildung, Gesundheitsversorgung, Arbeit und Unterkunft bleibt Roma oft verwehrt. Traurige Höhepunkte dieser Ausgrenzung sind die Morde an Roma in Ungarn in den Jahren 2008 und 2009 und aktuell die Rückführungen in die so genannten Heimatländer.

Drei Podiumsdiskussionen stellten die Rahmenbedingungen des Symposiums dar. Die Videobotschaft von Viviane Reding, Vizepräsidentin der EU-Kommission und EU-Kommissarin für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft kündete das Dilemma der ersten Podiumsdiskussion über zukünftige politische Maßnahmen an. Es mangelte nicht an gutem Willen, jedoch aber an konkreten Ansätzen. So war man sich über die Ziele einig, ja, man will die Einbindung der Roma in die Gesellschaft, strittig war man sich aber über die Herangehensweise. Ein Generationskonflikt tat sich am Podium auf. Der Glaube an die Politik schien unter den älteren Herren ungebrochen zu sein und so setzten diese auf althergebrachte nationale und europäische Strategien, so beispielsweise auf die nationalen Strategien, welche die jeweiligen EU-Mitgliedsstaaten bis 2020 ausarbeiten wollen. Die jüngeren Herren am Podium lehnten derartige Strategien keineswegs ab, jedoch aber forderten sie die direkte Zusammenarbeit mit Roma. Vor allem jugendlichen Roma verlangen sie Eigenverantwortung ab und wollen diese in die politische Diskussion miteinbeziehen. Ähnlich formulierte es Le Bas: „Roma würden gerne darüber reden was sie wollen. Aufgrund ihrer Kultur leben Roma so wie sie leben. Für Außenstehende ist dies nur schwer nachvollziehbar.“ Auch ist sie der Meinung, „dass sich Roma untereinander vernetzen müssen, sodass sie stark werden.“ Einig war man sich wieder bezüglich des Antiziganismus. Um gegen ihn vorzugehen, muss dieser innerhalb der Gesellschaft als solcher erkannt werden. Zudem darf er nicht als Verlagerung von Antisemitismus Aufwind erhalten.

Entschiedener und fruchtbarer fielen die Podiumsdiskussionen zum Thema Kunst und Literatur der Roma aus. Die Aufbruchsstimmung innerhalb der Kunst und Literatur der Roma war deutlich spürbar. Die Kunst und Literatur der Roma will Stereotype aufbrechen. „Die Romantisierung wie auch die Dämonisierung der Roma müssen aufhören“, fordert Le Bas. Hierfür muss die Kunst und Literatur der Roma Verbreitung finden. Diesbezüglich wurde auf die Bedeutung der Roma-Pavillons bei der Biennale in Venedig 2007 sowie 2011 hingewiesen, wie auch auf die Notwendigkeit von vermehrter Übersetzungsarbeit und Verlage, welche die Literatur der Roma veröffentlichen. „Die Kunst der Roma dient aber auch der Vergangenheitsbewältigung“, so Lumberg. Die Ausstellung „Reconsidering Roma – Aspects of Roma and Sinti life in contemporary art“, welche noch am selben Abend im Kunstquartier Bethanien eröffnet wurde, zeigt dies sehr gut. Künstler wie Karl und Ceija Stojka und Karin Berger greifen in ihren Arbeiten den Roma-Holocaust auf, welcher, auch das ein Fazit des Symposiums, noch zu wenig im Bewusstsein der Gesellschaft verankert ist. Lumberg nutzt die Kunst um auf die Probleme innerhalb der Roma-Community aufmerksam zu machen, weswegen sie seitens der Community mit Morddrohungen konfrontiert war: „Ich will Roma-Frauen durch meine Arbeiten ermutigen, aus den patriarchalen Strukturen der Community auszubrechen.“ Lumberg fügt hinzu: „Gleichzeitig ist dies ein Appell an alle Frauen.“ Dies zeigt den Anspruch der Künstler, auch jenseits ihres Roma-Hintergundes ernst genommen zu werden. Le Bas will aber auch auf die Zeitgeistigkeit der Roma verweisen. Nicht nur kann man Roma wegen ihrer Staatenlosigkeit als Avantgarde bezeichnen, sondern, so Le Bas, „leben Roma ökologisch sehr nachhaltig. Es fehlt ihnen an fließendem Wasser, also verwenden sie Regenwasser. Roma sind auch dafür bekannt, Gegenstände, die sie auf Schrottplätzen finden, zu recyceln.“

Dass das Symposium als ein Ort der Begegnung und des Austausches gelungen ist, steht außer Frage. Noch was anderes aber machte dieses Symposium besonders. Die Veranstaltung erweckte den Eindruck, dass man sich hier nicht nur gegen die Ausgrenzung von Roma einsetzt, sondern generell gegen die Ausgrenzung von Menschen, die angeblich nicht ins System passen. Die sehr gelungene Videoinstallation von Sanja Ivekovic „The Rohrbach living memorial“, welche Teil der bereits erwähnten Ausstellung ist, verstärkt dieses Gefühl. Anstelle von Roma sitzen x-beliebige Menschen auf der Straße von Rohrbach und warten auf ihre Deportation. Wer wird wohl der nächste sein, der in Zeiten wie diesen nicht mehr ins System passt? Aktuell Gesellschaft

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