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Der deutsch-amerikanische Bindestrich

Multikultur-Lektionen aus Amerika vor hundert Jahren

Vor 125 Jahren tobte in den USA ein Kampf um Leitkultur und Parallelgesellschaft. Er klingt merkwürdig vertraut. Die Konfliktfelder sind Religion, Geschlecht und Sprache - es geht um deutsche Parallelgesellschaften oder Little Germanies.

Von Y. Michal Bodemann Freitag, 21.10.2011, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 26.10.2011, 23:38 Uhr Lesedauer: 21 Minuten  |  

Ob German- oder Italian-, Asian- oder African-Americans: In den Vereinigten Staaten ist der Bindestrich, früher ein Schimpfwort, nachgerade zu einem Zeichen der Distinktion geworden – vor allem bei denjenigen Gruppen, bei denen wir heute eher von „symbolischer Ethnizität “, ohne sprachliche und institutionelle Strukturen, sprechen. Hier haben Gesellschaft und Staat Multikulturalismus auf einem flachen Niveau anerkannt, und gleichzeitig haben sich die USA damit von der ehemals überaus starken Betonung des angelsächsischen Erbes etwas fortbewegt.

In Deutschland dagegen, wo das „germanische Erbe“ als mögliches Äquivalent durch den Nationalsozialismus anrüchig geworden und heute nicht mehr tragfähig ist, hat man sich auf die „christlich-abendländische“ und neuerdings auch auf die „christlich-jüdische“ Leitkultur verständigt. All das findet in einem Kontext der Renationalisierung statt, zu dem nicht nur die Probleme auf europäischer Ebene, sondern auch die relativ massive Einwanderung beigetragen haben. Hier könnten sich in Zukunft die Konflikte noch zuspitzen, etwa zwischen Deutschen und „deutschen Türken“ (aber auch zwischen afrikanischen Migranten). Bereits heute werden Menschen mit türkischem Migrationshintergrund durch Interventionen türkischer Politiker, etwa des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, in erhebliche Loyalitätskonflikte gebracht.

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Ähnliches geschah auch seitens der deutschen Reichsregierung gegenüber den deutschen Einwanderern in den USA um 1900. Tatsächlich stellten ausgerechnet die Deutschen damals das beste Beispiel einer geschlossenen Gruppe dar, mit Pflege der deutschen Kultur und Geselligkeit, politischen Vereinen, eigenen deutschsprachigen Schulen, eigenen Feiertagen und einer Flut deutscher Zeitungen. Seitens der Aufnahmegesellschaft wurde diese „Parallelgesellschaft“ mit äußerst gemischten Gefühlen auf- und wahrgenommen, denn die deutsche Lebensweise entsprach keineswegs der angelsächsisch orientierten „Leitkultur“. Daher lohnt es sich, die deutsch-amerikanische Vergangenheit genauer ins Visier zu nehmen. Vielleicht kann sie ja als ein Spiegel unserer Zukunft in Deutschland dienen.

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Deutsche unter sich – der Anfang in Amerika
Vor 125 Jahren, am 21. Juni 1886, begann in Chicago der Prozess um die sogenannte Haymarket-Affäre. Arbeiter in Chicago und andernorts kämpften damals für den Achtstundentag, und bei Zusammenstößen zwischen Streikenden und Polizei wurden zwei Aktivisten erschossen und eine größere Zahl von Streikenden verwundet. Anarchisten und Sozialisten veranstalteten wenige Tage später eine Protestveranstaltung auf dem Chicagoer Haymarket. Im Laufe dieser Versammlung explodierte in den Reihen einer sich nähernden Polizeieinheit eine Bombe, die mehrere Polizisten tödlich verletzte. Obwohl die Täterschaft nie geklärt wurde – eine private Wachmannschaft wurde später verdächtigt –, wurde den als Anarchisten verschrienen Anführern, die während der Protestversammlung eher beschwichtigende Reden gehalten hatten, ein wahrhaftiger Schauprozess gemacht. Sechs der Immigranten und ein Amerikaner wurden zum Tode, ein weiterer zu lebenslanger Haft verurteilt. Trotz internationaler Proteste gegen den Prozess wurden die Urteile im November 1887 vollstreckt. August Spieß, der Anführer der Bewegung, sagte unter dem Galgen: „Die Zeit wird kommen, wenn unser Schweigen mächtiger sein wird als die Stimmen, die ihr heute erwürgt.“

Bemerkenswert ist, dass von den acht unschuldig Verurteilten mindestens sechs deutscher Herkunft waren. Dies erklärt sich nicht nur aus der Tatsache, dass damals ein Drittel der Bevölkerung Chicagos aus deutschen Einwanderern bestand. Denn der Schauprozess war speziell gegen deutsche Immigranten und den deutschen politischen Radikalismus in der Arbeiterklasse gerichtet. Dieser Radikalismus hatte unter in den USA geborenen Amerikanern große Verunsicherung ausgelöst. Wie die „Chicago Tribune“ von der Protestveranstaltung berichtet hatte: „Die Begeistertsten in der Menge waren Deutsche. Eine große Zahl von Polen und Böhmern gab es ebenfalls, neben amerikanisch aussehenden Leuten, die als Zuschauer gekommen waren, sowie Geheimpolizisten, die alte Kleidung trugen. Gruppen von Deutschen diskutierten über die zu erwartenden Unruhen.“ Deutsche als begeisterte Teilnehmer, Amerikaner als passive Zuschauer: Hier war der erhobene Zeigefinger, der besagte, „als nicht-angelsächsische Einwanderer seid ihr verpflichtet, Euch an gegebene amerikanische Normen zu halten, und euer Sozialismus gehört nicht dazu.“ Ähnlich stigmatisierende und kriminalisierende Entwicklungen, wie sie heute mit der türkisch-muslimischen Einwanderung nach Deutschland in Beziehung gesetzt werden, lassen sich also auch im deutsch-amerikanischen Migrantenzusammenhang feststellen.

Die erste Periode der deutschen Emigration wird vom 17. Jahrhundert bis 1815 datiert. Zumeist waren es kleinere sektiererische, zu Hause unterdrückte Gruppen wie Mennoniten und Hutterer, die damals nach Amerika kamen. Die zweite Auswanderungsperiode dauerte vom Wiener Kongress 1815 bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs. Diese zweite Emigrationswelle von über sieben Millionen Menschen stellt auch insofern einen interessanten Fall dar, als ihre vollständige Assimilation längst abgeschlossen ist. Sie gibt uns deshalb die Chance, über mögliche Verlaufsformen heutiger Einwanderung nachzudenken. Innerhalb dieser Phase ist wiederum zwischen einer Einwanderung von primär Bauern und Handwerkern (vor 1848 und um 1860-70) sowie der Einwanderung politischer Flüchtlinge und politisch engagierter Menschen nach der Märzrevolution 1848 zu unterscheiden. Diese Gruppe der „Forty-eighters“ vor allem hat die deutsche Einwanderung in den USA politisch und kulturell geprägt.

Little Germanies: Deutsche Parallelgesellschaften
Im Gegensatz zur landläufigen Annahme, die meisten Deutschen seien in den USA Farmer geworden, war die Einwanderung des 19. Jahrhunderts vor allem auf eine Reihe größerer Städte verteilt, wo sich die Deutschen in „Little Germanies“ konzentrierten, etwa in New York, Milwaukee, Baltimore, St. Louis und Philadelphia. In Chicago waren zwischen 1850 und 1914 durchweg zwischen 25 und 30 Prozent der Einwohner deutscher Herkunft – um 1900 demnach zirka 550 000 der 1,7 Millionen Einwohner. Von diesen zählten um 1850 über 80 Prozent und noch 1900 zwei Drittel zur Arbeiterschaft. Die anderen 30 Prozent hatten es da bereits in die Mittelschichten geschafft.

Es verwundert nicht, dass diese Einwanderer zunächst in eigenen, ethnisch abgesonderten Vierteln ihr Zuhause fanden und erst in der zweiten oder dritten Generation in die Außenbezirke Chicagos (oder anderer Städte) abwanderten. Der Kokon der anfänglichen Segregation erlaubte es ihnen also gerade, sich anschließend in die breitere Gesellschaft einzugliedern.

In der ersten und zumeist auch der zweiten Generation wurden sie also noch als „Parallelgesellschaft“ angesehen: So wurde etwa gefragt, ob die Deutschen denn wohl ein „imperium in imperio“ in den USA gründen wollten. Tatsächlich gab es derartige Phantasien unter einigen Deutschen; aber war es tatsächlich eine Parallelgesellschaft? Gesellschaft Leitartikel Meinung

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