Buchtipp zum Wochenende

Der Islam-Irrtum – Europa und die muslimische Welt

Auf den ersten Blick könnte man bei dem Werk von Michael Thumann die Auffassung vertreten, es handelt sich um eine weitere Antwort auf die unangemessene „Islam-Kritik“ à la Sarrazin, Kelek und Co. Nach den ersten Seiten wird dem Leser jedoch klar, dass dem nicht so ist.

Von Mehmet Osman Gülyeşil Freitag, 07.10.2011, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 15.06.2015, 21:31 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Zumindest nicht unmittelbar. Vielmehr ist „Der Islam Irrtum“ eine aktuelle Momentaufnahme anlässlich des sogenannten arabischen Frühlings. Hierbei wird neben den Revolutionsstaaten wie z.B. Ägypten der gesamte Mittlere Osten unter die Lupe genommen. Eine soziologisch, ökonomisch und politische Betrachtungsweise dürfte die Absicht des Zeit-Redakteurs für den Mittleren Osten auf den Punkt bringen.

Anstatt die Vorurteile gegenüber Muslimen im innerstaatlichen Raum aus dem Weg zu räumen, konzentriert sich der „Islam-Irrtum“ auf wesentliche drei Punkte bzw. Fehlvorstellungen, die der Westen in seiner Nahost-Wahrnehmung seit anno 2001 betreibt: 1) dem Missverständnis von der all überragenden Bedeutung des Islam im Nahen Osten; 2) der falschen Annahme, der Islam sei prinzipiell gegen den Westen gerichtet und der Abschottung gegen alles Islamische, sowie 3) dem Vorbeisehen an den Stärken und Schwächen der Länder im Nahen Osten ganz unabhängig von der Religion.

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Klarstellung
So beginnt das Werk mit einer Klarstellung, wie die muslimische Welt aus Perspektive des Autors wahrgenommen werden sollte. Von Islamisten, die in Wirklichkeit die Gesellschaft spalten, statt vereinen, bis hin zu Nationalisten die gemäß ihrer Konfession die Religion in einer gewissen Weise für Ihre politischen Ziele instrumentalisieren. Die Rolle der Hisbollah, und der Hamas sowie dem Israel – Palästina Konflikt werden hierbei thematisiert. Ein Schwerpunkt wird dabei auf die Revolution in den arabischen Staaten, insbesondere aber wie bereits angesprochen Ägypten, gesetzt. Revolutionen galten lange Zeit als utopische und illusionäre Romantik, die höchstens in Musikstücken oder Jugendslogans alternativer Gesinnung zu finden waren. Das technologische Zeitalter und seine Medien wurden unter anderem als Grund für eine politisch desinteressierte Gesellschaft dargestellt. Michael Thumann macht mit seinem Werk, solchen Thesen das Leben schwer. Eindrucksvoll berichtet er die Situationen in den arabischen Ländern und wie die „Facebook/Twitter“ Revolution aus der Perspektive einiger Befragter subjektiv wahrgenommen wurde. Im Vergleich zu manch anderen Autoren (so etwa: „Der arabische Frühling – Als die islamische Jugend begann, die Welt zu verändern“ von Jörg Ambruster) ist der Autor der Auffassung, dass die Revolution nicht aufgrund einer religiösen Überzeugung entstand, sondern das Verlangen nach Freiheit und Mitspracherecht der Mehrheitsgesellschaft in jenen Staaten, völlig unabhängig ihrer religiösen Überzeugung.

Eine gewisse Revolution findet zudem in der Türkei statt. Diese hat sich seit dem politischen Wandel im Jahre 2003 zu einer Wirtschafts- und Kulturrevolution entwickelt. Eine von einer westlich beeinflussten, auf freier Marktwirtschaft basierenden Wirtschaftspolitik, mit zunehmendem ökonomischem Wachstum und das Erfolgsmodell von Islam und Demokratie werden anhand der Beispiele von Recep Tayyip Erdoğan‘s AKP und den aufstrebenden Geschäftsmännern Anatoliens dargestellt. Die Türkei hat bei Thumann hierbei einen besonderen Stellenwert. Zwei Kapitel wurden der Türkei zugewiesen, wobei das Zweite eine stärkere Darstellung der politischen Entwicklung des ehemaligen „kranken Mannes vom Bosporus“ beinhaltet.

Die Frau in der muslimischen Welt
Neben dem positiven Aufbruch des Nahen Ostens werden zudem kontroverse Themen angesprochen und näher erläutert. Zu dem zählen nach Auffassung des Autors eben auch die im Westen höchst umstrittene Frage nach Stellung der Frau sowie die Homosexualität und deren Akzeptanz in den islamisch geprägten Regionen im Nahen Osten. Ein Irrtum des Westens, die Frau der islamischen Welt habe wenig Rechte, werden durch Beispiele selbstbewusster und wegweisender Frauen dargestellt. Richtigerweise werden hierbei auf die geografischen Unterschiede hingewiesen, in denen verschiedene religiös geprägte Bräuche streng (Saudi Arabien) oder moderner (Marokko) praktiziert werden. Dabei werden im selben Atemzug die Schwierigkeiten, die ambitionierten Geschäftsfrauen oder dem Heiratswunsch nachkommenden Singles entgegenstehen ebenfalls erläutert.

Eine enorm wichtige, doch zu kurz kommende Sektion ist dabei, die Erwähnung was für Probleme die bezüglich des Westens auf europäische Muslime und der islamischen Geografie entstanden ist. Auf knapp 24 Seiten werden von den Karikaturen über den Propheten Mohammad, die Kopftuchdebatte aber auch den Beitrittsverhandlungen der Türkei in die EU vielerlei abgedeckt. Als problematisch könnte man die Betitelung „Kulturkampf“ in diesem Kapitel empfinden, welches darauf deuten lässt bzw. könnte, dass es sich um eine Huntington‘sche Wahrnehmung des Problems handelt. Dieser Terminus wird jedoch geschickt als Spiegel für jene „Kritiker“ verwendet, welche mit der Bedrohung des Westens durch den Islam, Politik, Wirtschaft und Manipulation vorantreiben. Obwohl zu kurz gekommen ist dabei lobenswert, dass die wesentlichen Stereotypen und Missverständnisse die sich seit Jahren angehäuft haben, mit diversen Analysen und Schlussfolgerungen dargestellt und zugleich widerlegt werden.

Fazit
Als Fazit lässt sich sagen, dass Michael Thumann mit dem „Islam-Irrtum“ ein kompakt gutes Werk gelungen ist. Kompakt deshalb, weil die Problematik innerhalb der Beziehung zwischen (Naher) Ost(en) und West nicht oberflächlich betrachtet wird. Vielmehr versucht das Werk die tiefgründige Wahrnehmungsstörung aufzuzeigen, welches im Gegenzug das fehlerhafte Verhalten des Westens gegenüber der muslimischen Welt zur Folge hat. Die Interpretation der Muslime und der islamischen Staaten durch den Westen könnte mit diesem Werk einer Korrektur unterzogen werden und wird sicherlich für aufrichtig nach den objektiven Gegebenheiten eine nützliche Quelle sein.

Zum Autor:
Michael Thumann, geboren 1962, studierte Geschichte, Politik und Slawistik in Berlin, New York und Moskau. Seit 1992 berichtete er als Korrespondent der Zeit über Südosteuropa, von 1997 bis 2001 als deren Moskauer Korrespondent über Rußland und Zentralasien. Heute koordiniert Michael Thumann in Hamburg die außenpolitische Berichterstattung der Zeit. Aktuell Rezension

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  1. Europa sagt:

    Wie wäre es wenn auf einer Migranten-plattform auch mal Werbung für Bücher über das Christentum und den Atheismus gemacht werden würde? Schliesslich sollten die Migranten ein grösseres Interesse an unserer Kultur haben, als wir an deren. Ich muss den Islam nicht verstehen um in Europa in Frieden und Ruhe leben zu können. Die Migranten andersrum werden in Europa aufjedenfall Probleme kriegen, wenn sie sich nicht anpassen.

    Man würde vielen Migranten helfen, wenn man ihnen mal Europa und Deutschland und unsere Gesellschaft erklären würde.

    Ich bin auch davon überzeugt, dass die deutsche Gesellschaft sich wahrscheinlich schneller den Türken anpassen könnte, als umgekehrt, aber das sollte kein Grund dafür sein dass wir es auch tun!

  2. Europa sagt:

    Und noch was:
    Probleme werden nicht dadurch gelöst in dem man sie erklärt und ihren Ursprung erläutert.

    Ein Problem muss gelöst werden und zwar mit demokratischen Mitteln und d.h. die Mehrheit entscheidet.

    Wenn Zwangsehen in Deutschland nicht gemocht werden, dann hilfts keinem, wenn man erklärt, dass es Unterschiede zwischen den Rechten der Frau in Saudi Arabien und Marokko gibt. Man muss das Problem der Existenz der Zwangsehe lösen egal von wo sie kommt.

  3. Snillisme sagt:

    Es gibt hier in Europa ganz unabhängig von Religion einen Grundkonsens in Bezug auf persönliche Freiheitsrechte, der allerdings und leider mehr und mehr bröckelt und immer theoretischere Formen annimmt und man muß sich so langsam mal entscheiden ob man es ernst meint mit diesen Rechten oder ob man sie aus Gründen der Feigheit lieber aufgeben will.
    Es kann noch so viel gefördert und gefordert und dialogisiert werden, aber um diese Entscheidung kommt man nicht herum. Entscheidet man sich nicht, hat man auch entschieden.

  4. Toleranz sagt:

    warum unangemessene Islamkritik. Man vergleiche doch nur mal die Religionsfreiheit in den westlichen Demokratien mit der in islamisch geprägten Ländern gewährte „Religionsfreiheit“! Oder zum Beispiel den Umgang mit den dänischen Mohammad-Karrikaturen. Mir geht es langsam ziemlich gegen den Strich, dass von bestimmten Kreisen jegliche kritische Auseinandersetzung mit dem Islam (Lehre und Praxis) als Islamphobie diffamiert wird.

  5. MoBo sagt:

    @ die drei Vorkommentatoren: was haben denn die drei letzten Kommentare mit der Rezension oder dem Buch zu tun? (Europas erster Kommentar passt ja inhaltlich noch. Ich könnte gerne einmal eine Rezension eines „europäische Werte“ Buches was ich mal gelesen habe überarbeiten, aber das ist dann wahrscheinlich zu europakritisch – ich meine den Kontinent, nicht den Kommentator – u.a. weil ich mich darüber beschwere, dass die Ränder Europas systematisch ausgeklammert werden)

  6. Mathis sagt:

    Von wem soll das Buch gelesen werden?
    Verstehen die Muslime den Islam?
    Müssen die Europäer den Islam verstehen?
    Wenn das Buch klarstellen kann, wie Jahrhundere unterschiedlicher kultureller Entwicklungen überbrückt werden können,wäre ich dabei.Ansonsten erwarte ich jetzt mal etwas von muslimischer Seite,genau zu diesem Thema!

  7. Snillisme sagt:

    @ MoBo
    Seien Sie doch nicht so kleinlich. Alles hat mit allem zu tun….irgendwie.