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Christdemokraten und Populismus

Am 28. Juni 2011 organisierte der CDA in Den Haag ein Symposium mit dem Titel „Populismus im Polder“. Dabei suchten die Christdemokraten u.a. nach Antworten auf den Aufstieg der PVV. Das Ergebnis ist noch recht dünn, aber ein Schritt in die richtige Richtung.

Von André Krause Dienstag, 26.07.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 27.07.2011, 22:49 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Maxime Verhagen, Wirtschaftsminister und Vize-Premier, ist nicht nur einer der Architekten der PVV-tolerierten VVD-CDA Minderheitsregierung, sondern auch der starke Mann der (ehemaligen) „we run this country“-Partei. Wenn der katholische Ex-Außenminister eine Grundsatzrede hält, hören die niederländischen Christdemokraten ganz genau hin – gewiss auch die 32%, die sich im vergangenen Jahr auf dem mittlerweile legendären Parteikongress in Arnheim gegen eine Zusammenarbeit mit Wilders‘ Einmannpartei ausgesprochen haben.

Auf dem Populismus-Symposium präsentierte Verhagen den Zuhörern mögliche Wege aus dem dramatischen Umfragetief, indem sich der CDA seit Monaten befindet. Es gelang ihm, erste Konturen eines zeitgemäßen, christdemokratischen Gesellschaftsentwurfs aufzuzeigen.

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3 zentrale Punkte:

1. Verhagen beteuert, dass Populismus niemals die Antwort des CDA auf die Probleme der Gegenwart – sprich das Unbehagen bzw. die Unsicherheit(en) vieler Bürger in einer sich rasch wandelnden Welt – sein könne. Der CDA müsse den Menschen zwar gut zuhören, aber letztendlich selbst auf der Grundlage seiner Prinzipien die Richtung vorgeben. Der Wille des Volkes sei niemals absolut, sondern werde vom Rechtsstaat, der repräsentativen Demokratie und internationalen Verträgen begrenzt.

Letzteres klingt auf den ersten Blick nahezu banal, ist allerdings bei näherem Hinsehen implizit eine scharfe Abgrenzung vom Tolerierungspartner, der a) Moslems zu Staatsbürgern zweiter Klasse degradieren, b) Politiker zu reinen Marionetten des (angeblichen) Mehrheitswillens umfunktionieren und c) die EU-Mitgliedschaft der Niederlande lieber heute als morgen beenden möchte, um eine radikale Remigrationspolitik durchführen zu können. Kurzum: Ein klares Bekenntnis zum System.

Besonders erfreulich dabei: Verhagen erliegt nicht dem heute politisch-korrekten Reflex, die diffuse Wut des Bürgers als edelste Form demokratischen Bewusstseins sowie als ultimative Richtschnur für das eigene Handeln anzusehen. Stattdessen unterstreicht er seinen Gestaltungs- und Führungsanspruch.

Wohin eine Integrationsdebatte ohne geistige Führung der etablierten Parteien (CDA, PvdA, VVD) führt, haben die Niederländer seit 2001 erfahren dürfen. Es gilt allerdings zu beachten, dass anno 2011 Politiker, die den Anspruch erheben, die Initiative in wichtigen politischen Fragen zu ergreifen, die Bürger ernst- bzw. mitnehmen und sie von ihren Konzepten überzeugen. Alles andere wäre natürlich zutiefst undemokratisch – und auch nicht im Sinne Maxime Verhagens.

2. Verhagen bekennt sich zur jüdisch-christlichen Leitkultur (ohne dabei vom Humanismus zu sprechen). Westliche Werte müssten gepflegt werden. Allerdings sagt der Vize-Premier einschränkend: „Dass die multikulturelle Gesellschaft misslungen ist, darf kein Grund sein, sich hinter den Deichen zu verstecken und alles, was fremd ist, abzuweisen.“ Der Blick dürfe also auch bei einer (stärkeren) Besinnung auf das geistig-kulturelle Erbe der Niederlande nicht nach innen gerichtet sein. Stattdessen sei die Neugier auf andere Kulturen und Traditionen von essentieller Bedeutung für eine vitale Demokratie.

Da der Populismus eine „Überreaktion auf die Verherrlichung des Multikulturalismus“ sei, ist es nahe liegend, dass laut Verhagen der Schlüssel zu einer (gesellschaft-)politischen Bekämpfung der PVV in einer stärkeren Betonung des „Eigenen“ liege – ohne dabei jedoch das „Fremde“ bzw. das „Andere“ aus dem Auge zu verlieren, abzuwerten oder abzulehnen. Sozusagen ein sanfter, „kosmopolitisch“ anmutender Nationalismus 2.0. „Niederländische“ Niederlande als selbstbewusster Akteur in der globalisierten Welt. Damit verortet der Redner seine Partei geschickt zwischen der (inzwischen letzten) pro-„Multi-Kulti“-Partei D66 sowie der provinziell-monokulturell ausgerichteten PVV (deren isolationistischen Kurs Verhagen auf dem Symposium dementsprechend scharf kritisiert).

3. Verhagen sieht eine Lösung für die gesellschaftspolitischen Herausforderungen der Gegenwart in der katholischen Soziallehre, genauer gesagt im Subsidiaritätsprinzip: Der Staat habe die Aufgabe, den Bürgern die Möglichkeiten zu bieten, sich zu entfalten und sich dabei eigenverantwortlich für ihre Umwelt einzusetzen. Der Vize-Premier ruft seine Landsleute zum Handeln auf. Ärmel hochkrempeln. Es reiche nicht, bloß auf Missstände zu weisen.

Auch wenn Verhagen es nicht explizit sagt: Dabei dürfte er nicht zuletzt an die „tapferen“ Helden der, besser gesagt ihrer, Meinungsfreiheit gedacht haben, die im Schutze der Anonymität des Internets gegen „linke Eliten“ (Politiker, Journalisten, Wissenschaftler), Moslems und andere nicht-westliche Allochthone agitieren und das gesellschaftliche Klima vergiften (Kostproben finden sich z.B. auf www.geenstijl.nl).

Verhagen hingegen steht für den konstruktiven Ansatz. Deshalb müsse die Bürgergesellschaft durch eine Wiederbelebung der Institutionen im Land gestärkt werden (Vereinigungen, Vereine, Kirche etc.). Diese Institutionen fungierten als notwendiger „Puffer“ zwischen dem Staat und den Menschen.

Lord Dahrendorfs Ligaturen, der soziale Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält, tauchen hier am Horizont auf – nicht neu, vielleicht sogar antiquiert, aber nichtsdestotrotz weiterhin nüchtern betrachtet der einzige Weg, die Fundamente eines liberalen, demokratischen Gemeinwesens nachhaltig zu verstärken.

Mit anderen Worten: Der starke Mann des CDA ist der Ansicht, dass engagierte, selbstbewusste, d.h. nicht vereinsamte, nicht ängstliche Bürger immun sind gegen die Verlockungen des Populismus. Das Gegenteil wäre zu beweisen…

Abschließend sei erwähnt: Maxime Verhagens Bekenntnis, bei der Politik gehe es auch um Moral und Prinzipien, lässt darauf hoffen, dass sich der CDA bei der Entscheidung, sich in einem Minderheitskabinett von Wilders tolerieren zu lassen, nicht unwiederbringlich von christlichen Grundsätzen verabschiedet hat. Ein christlicher CDA steht zu 100% für eine der wichtigsten Errungenschaften der beschworenen Leitkultur, einer der westlichen Werte schlechthin: Die unter Dauerbeschuss geratene Religionsfreiheit steht nicht zur Debatte. Wer daran rüttelt, greift alle Demokraten an – erst recht Christdemokraten.

Beim folgenden Symposium sollte Verhagen jedoch näher auf die Frage eingehen, wie Menschen – Autochthone und Allochthone – motiviert werden können, aktiv in der Gesellschaft mitzumischen. Dazu blieb er einstweilen Antworten schuldig.

Doch das ist fürs Erste trotz allem eher eine Randnotiz. Seit seiner Rede ist Verhagen wieder als Politiker der Mitte erkennbar: Nicht links, nicht rechts, sondern christdemokratisch – und damit ganz entschieden anti-populistisch! Aktuell Meinung

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