Thilo Sarrazin

Der Troll von Kreuzberg

Die Geschichte ist zu gut, um wahr zu sein: Thilo Sarrazin, Deutschlands beliebtester Rassist, will zum ersten Mal in 15 Jahren durch Kreuzberg spazieren und seinen ersten Döner essen, wird aber von einem wütenden Mob* aus einem Restaurant geschmissen.

Von Dienstag, 19.07.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 23.10.2015, 17:25 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Er will auf den Wochenmarkt am Landwehrkanal und Käufer und Verkäufer schimpfen ihn einen Rassisten, er will mit der Alevitischen Gemeinde in einen Dialog eröffnen, und eine Menschenmenge vor dem Gebäude ruft „Hau ab“ während ein Vertreter der Gemeinde eine Erklärung vorliest, warum man sich nicht mit ihm treffen wolle. Sarrazin will den Dialog herstellen und wird niederträchtig verjagt – „wie ein geprügelter Hund“, wird er es selbst beschreiben. Dem Sprechchor vor dem Gemeindehaus knurrt er nur noch ein „Sie bestätigen Vorurteile“ entgegen.

Dabei wollte er wahrscheinlich auch gar nichts anderes als seine Vorurteile bestätigt wissen. Es ist schon merkwürdig wenn Deutschlands bekanntester Integrationsexperte zuletzt in den 90er Jahren in Kreuzberg war, noch nie am Maybachufer eingekauft und noch nie einen Döner gegessen hat. Offensichtlich hat er den Dialog nicht vorher gesucht, und dass er jetzt, ein Jahr, nachdem sein Buch rauskam, ankommt, spricht nicht wirklich für ehrliche Beweggründe. Dass er auch noch mit einem Kamerateam im Schlepptau ankommt, unterstreicht den Verdacht: Sarrazin will nur provozieren, er ist das, was die Netzwelt einen „Troll“ nennt, jemand der sich provokant äußert, um Aufmerksamkeit zu bekommen und um sich an den entrüsteten Reaktionen zu erfreuen.

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Und nun ist Sarrazin beleidigt, dass die Menschen von Kreuzberg – viele von ihnen fühlen sich von ihm entwürdigt und unter Generalverdacht gestellt – sein ach so großzügiges Gesprächsangebot nicht angenommen haben. Er fühlt sich gemobbt, weist einen jungen Mann zurecht, dass er sich in Deutschland „zu benehmen habe“ und knurrt die Leute an. Wenige Tage später darf er sich in der Springerpresse ausheulen, genauso wie die konservative Journalistin, Güner Balcı, die beteuert, Sarrazin sei gar kein Rassist – die Bildzeitung titelt sogar „Sarrazin von Türken aus Lokal verjagt“.

Skurril wird das Ganze natürlich, wenn Sarrazin in seinem „geprügelter Hund“-Text auch noch davon schreibt: „Die Tendenz, beleidigt zu reagieren, und der Versuch, beim Gegenüber Schuldgefühle zu wecken, seien in der orientalischen Mentalität und dem islamischen Glauben tief verankert.“ (Gut, hier schiebt er das Necla Kelek in die Schuhe, doch dass er sich die Behauptung zu eigen macht, hat er schon längst bewiesen: Als er im BBC von einer wortgewandten jungen deutschen Frau zur Rede gestellt wurde, warf er ihr vor wegen ihres muslimischen Glaubens die Diskussion zu emotionalisieren – und selbst der BBC-Moderator musste empört nachfragen, ob er das denn ernst meine.) Offensichtlich muss man keine orientalische Mentalität haben, um eine Heulsuse wie Thilo zu sein.

Doch mit seinem realsatirischen Satz über die orientalische Mentalität und dem Islam liefert Sarrazin eben den Beweis für seine rassistischen Ansichten: Dass es weder den Orient noch orientale Menschen oder eine orientale Mentalität gibt, zeigte schon vor mehr als dreißig Jahren Edward Said. Der Orient umfasst alles zwischen Istanbul und Shanghai, Türken, Araber, Inder, Chinesen – kurz Hunderte Ethnien – alle sind Orientale. Der Orient ist kein wirklicher Ort, sondern die Bühne auf der sich seit Jahrhunderten die märchenhaften Fantasien von Europäern abspielen, ein Ort der Pluderhosen, Zauberlampen, Dschinns und geheimnisvollen Räuberschätzen. Er ist ein Ort sagenumwobenen Reichtums aus einer Zeit als Europa die rückständigste Region der bekannten Welt war.

Dass Sarrazin behauptet, Menschen würden allein aufgrund ihrer Herkunft aus einem kaum überschaubaren Kontinent eine gleiche Mentalität haben und diese auch beibehalten, ist rassistisch, denn sie spricht Milliarden Menschen den freien Willen zum Handeln, die Intelligenz zur Meinungsbildung und die Fähigkeit zur Veränderung ab. Um Sarrazins Rassismus zu erkennen, muss man sein Buch nicht gelesen haben.

Was also tun, wenn Sarrazin nach Kreuzberg kommt, nur Ablehnung erfährt und dann schmollt? Sarrazin ist wie ein unreifes Kind, das durch unsinniges Fluchen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen möchte; wie ein Troll, der sich daran erfreut, dass sich Menschen an seinen Provokationen aufreiben. Tun wir, was wir beim fluchenden Kind und beim Internet-Troll auch tun würden: ignorieren und abwarten, dass er sich abreagiert. Tun wir, so formuliert es meine Mutter, was ein Baum tut, wenn ein Schwein sich an ihm kratzt – ignorieren.

*Ach ja, und das mit dem wütenden Mob stimmt natürlich nicht – auf den Videoaufnahmen bespricht sich Sarrazin mit den Restaurantangestellten und geht dann wieder; auf dem Maybachufer hatte er offenbar auch ganz nette Gespräche und der Vertreter der alevitischen Gemeinde liest einen sehr höflichen, sachlichen Text vor. Aktuell Meinung

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  1. alpal sagt:

    Erst schürt Sarrazin Vorurteile, und dann zeigt er auch noch, wie sie bestätigt werden. Schrecklich!

  2. Fikret sagt:

    Er macht wahrscheinlich Reklame für sein neues Buch. Was hat er dort erwartet, etwa Blumen? Die Reaktionen überraschen mich nicht.

  3. Zeitzeuge sagt:

    Fremdschämen

    Man kann sich nur wundern über die ach so toleranten Menschen in Kreuzberg genauso wie über den Komentarschreiber hier!

    Wenn Sarrazin ein Rassist ist dann bin ich auch einer!

    So wie ich das sehe gibt es diesbezüglich nur drei Sorten Menschen :
    Die die nicht verstehen können ,die die nicht verstehen wollen und die die verstehen .
    Wobei die beiden erstgenannten sich sicherlich am meisten hervortun !

    Es ist schon beschämend wie z.B. der Restaurantbesitzter vor dem Mob einknickt ! Aber auch verständlich .

    In diesem Sinne

  4. Sinan A. sagt:

    Manchen machen sich Gedanken, wie man den Protest gegen Sarrazin hätte besser gestalten können. Cleverer und smarter. Aber das war gar nicht nötig. Denn so wie es gelaufen ist, ist es perfekt!

    Die Reaktionen in Kreuzberg waren echt und glaubwürdig.
    Glaubwürdigkeit ist ein hohes Gut.

    Auf den Bildern sieht man ehrliche und rechtschaffende Menschen, die einem kühlen Polit-Profi die Meinung ins Gesicht sagen. Das sehen die meisten Kommentatoren so. Sarrazin hat mit dieser Inszenierung die politische Mitte verloren. Die wenigen (Buschkowski), die dennoch zwanghaft für ihn Partei ergreifen, stehen auf verlorenem Posten und zeigen damit nur ihre unredlichen Absichten.

  5. Fikret sagt:

    @ Zeitzeuge , Ja, er ist ein Rassist, zwar von schlimmster Sorte. Es war vorauszusehen, dass er es hautanah merkt. Das ist wahrscheinlich ein teil seines Planes, Aufmerksamkeit zu erregen. Money, money, neues Buch oder so. Eine schöne Werbung,das muss man ihm lassen,der jämmerliche Hobby-Erbbiologe.

  6. Falafelus sagt:

    „Er fühlt sich gemobbt, weist einen jungen Mann zurecht, dass er sich in Deutschland „zu benehmen habe“

    Ich würde mich auch gemobbt fühlen, wenn jemand, dessen Verhalten so daneben ist, mich darum bittet, mich korrekt zu benehmen?

    Oder hat der VerfasserIn dieses Textes die unverschämte Verhaltensweise des Kreuzbergers übersehen? „Hau ab“…ein Deutscher wird im eigenen Land von einem Ausländer vertrieben. Finden Sie das gut? Genau wegen solcher Ausländer gibt es immernoch ausländerfeindliche Menschen in dieser Gesellschaft!

  7. LI sagt:

    na ja, vielleicht wollte Sarrazin einfach nur mal wissen, wo er günstig seinen schon seit Jahren Hartz 4 beziehenden und 1EUR jobbenden Sohn zum Essen einladen kann.

    LI

  8. Leo Brux sagt:

    Falafelus,
    es waren auch Deutsche (türkischer Herkunft), die Sarrazin „Hau ab!“ zugerufen haben. Was hat Sarrazin, nachdem er diese Menschen in brutaler und sehr wirkungsvoller Weise national an den Pranger gestellt hat, bei denen zu suchen, die er so beleidigt hat? – Es gäbe für mich nur einen legitimen Grund: Wenn er sich entschuldigt hätte.

    Der Artikel trifft die Sachlage ganz präzise.

    Und dann Ihre Bemerkung, es gebe ausländerfeindliche Menschen nur wegen solcher Reaktionen … Fremdenfeindlichkeit ist ein Ressentiment, seit es in Deutschland Fremde bzw. für fremd Gehaltene gibt. Juden, Ostflüchtlinge, Italiener, Türken … Mal sehen, wer die Deutschtürken ablösen wird in dieser Kette.

    Was Sie betrifft, falafelus, so habe ich den Eindruck, dass Sie Mitbürger nicht-deutscher Herkunft immer noch als Gäste betrachten, die keinen Anspruch auf volle Teilhabe besitzen. Ist es so?

  9. Merkus sagt:

    Na, das ist ja einfach. Die Ausländer sind schuld am Rassismus. Dann waren vermutlich auch die Juden schuld am Antisemitismus und am Nationalsozialismus. Und wer ist die Lichtgestalt in dieser Schmierenkomödie? Der Fritz…

  10. Balthazar sagt:

    @Falafelus

    Sarrazin ist der Undeutsche – hat noch nie nen Döner gegessen…tzzz. Solche Leute gehören abgeschoben.