Busfahrt
Acht Minuten Deutschland
Bis auf den Letzten war der Halatag (Hala = Papas Schwester) immer ein schöner Tag gewesen, im Leben der kleinen Yıldırım. Sie erzählt über eine achtminütige Busfahrt. Ihre Mutter, Bogdanka Yıldırım, hat es für sie festgehalten.
Von GastautorIn Dienstag, 28.06.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 01.07.2011, 1:37 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Einmal im Jahr ist bei uns Halatag.Vor ein paar Jahren kam uns die Idee, unserer Tante einen Tag zu schenken. Einen Tag, an dem wir gemeinsam etwas unternehmen, Spaß und Freude haben und uns so bei ihr für ihre Anteilnahme an unserem Leben bedanken. Es war wie immer ein schöner Tag.
Bis zu den acht Minuten, die uns den ganzen schönen Tag verdorben haben und auch ein Stück Deutschland. Am Abend nach unserem Halatag fuhren wir erschöpft, aber glücklich mit dem Bus nach Hause. Im Bus saß in der Reihe hinter uns eine Gruppe von etwa sieben Frauen und einem Mann zwischen 30 und 45 Jahren, die sichtlich angetrunken waren. Dass es eine unangenehme Fahrt werden würde, ahnten wir schon, denn hinter uns ging es laut und munter zu. Diese angetrunkenen Leute machten sich über Gott und die Welt lächerlich. Jesus Kreuzigung war ihnen Witze wert, über die lauthals gelacht wurde, andere Kulturen wurden ins Lächerliche gezogen, um gleich im Anschluss zu verkünden, dass man demnächst seinen Urlaub in Istanbul verbringen würde und sich eigentlich darauf freue.
Die Betrunkenen wurden mit der Zeit auch den Fahrgästen gegenüber persönlich beleidigend. Sie machten einen Jugendlichen auf sein Beulchen in der Hose aufmerksam, der nun verschämt aufstand und wortlos an der nächsten Haltestelle ausstieg. Die nächsten Opfer wollte man nun spielerisch auswählen in dem die Reise nach Jerusalem ausgerufen wurde. Jeder der ihnen wehrlos erschien, wurde indirekt angesprochen und beleidigt. Ziel war es, diese Person zum Aufstehen bzw. Aussteigen zu bewegen.
Die Freude, wenn jemand der Fahrgäste es nicht mehr aushielt und den Platz nach weiter vorn wechselte, löste bei den „Spielenden“ Gejohle und Gelächter aus. Es wurde immer unangenehmer und ich fing an, mich umzudrehen, um meinen Unmut zu signalisieren. Gleichzeitig beobachtete ich meinen Bruder, der schon bedenklich seine Hände massierte – wahrscheinlich um seine Fäuste im Griff zu behalten. Was es bedeuten würde, wenn mein Bruder – der Südländer – jetzt ausrasten würde, war mir klar. Wir wären dann nicht mehr die Opfer, sondern Täter.
Die Situation wurde für uns immer unerträglicher. Etwas sagen wollten wir nicht. Die Angst selbst ins Visier dieser Leute zu geraten und in das gleiche Niveau zu verfallen war vorerst größer. Während das Gelächter hinter uns immer lauter wurde, grübelte ich, weshalb erwachsene Menschen Freude daran haben, ihre Respektlosigkeit gegenüber anderen Kulturen so laut zu verbreiten und warum erwachsene Menschen, die uns als Vorbilder dienen sollten, nicht in der Lage sind, ihre eigene Verlogenheit und Dummheit zu erkennen. Ich redete mir ein, Betrunkenen müsste man das halt verzeihen. Als Kinder einer Serbin und eines Türken fühlten wir uns angesprochen, als Deutsche schämten wir uns. Uns wurde beigebracht, Erwachsenen respektvoll zu begegnen, uns werden Regeln zur Integration vorgelegt, die wir möglichst erfüllen, um in Deutschland nicht unangenehm aufzufallen. Wir machen unser Abitur, weil es die „Leitkultur“ nicht mehr zu lässt, einfach nur als Mensch anerkannt und akzeptiert zu werden und nun saßen wir in diesem Bus und mussten uns anhören, was diese „Leitkultur“ noch so hergibt. Wenn die hinter uns Kinder oder Jugendliche gewesen wären, hätte es wahrscheinlich keine tiefere Wirkung gehabt, dass aber waren erwachsene Menschen.
Die Betrunkenen wechselten nun das Thema und erzählten lautstark, woher sie grade kamen. Aus Düsseldorf. Ja, aus Düsseldorf die Stadt der Neger und immer wieder Neger, Neger. Die Neger – haha-, die verstecken sich in ihren Löchern, in jeder Gasse in Düsseldorf – haha-, die sind doch überall diese Neger, Neger, Neger. So hallte es durch den Bus. Zu überhören wäre es nur gewesen, wenn man taub wäre und ich weiß nicht, wie oft sie das Wort wiederholten.
Der Zorn, der mich nun überflutete, ist kaum zu beschreiben. Doch es sollte schlimmer kommen. Als ich nach vorn sah, sah ich sie, dieses dunkelhäutige Mädchen, die ich flüchtig kenne. Sie sah in unsere Richtung und mir wurde schlecht. Mir stiegen die Tränen in die Augen und ich war furchtbar wütend. Sie betätigte die Stopptaste zum Ausstieg, obwohl ich weiß, dass ihre Haltestelle unsere gemeinsame ist und sie sah immer noch in unsere Richtung. Diesen Augenblick und das, was da in ihren Augen war, werde ich nie vergessen. Tiefe Enttäuschung.
Ich stand auf und sagte zu meinem Bruder: „Ich halte das nicht mehr aus.“ Dann ging ich weiter nach vorn, worauf es die Gruppe ja angelegt hatte. Nun war ich das Opfer aus und sie fingen an, über mich zu lästern. Jetzt erst ließ mein Bruder seiner Wut freien Lauf und beleidigte diese „erwachsenen Menschen“, auf die einzige Art, die sie verdient haben und verstehen. Wir stiegen zwei Haltestellen früher aus, nicht ohne den obligatorischen Mittelfinger gesehen zu haben.
Wie schwierig es für uns in dieser Situation war, die Nerven zu behalten, brauch ich wohl nicht zu erwähnen. Was mich traurig stimmt, ist, dass keiner etwas unternommen hat und wir diesen Rassisten hilflos ausgeliefert waren. Das Einzige was ich tun konnte war, diesen Rassisten meine Verachtung entgegen zu schleudern – ich rede ganz bewusst von Rassismus.
Aber es war auch eine Erkenntnis. Nicht ich musste mich schämen, weder für meine Herkunft noch für mein Verhalten. Das was diese Leute, wenn auch unter Alkoholeinfluss getan haben, ist nicht unsere Kultur – weder die Deutsche noch die meiner Eltern.
Ich würde gern wissen, ob diese Menschen, die Kinder und Jugendliche in Bus und Bahn drangsaliert und gemobbt, sich selbst auf das Peinlichste blamiert und mich doch zum Weinen gebracht haben – und sei es nur ein Augenblick, ihr Verhalten bereuen. Diese acht Minuten und das, was da in den Augen war, werde ich nie vergessen. Es war tiefe Verachtung. Aktuell Meinung
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Herzliches Beileid. Ich bin für das Verbot von Alkoholkonsum und stark alkoholisierten Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln. Würde auch Gewaltdelikte senken.
Soviel zur Befindlichkeit unserer Bindestrich-Deutschen! Man findet immer wieder Gründe, sich nicht zu integrieren. Sorry, aber so kommt der Bericht bei mir an.
Nein, wer Gewalt nicht ausschließt und zurück beleidigt, kann kein Vorbild sein. In der Straßenbahn trifft man allerdings oft den Bodensatz unserer Gesellschaft. Das ist doch bekannt.
Und Zivilcourage kann einen das Leben kosten! Wie wir alle wissen. Aber bei 7 Frauen und einem Mann: Warum ist Bogdanka (oder Ihr Bruder) nicht zu den Leuten gegangen und hat die Leute zur Rede gestellt. Man kann sagen: Können Sie Ihre Witze auch so reißen, dass nicht der ganze Wagen mithören muß?
Oder: schön dass Sie Spass haben. Aber muss das immer auf Kosten der anderen geschehen? Können Sie vielleicht auch Witze machen, ohne andere zu beleidigen. Neger ist beleidigend, falls sie das nicht wissen sollten.
Vieles ist denkbar. Oft ist es wirklich das Klügste, sich einen anderen Sitzplatz zu suchen. Aber selber beleidigen oder gar Gewalt ausüben, geht gar nicht. Erst recht nicht, wenn ich nüchtern und die anderen alkoholisiert sind.
Nochwas: „Bußfahrt“
Super! Finde ich klasse!!
Betrunkener Pöbel ist einfach widerlich und diesem in Bus oder Bahn ausgeliefert zu sein eine ganz schlimme Zumutung. Da ist es völlig einerlei, welche Hautfarbe oder sonstigen Merkmale (z.B. Brille etc) man hat. Doch eines verstehe ich überhaupt nicht: Warum hat der Busfahrer diese Meute nicht gleich wieder vor die Tür gesetzt? Ich habe durchaus Busfahrer erlebt, die sofort zu solchen erzieherischen Maßnahmen gegriffen haben. Sie hätten sich auch an den Busfahrer wenden und ihm mitteilen sollen, dass die Situation absolut unerträglich ist und er Abhilfe schaffen muss. Der öffentliche Raum ist nicht rechtsfrei, auch wenn einige das denken mögen!
@Werner: „Soviel zur Befindlichkeit unserer Bindestrich-Deutschen! Man findet immer wieder Gründe, sich nicht zu integrieren. Sorry, aber so kommt der Bericht bei mir an.“
Sorry, Werner, aber wer hat sich denn hier nicht integriert? Ist es ein Zeichen mangelnder Integration, dass der Bruder zurückgeschimpft hat?
@tinab,
ich kann nach dem Bericht oben, nicht entscheiden, wer der dort „handelnden Personen“ integriert ist und wer nicht. Ach Integration ist ein großes Wort. Wie will man das definieren? Woran soll man das festmachen?
Der Bericht läßt viele Fragen offen. Zwischen den Zeilen lese ich, dass da jemand aus seiner heilen „türkischen Parallelwelt“ kommt und auf den deutschen Pöbel trifft – hierbei sinnierend über Leitkultur, Integration und wie ungerecht die hiesige Gesellschaft ist.
Wenn man als Immigrant auf tiefsitzenden Rassismus der Aufnahmegesellschaft trifft, dann ist das wohl immer ein traumatisches Erlebnis. Gerade bei etwas sensibleren Menschen. Das will ich nicht kleinreden.
Ich empfand beim ersten Lesen, das hier eine große Distanz zur deutschen Gesellschaft sichtbar wird, eine gewisse Paranoia, und das die Autorin an einigen Stellen ihre Lage falsch einschätzt. So kann man auf Beleidigungen eben nicht mit Gewalt reagieren!
Oder nehmen wir folgendes Zitate:
> Wir machen unser Abitur, weil es die „Leitkultur“ nicht mehr zu lässt,
> einfach nur als Mensch anerkannt und akzeptiert zu werden
> uns werden Regeln zur Integration vorgelegt, die wir möglichst erfüllen,
> um in Deutschland nicht unangenehm aufzufallen.
Da fragt man sich schon, was geht in diesem Kopf vor? Welche Befindlichkeit kommt hier zum Ausdruck?
@werner
Da haben wir meiner Meinung nach wieder mal den Konflikt „Integration-Assimilation“. Kann die Mehrheitsgesellschaft mit mir leben, wenn ich mich an die hiesigen Gesetze halte und die Pflichten einer Bewohnerin dieses Landes erfülle? Oder verlangt sie absolute Anpassung an Sprache, Denkweise, Religion und Kleidung der Mehrheit?
@tinab,
der „Konflikt“, wie Sie schreiben, Integration / Assimilation spielt hier rein. Aber ich sehe andere Dinge. Vielen Dank aber dafür, dass Sie endlich mal definieren, was Sie unter Integration verstehen: „die hiesigen Gesetze einhalten und die Pflichten dieses Landes erfüllen“
Das scheint mir aber Ihre Minimaldefinition zu sein, die Sie sich jetzt so zurechtgelegt haben. Und dann Assimilation als „absolute Anpassung an Sprache, Denkweise, Religion und Kleidung“
Zwischen diesen Extremen gibt es aber noch einen enormen Graubereich. Z.B. wenn ich jetzt eine Straftat begehe, bin ich dann nicht mehr integriert? Und: welches wären die Pflichten dieses Landes?
Deutschland ist ein buntes Land mit langer Geschichte und vielen Traditionen, vielen Dialekten (Sprache), sehr vielen unterschiedlichen Denkweisen, mehreren Religionen und allen nur denkbaren Moden, was Kleidung angeht.
Ich versuch’s mal anders: Integration / Assimilation bedeutet, dass ich nicht mehr als fremd wahrgenommen werden – und ich mich selber auch nicht als fremd empfinde. Bei der Begegnung „Deutscher“ – Migrant passiert es eben häufig, dass wir uns (gegenseitig!!) als fremd empfinden.
Ein erster Schritt wäre, dass wir uns mit Wertschätzung begegnen. Ja, Wertschätzung – im Zweifel auch für den besoffenen Pöbel. Vielleicht haben die Leute ja eine harte Woche hinter sich und sind endlich mal rausgekommen und konnten ein bißchen Spaß haben.
Was sagen denn Sie zu den weiter oben angeführten Zitaten?
Wertschätzung für den besoffenen Pöbel, der selbst seine Missachtung anderer Menschen so deutlich zum Ausdruck bringt? Nur, weil er einen schweren Tag hatte? Heißt Spaß haben, andere fertigmachen? Das habe ich als Frau auch schon erlebt, wenn ich spät abends allein einer Gruppe Männer begegnet bin. Da war dann am Ende auch immer von Spaß die Rede. Sorry, Werner, aber unsere Standpunkte sind unvereinbar, die Diskussion führt wohl zu nichts, ich ziehe mich zurück.
„Ich versuch’s mal anders: Integration / Assimilation bedeutet, dass ich nicht mehr als fremd wahrgenommen werden“
Das würde ja auch bedeuten, dass es gar nicht an einem selber liegt. Deutsche afrikanische Herkunft oder Deutsche Frauen mit Kopftuch werden halt einfach wegen ihres Aussehens als „fremd“ wahrgenommen, Leute starren sie an oder sind misstrauisch, aber das sagt nichts über die Integration oder Assimilation der Betroffenen aus sondern nur etwas über die Vorurteile in den Köpfen der Wahrnehmenden.