Assoziationsrecht

Bundesregierung verweigert türkischen Staatsangehörigen ihre Rechte

Keine gute Nachricht zum 50. Jahrestag der Unterzeichnung des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens: Der Bundesregierung sind die Rechte türkischer Staatsangehöriger egal. Auf diese Kurzformel lässt sich die Politik der Bundesregierung gegenüber türkischen Migrantinnen und Migranten bringen.

Von Dienstag, 07.06.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 14.06.2015, 20:21 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Was der Bundesregierung die Rechte türkischer Staatsangehöriger wert sind, zeigen ihre Antworten auf zahlreiche parlamentarische Anfragen meinerseits zum so genannten Assoziationsrecht, infolge des Abkommens der EWG (EU) mit der Türkei aus dem Jahre 1963, über dessen korrekte Umsetzung der Europäische Gerichtshof (EuGH) wacht. Ein Großteil der Fragen wurde unzureichend oder gar nicht beantwortet, was in meinen Augen eine Missachtung des Parlaments darstellt.

Die Bundesregierung weigert sich z.B. in der Antwort auf eine Kleine Anfrage (Bundestagsdrucksache 17/5539), nähere Auskünfte zu den konkreten Auswirkungen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zu geben und sich mit ihr im Detail auseinanderzusetzen. Sie möchte nicht „in einen juristischen Fachdisput“ eintreten, erklärt sie, und überlässt die Rechtsanwendung lieber den Bundesländern und den Ausländerbehörden. Das hat aber angesichts der Komplexität des Assoziationsrechts und der sich fortentwickelnden Rechtsprechung des EuGH eine Aushöhlung des Rechts zur Folge. Denn kein türkischer Staatsangehöriger in Deutschland kennt seine genauen Rechte infolge des Assoziierungsabkommens, selbst die meisten Rechtsanwältinnen und -anwälte sowie einige Richterinnen und Richter dürften diesbezüglich überfordert sein. Dass türkische Migrantinnen und Migranten ihre Rechte aus Unkenntnis nicht effektiv geltend machen können, ist natürlich ganz im Sinne der Bundesregierung, die eine Politik der Entrechtung verfolgt. Ungeachtet der Rechtsprechung des EuGH hält sie an juristisch höchst zweifelhaften Positionen fest, nur um türkischen Staatsangehörigen Rechte vorenthalten zu können, die ihnen nach dem Assoziationsrecht zustehen.

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Beispielsweise besteht im Zusammenhang mit dem Assoziationsrecht ein so genanntes Verschlechterungsverbot nach Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats im Rahmen des Abkommens (ARB 1/80). Das Verschlechterungsverbot besagt, dass Zugangsregelungen zum deutschen Arbeitsmarkt, und damit verbunden auch zu einem Aufenthaltsrecht, gegenüber dem Stand von 1980 nicht verschlechtert werden dürfen. Genau dies ist aber umfangreich geschehen. Die Bundesregierung räumt einen Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot jedoch ausschließlich hinsichtlich der jüngst beschlossenen Verlängerung der Mindestehebestandszeit ein, allerdings nur unter der – unzulässigen – Bedingung, dass die Betroffenen erwerbstätig sein müssen. Bei dieser Verschärfung ist die Mindestehebestandszeit zur Erlangung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts von zwei auf drei Jahre unter dem Vorwand verlängert worden, eine erhöhte Zahl von Scheinehe-Verdachtsfällen mache dies erforderlich. Eine unhaltbare Argumentation, wie nicht zuletzt jüngst veröffentlichte Zahlen gesunkener Verdachtsfälle laut Polizeilicher Kriminalstatistik zeigen.

Die Vermutung steht im Raum, dass zahlreiche weitere Gesetzesverschärfungen der vergangenen Jahre mit dem Verschlechterungsverbot unvereinbar und damit auf türkische Staatsangehörige nicht anwendbar sind. So etwa die Einführung der Sprachnachweise beim Ehegattennachzug und die Anforderung von Sprachkenntnissen des Niveaus B1 für eine längerfristige Aufenthaltserlaubnis, aber auch z.B. die massive Erhöhung von Gebühren für die Erteilung und Verlängerung von Aufenthaltserlaubnissen. Ein weiteres Beispiel bietet das sogenannte Soysal-Urteil des EuGH. Hierbei ging es um die Visumfreiheit für türkische Staatsangehörige im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit. Die Bundesregierung hatte noch im Februar 2011 erklärt, ihre Rechtsauffassung sei „in mehreren Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Berlin bestätigt“ worden. Auf Nachfrage stellt sich nun heraus, dass die Bundesregierung genau drei Entscheidungen konkret benennen kann. Es gibt aber auch mindestens zwei Entscheidungen aus Berlin, darunter vom Oberverwaltungsgericht aus dem Jahr 2009, die der Rechtsauffassung der Regierung eher entgegenstehen bzw. die die entscheidende Frage als offen beurteilen. Deshalb legte das OVG Berlin-Brandenburg noch während des Beantwortungszeitraums die Rechtsfrage dem EuGH zur Klärung vor.

Das Bundesinnenministerium steht mit den meisten seiner juristischen Auslegungen der EuGH-Rechtsprechung in der Fachwelt allein auf weiter Flur. Doch das stört die Bundesregierung nicht. Sie zwingt wie ihre Vorgängerregierungen türkische Staatsangehörige, ihre Rechte einzuklagen. Der EuGH hat in den letzten Jahrzehnten türkischen Staatsangehörigen in etwa 40 Entscheidungen zu ihrem Recht verhelfen müssen. Regelmäßig widersprach der EuGH dabei den von der Bundesrepublik Deutschland vorgebrachten Argumenten und restriktiven Auslegungen des Assoziationsrechts.

Dass es die Bundesregierung nach wie vor nicht allzu eilig hat, den türkischen Staatsangehörigen zu ihren Rechten zu verhelfen, zeigt beispielhaft der Umstand, dass die Anwendungshinweise zum Assoziationsrecht seit 2002 (!) nicht mehr an den aktuellen Stand der Rechtsprechung des EuGH angepasst wurden. Kein Wunder: Die bisherigen Bundesregierungen hatten mehr damit zu tun, das Aufenthaltsrecht zu verschärfen als die Anwendungshinweise dahingehend zu aktualisieren, Urteile zugunsten der türkischen Staatsangehörigen einzuarbeiten. Eine Überarbeitung der Anwendungshinweise sei nun zwar in Arbeit, ein Abschluss jedoch „noch nicht absehbar“, erklärt die Bundesregierung in besagter Antwort auf meine Kleine Anfrage.

Die Beachtung verbindlichen Europarechts müsste eigentlich eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit sein. Es ist ein Armutszeugnis, dass die Bundesregierung von Abgeordneten der Opposition auf Ihre diesbezüglichen Verpflichtungen hingewiesen werden muss – schlimmer noch: sie leistet sogar „hinhaltenden Widerstand“ gegenüber dem EuGH, weil ihr dessen Rechtsprechung politisch nicht in den Kram passt. Rechtsstaatlich geboten wäre nach Auffassung der LINKEN allerdings mehr, nämlich eine Entrümpelung des gesamten Aufenthaltsrechts, unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen. Aktuell Meinung

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  1. BlauerBär sagt:

    „Dass es die Bundesregierung nach wie vor nicht allzu eilig hat, den türkischen Staatsangehörigen zu ihren Rechten zu verhelfen,“

    Und SIE sollten mal anfangen, den Deutschen zu ihren Rechten zu verhelfen und nicht ausschließlich als Lobbyistin für ihr „Türkentum“ aufzutreten.

  2. Fikret sagt:

    @ BlauerBär
    Demnach wären Sie ein Lobbyist für Deutschtum, wenn ich ihre Begründung übernehmen darf. So einfach ist eine Rechtfertigung.

  3. Karoline sagt:

    Wurde die Bundesregierung deswegen vom EuGH jemals verurteilt? Wenn ja zu was?. Und warum sollten Türken hier mehr Rechte geniessen als z.B. Thailänder.

    Ausserdem: Kurz vor dem sich abzeichnenden Ende des Wirtschaftswunders schloss die Bundesrepublik 1961 ein entsprechendes Abkommen mit der Türkei. Das Abkommen kam auf Druck der Türkei zustande. Anton Sabel, Präsident der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung (Vorläufer der Bundesagentur für Arbeit), äußerte am 26. September 1960, arbeitsmarktpolitisch sei eine Vereinbarung über eine Anwerbung türkischer Arbeitnehmer in keiner Weise notwendig, allerdings könne er nicht beurteilen, „wie weit sich die Bundesrepublik einem etwaigen solchen Vorschlag der türkischen Regierung verschließen kann, da die Türkei ihre Aufnahme in die EWG beantragt hat und als NATO-Partner eine nicht unbedeutende politische Stellung einnimmt.“ [6]

    Zunächst verhandelte die Bundesregierung zurückhaltend, da die große kulturelle Differenz zur Türkei als problematisch angesehen wurde. Insbesondere auf Druck der US-Regierung kam das Abkommen 1961 zustande.

    Also hat Deutschland die Türken nie gebraucht. Trotzdem wurden auf Druck der USA 800000 hereingelassen. Und seit dem Anwerbestopp 1973 sind durch Familiennachzug noch mindestens 1,5 Millionen Türken dazugekommen. Und jetzt fordern die auch noch Rechte hier die es gar nicht gibt. So was ist großkotzig und eine Unverschämtheit. Sowas würde ich mir in keiner Nation der Erde erlauben.

  4. Europa sagt:

    @Fikret
    „Demnach wären Sie ein Lobbyist für Deutschtum, wenn ich ihre Begründung übernehmen darf. So einfach ist eine Rechtfertigung.“

    Sie wissen schon dass ihre „Rechtfertigung“ sorum nicht geht, denn wenn man das Deutschtum in Deutschland verteidigt ist es etwas anderes als wenn man es bspw. in der Türkei tun würde.
    Erkennen sie den Unterschied? Türkentum hat nichts in der BRD verloren und Deutschtum hat nichts in der Türkei verloren. Deshalb sind es ja schliesslich auch unterschiedliche Staaten. Oder wie sehen sie das?

  5. Leo Brux sagt:

    Karoline alias Gerd,
    wir hören also von Ihnen, dass Deutschland nur auf Druck der USA 800 000 türkische Gastarbeiter ins Land gelassen habe. Dürfen wir dann auch unterstellen, dass dieser Druck der USA ebenso die deutschen Firmen erfasst hat, bei denen diese 800 000 Arbeit gefunden haben? Es wäre bestimmt kriminologisch bzw. verschwörungstheoretisch interessant, hier Einzelheiten zu erfahren, etwa, wie die USA mittels CIA-Agenten den deutschen Firmen die Pistole auf die Brust gesetzt haben, damit sie – gegen deren Bedarf – türkische Gastarbeiter eingestellt und beschäftigt haben.

    Soviel dazu.

    Bezüglich der angeblichen Unverschämtheit der türkischen Forderungen, von der Sie sprechen, hab ich nicht ganz verstanden, was da genau unverschämt sein soll, also welche Rechte sie fordern würden, die es bei uns nicht gäbe. Das Recht, ohne Visum einreisen zu dürfen, gibt es ja doch wohl für viele Nationen, das kann es also nicht sein, was Sie meinen.

    Europa,
    da es kein DeutschTUM gibt, hat es nirgendwo irgendwas verloren. Oder was ist DeutschTUM, Ihrer Meinung nach?
    Es gibt auch kein TürkenTUM, aber ich gebe zu, es gibt eine Menge völkisch-national orientierter Türken, die wie Sie, Europa, glauben, es gebe sowas.
    Dieses völkisch-nationale Denkenas macht SIE zu einem Verwandten zum Beispiel der Grauen Wölfe.

    Was es aber gibt, das sind ca. 3 Millionen Türkisch-Stämmige in Deutschland – und ich weiß nicht wie viele Kurden und Kurdisch-Stämmige in der Türkei (20% etwa?), und in solchen Fällen würde ich dringend empfehlen, national-ethnisch-kulturell-völkische Denkverengungen zu vermeiden: Sie spalten nur, sie schüren nur Konflikte. Komplexe Identitäten sind ohnehin heute unvermeidlich und außerdem nützlicher als die früheren mono-ethnischen, ideologisch aufgeblähten Nationalverkrampfungen.

  6. Karoline sagt:

    Naa Leo, irgend einen Deppen hat die deutsche Wirtschaft doch immer gebraucht da stimme ich ihnen zu. Wir Deutschen würden im Müll ersticken hätten wir nicht die Müllmänner aus der Türkei importiert.
    Aber morgen mehr zu diesem Thema, hab heute keine Zeit.

  7. Cemile sagt:

    Hallo Karoline.
    Gott sei Dank nicht nur Müllmänner. Sondern auch Putzfrauen, Friseure und viele Fabrikarbeiter. Arbeiten für die sich viele Deutsche zu schade sind. Ach ja, den Döner hat ja ein Deutscher erfunden. Schmeckt mir trotzdem, weil es mir egal ist welche Nationalität jemand hat. Sorry, aber wenn man so was liest wird man echt sauer und vielleicht ein bisschen ungerecht. Warum darf mich z.B. mein Bruder nicht besuchen, der ist übrigens hier geboren und hat sich entschlossen in der Türkei zu leben. Ganz ehrlich würdest du das nicht traurig finden deine Angehörigen einmal im Jahr sehen zu dürfen? Für uns ist es zu teuer mehrmals im Jahr in die Türkei zu fliegen…. zu Fuß würd es zu lange dauern.