Özoğuz berichtet
Visapraxis bei türkischen Staatsbürgern
Am 9. Februar 2011 urteilte das Bayrische Verwaltungsgericht München, dass eine türkische Staatsangehörige als Touristin für eine Aufenthaltsdauer von bis zu 3 Monaten visumfrei nach Deutschland einreisen darf. Das Urteil knüpfte auch an eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs von 2009 (sog. „Soysal-Urteil“) an.
Von Aydan Özoğuz Freitag, 06.05.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 23.06.2011, 12:31 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Ich habe diese Gelegenheit beim Schopfe gepackt, um zu erfahren, wie die Bundesregierung zu diesem Urteil steht, und ob es zukünftig Änderungen bei der Visapraxis für türkische Staatsbürger geben könnte. Die Bundesregierung argumentierte stets, dass das „Soysal-Urteil“ des EuGH nur Dienstleistungserbringer, also z.B. türkische Lastwagenfahrer, die für ein türkisches Unternehmen Dienstleistungen in Deutschland erbringen, betreffe. Mit anderen Worten: Lkw-Fahrer dürfen rein, Touristen nicht.
Eine Visaliberalisierung hat die Bundesregierung immer gerne mit der Argumentation verhindert, dass mit der Türkei noch kein Rückübernahmeabkommen geschlossen wurde. Darauf haben sich die EU und die Türkei aber am 24. Februar geeinigt. Gerade an den Vorbehalten der deutschen Regierung droht das Abkommen nun zu scheitern. Die Bundesregierung ist gegen eine visafreie Einreise von Türken und will, dass sich die Gespräche auf Visaerleichterungen für bestimmte Personengruppen beschränken. Das ist der Türkei aber nicht genug.
In zwei Schriftlichen Fragen habe ich die Bundesregierung im März 2011 dann gefragt, wie sie sich folgenden Widerspruch erklärt: Auf der einen Seite meint die Regierung, dass nach dem Soysal-Urteil des EuGH kein Recht aller türkischer Staatsangehörigen auf visumfreie Einreise für Kurzaufenthalte zum Zweck des Empfangs von Dienstleistungen folge. Auf der anderen Seite hat das Münchner Verwaltungsgericht in seinem Urteil (Az. M 23 K 10.1983) ausdrücklich festgestellt, dass die Klägerin für einen Aufenthaltszeitraum von bis zu 3 Monaten zum Dienstleistungsempfang – insbesondere zu touristischen Zwecken – ohne Aufenthaltserlaubnis und visumfrei in die Bundesrepublik einreisen und sich dort aufhalten darf. Die Antwort der Bundesregierung war knapp und erwartungsgemäß: Für Fälle der passiven Dienstleistungsfreiheit, also bspw. eine Einreise für touristische Zwecke, sei das „Soysal-Urteil“ nicht Entscheidungsgegenstand gewesen und nach Auffassung der Bundesregierung von der Feststellungswirkung des Urteils nicht erfasst. Darüber hinaus wertete die Bundesregierung die Entscheidung des Bayrischen Verwaltungsgerichts als „Einzelfallentscheidung“ eines „erstinstanzlichen“ Gerichtes. Mit anderen Worten: Fortsetzung folgt auf der nächsten richterlichen Ebene.
Es ist bemerkenswert, dass sich die Bundesregierung in ihrer ablehnenden Haltung auf meine Fragen lediglich auf Beschlüsse der 34. Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts stützt. Ich denke nicht, dass die Bundesregierung wirklich darauf aus ist, dass jeder türkische Tourist nunmehr Klage einreicht, um visumsfrei zum Zwecke des Empfangs von Dienstleistungen in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen. Das wäre wirklich lebensfremd und absurd.
Bisweilen artete die Angelegenheit um die türkisch Visa(un)freiheit soweit aus, dass nach dem Soysal-Urteil der Intranetzugang auf die Internetseite „Ausländerrecht für die Polizei“ seitens des Bundesinnenministeriums gesperrt wurde. Warum? Weil dort ein juristischer Kommentar zu den Auswirkungen der Soysal-Entscheidung des EuGH aufgeführt war: So kamen die renommierten Verwaltungswirte Westphal und Stoppa nämlich zu ihrer (rein privat geäußerten) Schlussfolgerung, dass Türken, die von der Dienstleistungsfreiheit Gebrauch machen, visumfrei nach Deutschland einreisen dürfen. Das hat dem Innenministerium sicher nicht gefallen. Und was es mit der Sperre verbergen wollte, bleibt mir ein Rätsel. Inzwischen ist die Seite wieder freigeschaltet.
Ein Rätsel ist auch, wieso die Bundesregierung diese systematische Weigerungshaltung zutage legt, obwohl zahlreichen Klagen gegen die Ablehnung von Visaanträgen im Sinne der Klägerinnen und Kläger nachgekommen wird? Sollte der EuGH die bisher vorgebrachte Einschränkung der Bundesregierung nicht teilen, dass das „Soysal-Urteil“ nur die aktive Dienstleistungsfreiheit betrifft, dürften türkische Touristen visafrei einreisen. In dieser seitens der türkischen Regierung angestrebten Reisefreiheit sieht die Bundesregierung wohl die Gefahr, dass viele Türken die Einreise nutzen, um dauerhaft im Land zu bleiben, statt nach maximal drei Monaten zurückzukehren.
Im Kern ist dies wohl auch die größte Angst der Bundesregierung und Anlass für ihre restriktive Haltung. Diese Bedenken sind nicht nachvollziehbar: Ein Scheitern des Rückübernahmeabkommens hätte für die EU viel weitreichendere Folgen. Die Türkei gilt im Rahmen der globalen Wanderung als Hauptreiseweg für einen Grenzübertritt in die EU. 90 Prozent der Flüchtlinge reisen über die Türkei in die EU ein. Sie kommen vor allem aus dem Mittleren Osten – aufgrund der aktuellen Situation auch zunehmend aus Afrika.
Auch die zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malmström hatte sich jüngst dahingehend geäußert, dass sie durch die Visabefreiung keinen Anstieg der illegalen Migration erwarte. Zudem meinte sie, dass man notfalls die Visumspflicht wieder einführen könne, wenn die Türkei es nicht schaffe, die illegale Migration ihrer Staatsbürger zu unterbinden. Diese Ansicht wird durch ein Positionspapier der italienischen Regierung, das auch Länder wie Großbritannien, Spanien, Schweden, Finnland und Polen unterstützen, geteilt. Auch sie erwarten keinen nennenswerten Anstieg der Einwanderung aufgrund der positiven wirtschaftlichen Entwicklung in der Türkei.
Die Bundesregierung wäre gut beraten, ihre Position in dieser Angelegenheit noch einmal zu überdenken. Es würde ein schlechtes Bild auf unser Land werfen, würde sie die Visafreiheit für Türken wieder erst unter dem Druck der anderen Europäer mittragen, wie schon im November 2010 für Bosnier und Albaner geschehen.
Das Gezerre sollte endlich aufhören. In diesem Jahr feiern wir das 50-jährige Jubiläum des Anwerbeabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei. Ich finde, dies sollten wir zum Anlass nehmen, um die deutsch-türkische Beziehung zu intensivieren. Aktuell Meinung
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Warum beschützen türkischstämmige Politiker eigentlich nie das deutsche Volk, sondern verstehen sich immer ausschließlich als Lobbyisten der Interessen der Türkei?
Nur wenige Ergänzungen:
1. Bedenklich finde ich, dass es bei Frau Özoguz so klingt, als müsse die Visumfreiheit für türkische Staatsangehörige vor allem deshalb gewährt werden, um das geplante EU-Türkei-Rückübernahmeabkommen nicht zu gefährden…
2. „Inzwischen“ sei die website von Westphal/Stoppa „wieder freigeschaltet“, heißt es. „Inzwischen“ war vor über zwei Jahren! Nachzulesen in der Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sevim Dagdelen (DIE LINKE): Bundestagsdrucksache 16/12743.
3. Eine wichtige Ergänzung: Das Berlin-Brandenburgische Oberverwaltungsgericht hat am 13. April 2011 die Frage der Visumfreiheit für türkische Staatsangehörige im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt. Vorher schon wird sich die Bundesregierung erneut zum Thema äußern können: Im Rahmen der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE auf Bundestagsdrucksache 17/5539 zur Umsetzung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu den Standstill-Klauseln des Assoziierungsabkommens der Europäischen Union mit der Türkei (dort ab Frage 19).
MfG,
Thomas Hohlfeld
@ haha
Haha! Sie haben die repräsentative Demokratie nicht verstanden, pah. Andernorts bezeichnet man Menschen wie Sie mit … Na raten Sie mal!
…um etwa den 38-jährigen Anwerbe-Stopp endgültig und auch formal zu ignorieren?
@yohoo
Sie sind also der Ansicht das Integrationsbeauftragte eigentlich Türkenvertreter sind, oder wie? Könnten sie kurz erklären welche Interessen da vertreten werden sollen. Danke
Ich glaube kaum dass eine Frau Özoğuz vorgeben kann, wer mit oder ohne Visa einreisen kann. Es ist doch ganz einfach so, dass der Visazwang für Türken deren Kulturpraxis gestundet ist. Eine reine Kosten- Nutzenrechnung.
Was glaubt Frau Özoğuz wohl, wenn z.B. Japaner oder Norweger einreisen wollten? Denen würde der rote Teppich ausgerollt, eben eine reine Kosten- Nutzenrechnung.
Zwar haben die EU und die Türkei sich im Februar auf das Rückübernahmeabkommen geeinigt, wann es ratifiziert wird und in Kraft tritt steht aber noch in den Sternen. Bis dahin benutzt es die türkische Regiering als Druckmittel um die Visafreiheit durchzusetzen.
Fr. Özoguz macht sich die Position der Türkei zu eigen.
Ihre Auffassung, die Aufhebung des Visazwangs wurde nicht zur massenhaften illegalen Einwanderung und damit zu einer weiteren Belastung der Sozialsysteme genutzt, spiegelt nicht die Lebenswirklichkeit.
Laut türk. Außenminister Davutoglu hat die Türkei drei Bedingungen für die Einführung der Visafreiheit zugestimmt: Einführung biometrischer Pässe, Rücknahme-Abkommen und ein integriertes Grenzregime. Davutoglu hat selber zugegeben, dass diese Bedingungen eben noch nicht erfüllt sind.
Also worüber beschweren sich Türken und Frau Özoguz?
Speziell die letzte Bedingung scheint eine unüberwindliche Hürde zu sein. Aber statt sich an die eigene Nase zu packen, versucht man Druck auszuüben. Es ist wie beim ganzen EU-Beitritt.
Quelle: http://tinyurl.com/6e4heel
@“eigentlich nie das deutsche Volk, sondern verstehen sich immer ausschließlich als Lobbyisten der Interessen der Türkei?“
Es ist nun mal so, dass das Deutsche per Gesetz seit einem Jahrzehnt nicht mehr „Deutschsein per Blut“ gilt, sondern auch diejenigen als Deutsche gelten (können), die hier geboren und aufgewachsen sind! Daher ist es doch ganz verständlich, dass Frau Özoguz als türkischstämmige dieses Thema eine Herzensangelegenheit ist.
Hier geht es nicht um eine „Wir-gewähren-Visafreiheit-oder-nicht“ sondern, es geht hier um das verbriefte Recht türkischer Staatsbürger visafrei in die BRD einreisen zu dürfen, dass ihnen durch zahlreiche Assoziationsabkommen zugesichert worden ist!!!!
Da in letzter Zeit Türken Ihre Rechte gerichtlich einklagen, gibt es immer mehr „Erstinstanzliche einzelfallentscheidungen“ und es ist nur eine Frage der Zeit, bis das „Recht“ vom obersten europäischen Gerichtshof dies auch schwarz auf weiß bestätigten wird.
Dann bin ich mal auf die Tricksereien der Bundesregierung gespannt:
Bisher vertritt sie das „Soysal-Urteil“ genauso schizophren die Sicht (Trennung in aktive und passive Dienstleistungsfreiheit) wie im Fall von Guttenbergs (Trennung Politiker und Mensch).
Wie werden Sie dann das „Recht“ verdrehen? Ich bin gespannt und bin mir sicher, dass in einem Rechtsstaat dies auch respektiert wird! Auch von vielen Kommentatoren auf dieser Seite!
> es geht hier um das verbriefte Recht türkischer Staatsbürger visafrei
> in die BRD einreisen zu dürfen
S.G. Sie verdrehen hier die Tatsachen! Dieses „verbriefte Recht“ gibt es eben nicht. Es gibt den Wunsch und die Absicht wirtschaftlich mit der Türkei zusammenzuarbeiten. Hierzu gehört natürlich in Einzelfällen auch die Erteilung von Visa zur Erbringung (oder zum Empfang) einer Dienstleistung.
Es gibt aber auch das Problem, dass die Türkei der Haupteinschleuseweg für Wirtschaftmigranten ist. Diese Tatsache steht der visafreien Einreise entgegen.
Die Verhandlungen, wie man hier Erleichterungen schaffen kann, laufen. Sie sind aber noch nicht abgeschlossen. Scheinbar versucht die Türkei hier über Presse, andere Medien und türkisch-stämmige MdB’s Druck auszuüben. Lassen Sie sich dadurch nicht ins Boxhorn jagen!