Partiziano

Jubilöw

Mimekry und die wahre Bedeutung von "Gel Sen Kirchen" im Zusammenhang mit religiöser Versöhnung!? Das sind die Themen des Paraphrasierungskünstlers Marcello Buzzanca in seiner neuesten MiGAZIN Kolumne "Partiziano".

Von Mittwoch, 15.12.2010, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 03.01.2011, 23:49 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Jogi Löw ist 50… und das schon seit Februar. Ein Grund nachträglich zu gratulieren, will man denken. Dabei war doch die ebenso verspätete Geburtstagsgala bereits im Juni und Juli und nicht nur die wirklich weltmeisterliche Vorstellung der deutschen Nationalmannschaft regt zum Nachahmen an. Nein, auch der Wutausbruch des Nationaltrainers bei der Niederlage gegen Serbien ist ein sehr begehrtes Ziel der fußballerischen Mimekry.

Mimekry bezeichnet übrigens die Kunst der Tiere, Form, Farbe und/oder Bewegungsmuster anderer Arten anzunehmen. Ob Jan das weiß, kann ich nicht genau sagen. Jan ist ein kleiner Junge, ungefähr so alt wie mein Sohn. Sie trainieren zusammen Fußball und als Jans Mama ihren Sohn nach Ende des Trainings aufforderte mitzukommen, schmiss dieser seine Wasserflasche zu Boden. Jans Mama ermahnte ihn, doch er konterte selbstbewusst: „Das macht man im Fußball so! Hat Jogi Löw auch so gemacht!“

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Na dann, vielen Dank, lieber Herr Löw! Im Namen aller Eltern, deren Kinder Fußball spielen, muss ich ja tatsächlich froh sein, dass mein Sohn kein Opfer dieser Mimekry wurde. Das einzige, was ihm damals bei der Live-Übertragung des Spiels entfuhr, war: So was macht man nicht! Und ich saß daneben, wurde von meiner Lebensgefährtin quasi genötigt, mir eine Deutschlandfahne aufs Gesicht stempeln zu lassen, weil sie und mein Sohn ja schließlich auch eine hatten und ich ihm schwer hätte erklären können, warum ich da aus der Reihe tanzen wollte. Tanzen mutet ja mitunter als das Aneinanderreihen leichtfüßiger Bewegungen an. Insofern muss man zugeben, das Mesut Özil in jedem Fall ein begnadeter Tänzer ist und den Ball wirklich zu Streicheln weiß. Bisschen wie Wolfram Wuttke, nur jünger und türkisch.

Außerdem kommt er aus Gelsenkirchen und wie ich bereits vor Jahren festgestellt hatte, birgt Gelsenkirchen neben den Klischees der Ruhrpott-Tristesse und Bergmannhausfrauenreport I-IV viel mehr an Versöhnung und interkulturellen Brücken in sich. So hat dieses Wort seinen Ursprung in einem Mix sprachlicher und auch religiöser Komponenten, die sich beide ergänzen, obwohl sie sich eigentlich aus- und erschießen müssten. Gel Sen Kirchen – Wir sehen hier die Verquickung türkischer (Gel – Komm und Sen-Du) mit (alt)hochdeutschen Elementen (Kirch-en, eine alte Lokativendung, die heute vor allem in den schwachen, also toleranten und reminiszenten Deklinationen noch beobachtet werden kann). Komm, du, geh in die Kirche – so muss man Gelsenkirchen also paraphrasieren und wird sich kaum der Tatsache bewusst, wie viel an religiöser Versöhnung in dieser Aufforderung steckt. Da braucht es mehr Moscheen-Donnerkuppeln, um diese Harmonie ins Wanken zu bringen.

Excerpt: Zwischen Integrationsmedaille und Integrationspreis schiebt Mesut Özil eine ruhige Kugel auf der Auswechselbank, während seine Rehaugen zusehen müssen, wie ihn die spanische Presse wie hungrige Wölfe zerreißt.

Genau, es braucht einen Bambi-Integrationspreis für Mesut Özil, vielleicht auch aufgrund seiner Rehaugen. Aber wofür genau wurde der Ausnahmefußballer geehrt? Wahrscheinlich dafür, dass er trotz der deutschen Niederlage gegen die Spanier zu Real Madrid gewechselt ist. Vielleicht aber auch dafür, dass er jenes ins deutsche Bewusstsein geschossen hat, was alle längst wussten: Die Südländer waren schon auf dem Schulhof immer die besten Dribbler. Ballverliebt, eitel und launisch, sind sie Sklaven der bella figura und hassen nichts mehr als Arbeiterfußball. Den überlassen sie getrost den Deutschen und tragen in ihrer Form zum Glanz der Nationalmannschaft bei. Aktuell Meinung

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