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Lisa Bjurwald

“Es ist naiv zu glauben, dass wir von so etwas in Schweden verschont bleiben”

Auf der Straße schießt ein Unbekannter in der schwedischen Stadt Malmö seit über einem Jahr auf Migranten. Bisher starb eine Frau, andere Opfer wurden zum Teil schwer verletzt. Im Parlament heizen die rechtspopulistischen und rassistischen „Schwedendemokraten“, die bei den Parlamentswahlen im September dieses Jahres 20 Sitze gewinnen konnten, die Stimmung gegen Minderheiten an. Die schwedische Fachjournalistin Lisa Bjurwald im Gespräch mit dem MiGAZIN.

Von Dienstag, 26.10.2010, 8:29 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 16.01.2011, 23:59 Uhr Lesedauer: 7 Minuten  |  

Maik Baumgärtner: Nach den Wahlen im September sind die „Schwedendemokraten“ (Sverigedemokraterna) das erste Mal in ihrer Geschichte in den schwedischen Reichstag eingezogen, welche politische Ausrichtung hat diese Partei?

Lisa Bjurwald: Die „Schwedendemokraten“ sind fremdenfeindliche Rechtspopulisten und haben ihren Ursprung in der extremen Rechten. Nach Recherchen des antirassistischen Magazins „Expo“ wiesen 45 Kandidaten der Partei Querverbindungen zu Neonazi-Strukturen auf. Wie bei der „Dänischen Volkspartei“ (Dansk Folkeparti) richten sich die „Schwedendemokraten“ gegen die muslimische Minderheit, hauptsächlich aber gegen eine so genannte „Islamisierung“. Sie repräsentieren eine Form des Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit, die mehr auf der Vorstellung „nicht integrierbarer Kulturen“ beruht, als auf einem definierten Rassenbegriff.

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Baumgärtner: In Malmö schießt ein unbekannter Täter seit Oktober vergangenen Jahres immer wieder auf Menschen mit Migrationshintergrund, gibt es Hinweise auf eine rassistische Motivation?

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„Wäre die Polizei auch erst so spät an die Öffentlichkeit gegangen, wenn die Opfer alle blonde und nicht dunkle Haare gehabt hätten?“

Bjurwald: Man kann nicht mit Sicherheit sagen, dass es sich um einen rassistischen Einzeltäter handelt, der gezielt Migranten töten will. Das ist aber eine der Theorien, die die Polizei derzeit verfolgt, denn schon 1991 – 1992 schoss John Ausonius, den die schwedische Presse „Laser Man“ nannte, auf elf Menschen, wobei eine Person starb und mehrere schwer verletzt wurden. Die Bezeichnung „Laser Man“ entstand, weil Ausonius mit einem Gewehr mit Laser-Zielvorrichtung auf seine Opfer schoss. Das tut der aktuelle Täter zwar nicht, was die beiden Fälle aber verbindet, sind Opfer, die nicht schwedisch aussehen. Daher spricht man in den Medien derzeit von einem „zweiten Laser Man“.

Baumgärtner: Gibt es noch mehr Parallelen zu dem früheren Fall?

Bjurwald: Das gesellschaftliche Klima entspricht heute in etwa dem damaligen. Von 1991 – 1994 war die rechtspopulistische Partei „Neue Demokratie“ (Ny Demokrati) im Parlament vertreten und die Integrationsdebatten überschritten damals wie heute zunehmend die Grenze zur Islamophobie und einwanderungsfeindlichen Ansichten. Schon der Gründer der neonazistischen und rassistischen „National Alliance“ William Luther Pierce aus den USA schrieb in seinem Roman „Hunter“ über einen Einzelgänger, der Nicht-Weiße jagt und sich als Teil eines „Racial Holy War“, eines heiligen Rassenkriegs, versteht. Im Moment ist die Frage nach der Motivation des Täters pure Spekulation. Es könnte ein psychopathischer Täter ohne extrem rechten Hintergrund sein, der durch das aktuelle politische Klima beeinflusst wurde. Er könnte auch einfach unbeeinflusst agieren, denn die Schüsse auf die Migranten fingen schon vor dem Wahlerfolg der „Schwedendemokraten“ an.

Baumgärtner: In Malmö erzielten die „Schwedendemokraten“ überdurchschnittlich hohe Wahlergebnisse, ist die extreme Rechte in Südschweden besonders verwurzelt?

Bjurwald: Ja absolut, Südschweden ist auch recht interessant, weil es dort schon in den 1930er und 1940er Jahren viele Nationalsozialisten gab. Einerseits gibt es dort Familien, die seit Generationen dieser Politik treu geblieben sind, andererseits aber auch Spannungen zwischen der jüdischen und muslimischen Community in Malmö. Viele jüdische Familien fühlten sich so bedroht, dass sie keine andere Möglichkeit sahen, als das Land für immer zu verlassen. Die Straftaten mit antisemitischem Hintergrund sind massiv angestiegen und Jüdinnen und Juden werden aufgrund der Situation im Nahen Osten bedroht und für die dortige Politik verantwortlich gemacht.

Lisa Bjurwald wurde 1978 in Schweden geboren und arbeitet als freie Journalistin und Autorin. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit der extremen Rechten in Schweden und Europa und gehört zum Redaktionsteam des renommierten antirassistischen Magazins „Expo“ (http://expo.se). 2010 zählte sie zu den Gewinner/innen des „European Parliament Prize for Journalism“.

Baumgärtner: Haben sich die „Schwedendemokraten“ zu den Schüssen in Malmö bisher öffentlich geäußert?

Bjurwald: Die Reaktionen sind sehr aufschlussreich. Einer ihrer Spitzenfunktionäre, der Parlamentarier Björn Söder, behauptete die Berichterstattung sei „ein bisschen unausgewogen“, da in der Vergangenheit über Angriffe auf Partei-Anhänger nicht so viel berichtet worden sei, wie nun über die Schüsse auf Migranten.

Lange Zeit wurde die Öffentlichkeit gar nicht richtig über den Fall informiert. Daher wäre eine angemessene Frage in diesem Zusammenhang doch eher: Wäre die Polizei auch erst so spät an die Öffentlichkeit gegangen, wenn die Opfer alle blonde und nicht dunkle Haare gehabt hätten?
Natürlich hat es auch Vorteile Informationen zurückzuhalten, zum Beispiel um eine Massenhysterie zu vermeiden, allerdings wird in vielen Internetforen schon seit Monaten über den möglichen „zweiten Laser Man“ diskutiert.

Baumgärtner: In Schweden kommt es immer wieder zu Anschlägen und Attentaten, die von Neonazis verübt werden, gibt es dafür eine Erklärung?

Bjurwald: Ja natürlich! Gewalt ist ein wesentlicher Bestandteil nationalsozialistischer Ideologie und wird in der Szene romantisiert und glorifiziert. Im Rechtsrock, einschlägiger Literatur und Propaganda spielt der „Racial Holy War“ und der Kampf des „weißen Mannes“ gegen Juden, Muslime und alles Fremde eine zentrale Rolle. Solange es Neonazis gibt, wird es auch Gewalt geben. Die „Schwedendemokraten“ haben für sich den Weg des Parlamentarismus gewählt, es gibt aber – ähnlich wie in Deutschland – auch radikalere und militantere Gruppierungen, die den demokratischen Weg ablehnen und Gewalt als politisches Mittel bevorzugen.

Besonders schlimm war das Jahr 1999: Der Gewerkschaftsaktivist Björn Söderberg wurde von Neonazis ermordet, eine Autobombe verletze einen Fachjournalisten, der sich mit der extremen Rechten befasste und seinen Sohn und in Malexander tötete ein Neonazi zwei Polizeibeamte. Zum Glück war es seit dem nicht mehr so extrem.

Baumgärtner: Laut einer aktuellen Studie der „Friedrich-Ebert-Stiftung“ haben Rassismus und Islamfeindlichkeit in Deutschland stark zugenommen. Wie ist die Situation in Schweden?

Bjurwald: Es ist noch nicht so schlimm wie in Dänemark, wo die „Dänische Volkspartei“ das gesamte gesellschaftliche Klima in Richtung Islamophobie gekippt hat und durch Gesetze die Zuwanderung erschwert hat. Aber ich denke, es ist naiv zu glauben, dass wir von so etwas in Schweden verschont bleiben und die „Schwedendemokraten“ nur ein marginales Problem sind.

„Zum Beispiel benutzen viele Zeitungen plötzlich den unsinnigen Begriff der ‚Fremdenkritik‘ (främlingskritisk) anstatt das richtige Wort ‚Fremdenfeindlichkeit‘ (främlingsfientlig) zu verwenden.“

Fakt ist, die Partei ist über Jahre gewachsen und verfügt mittlerweile über fähige Leute in ihren Reihen. Währenddessen werden deren Wähler fast wie Kinder von der Öffentlichkeit behandelt und das, obwohl 5,7 % der Wahlberechtigten für eine Partei gestimmt haben, die offen antimuslimisch und fremdenfeindlich ist. Wir müssen hier der Wahrheit ins Auge blicken: alle Schweden, die in der Lage sind eine Zeitung aufzuschlagen, wissen über die anti-demokratischen Ansichten der Partei bescheid. Wir erschrecken, wenn wir von den Massenabschiebungen von Sinti und Roma in Frankreich hören, aber 45 Prozent der Schweden wollen laut einer Studie des SOM-Instituts der Universität Göteborg „weniger Flüchtlinge“ im Land sehen. Vier von 10 Schweden stimmen der Aussage zu, dass „viele Ausländer nur hierherkommen, um das Sozialsystem auszunutzen“ und mehr als jeder vierte Wahlberechtigte glaubt, dass Migranten eine „Gefahr für unsere Kultur“ darstellen.

Baumgärtner: Haben sich die öffentlichen Debatten verschärft?

Bjurwald: In Schweden gab es nicht so große Debatten über die Burka oder Moscheen, obwohl die „Volkspartei der Liberalen“ (Folkpartiet liberalerna) mehrfach versuchte, die Themen anzustoßen. Im Moment besteht die Gefahr, dass sich das Vokabular der „Schwedendemokraten“ schleichend etabliert. Zum Beispiel benutzen viele Zeitungen plötzlich den unsinnigen Begriff der „Fremdenkritik“ (främlingskritisk) anstatt das richtige Wort „Fremdenfeindlichkeit“ (främlingsfientlig) zu verwenden. Seit Jahren diskutieren einige Medien und Politiker auch über eine Verschwörungstheorie, die der extremen Rechten entspringt und die besagt, dass die Linken im Land die Wahrheit über vermeintliche Integrationsprobleme verschleiern würden.

Was fehlt, ist eine Berichterstattung über die Vorteile und positiven Auswirkungen von Einwanderung. Ich wette, wenn sie einen Schweden oder eine Schwedin auf der Straße ansprechen, dann kann er oder sie ihnen erzählen, dass die Integration von Migranten gescheitert ist und das es große Unterschiede zwischen dem Islam und der schwedischen Kultur gibt. Die Politik hat es einfach versäumt, über die Vorteile der Migration und die Bedeutung der Migranten für das Land aufzuklären.

Baumgärtner: Nimmt man die Wahlergebnisse, bleibt den „Schwedendemokraten“ ja nicht viel Spielraum ihre Forderungen umzusetzen, werden sie trotzdem eine Rolle im Parlament spielen?

Bjurwald: Ja, aber auf eine subtile Art und Weise. Vor den Wahlen bestand die Gefahr, dass die Regierung von ihnen abhängig wird. Wie bereits gesagt, bedeutet das nicht, dass sie gar keinen Einfluss auf die Politik haben werden. Auch wenn keine andere Partei offen mit ihnen kooperieren will, gehen Politikwissenschaftler davon aus, dass die etablierten Parteien ihre Einwanderungspolitik Stück für Stück an die der „Schwedendemokraten“ anpassen werden. Aktuell Gesellschaft Interview

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  1. Realdenker sagt:

    Es ist naiv zu glauben, dass wir von Zuständen wie in Brüssel verschont bleiben … .

  2. Pingback: Stoppt die Rechten » Malmö: 15 Anschläge, 1 Tote durch rassistisch motivierte Heckenschützen

  3. wers wissen will sagt:

    Gab es bei uns nicht schon sowas ähnliches? Die Anschläge auf türkisch aussehende Dönerbudenbesitzer? Bosporus hieß entsprechend die Fahndungskomission…