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Ein Schlafplatz auf der Straße © Gerd Zimny @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Nationale Armutskonferenz

Viele Menschen haben nicht genug zum Leben

Keine Extras, kein Urlaub, kein Kinobesuch und neue Turnschuhe für die Kinder nur, wenn die Mutter das Geld dafür mühsam zusammenspart: So sieht das Leben für Menschen aus, die in Deutschland zu den Armen gezählt werden - darunter viele Migranten. Von Bettina Markmeyer

Von Bettina Markmeyer Donnerstag, 18.10.2018, 5:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 21.10.2018, 17:11 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Alle drei Jahre veröffentlicht die Nationale Armutskonferenz ihren „Schattenbericht„, in dem sie die stabil hohen Armutszahlen anprangert und Betroffene selbst zu Wort kommen lässt. Unverändert und trotz der guten Wirtschaftsentwicklung leben dem jüngsten Bericht zufolge rund 16 Prozent der Bevölkerung an der statistischen Armutsgrenze. Unter dem Titel „Armut stört“ wurde der Bericht am Mittwoch in Berlin vorgestellt. Die Linkspartei warf der Koalition vor, im Kampf gegen Armut zu versagen.

Arbeitslosigkeit, Niedriglohnjobs und das Alleinerziehen von Kindern sind in Deutschland die Hauptursachen für Verarmung. Armut zu bekämpfen, sei keine Wohltätigkeit, sondern eine Verpflichtung, sagte die Sprecherin der Armutskonferenz, Barbara Eschen. Sie erneuerte die zentralen Forderungen des Bündnisses nach einer Kindergrundsicherung, einer Erhöhung des Mindestlohns und der Hartz-IV-Regelsätze und einer Abschaffung aller Sanktionen für Hartz-IV-Bezieher. „Viele Menschen haben nicht genug zum Leben“, sagte Eschen.

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Migranten oft betroffen

Das trifft dem Bericht zufolge an erster Stelle die Arbeitslosen, von denen 70,5 Prozent unter der Armutsgrenze leben. Bei Alleinerziehenden sind es 32,5 Prozent. Am seltensten zählen Paare mit zwei Kindern zu den Armen. Unter Frauen ist Einkommensarmut weiter verbreitet als unter Männern. Von den Senioren muss jeder Fünfte als arm gelten. Auch Familien mit Migrationshintergrund sind dem Bericht zufolge häufiger betroffen.

Abhilfe böte an erster Stelle gute und gut bezahlte Arbeit, sagte Eschen. Durch Niedriglöhne und unsichere Beschäftigungsverhältnisse habe sich stattdessen in den vergangenen zehn Jahren der Anteil der Beschäftigten, die trotz Arbeit zu den Armen gezählt werden müssen, auf fast zehn Prozent verdoppelt. Rund eine Million verdienen so wenig, dass sie zusätzlich auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind.

Linke: Regierung versagt

Die Leistungen für Hartz-IV-Empfänger bieten aus Sicht der Armutskonferenz keinen Schutz vor Armut. „Der Regelsatz reicht nicht“, sagte Eschen und bezog sich damit auf Berechnungen von Wissenschaftlern und Wohlfahrtsverbänden, wonach die Sätze für Erwachsene und Kinder das Existenzminimum nicht abdecken. Verschärft werde das Problem durch rasant steigende Mieten. Im Durchschnitt müssten Haushalte heute 80 Euro im Monat zubuttern, weil die Kosten der Unterkunft, die eigentlich vom Jobcenter getragen werden, nicht realistisch ermittelt würden.

Die Parteivorsitzende der Linken, Katja Kipping, erklärte, der Schattenbericht zeige eindrücklich, wie die Politik bei der Beseitigung von Armut versage. Der Bericht schildere treffend, wie Armut „übersehen, übergangen, geleugnet und bestenfalls etwas gelindert“ werde und dass die Menschen sich in Behörden oft gemaßregelt und bevormundet fühlten.

Wer ist arm?

Armut wird im Vergleich zu den Löhnen gemessen. Wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens hat, gilt statistisch gesehen als arm. Wenn die Einkommen steigen, erhöht sich auch die Armutsgrenze. In Deutschland galten im Jahr 2017 Single-Haushalte mit weniger als 999 Euro Nettoeinkünften als arm. Die Grenze für Familien mit zwei Kindern lag bei 2.099 Euro. Vor zwölf Jahren waren es noch 1.545 Euro.

Der Schattenbericht, der am diesjährigen Internationalen Tag zur Beseitigung der Armut zum dritten Mal veröffentlicht wurde, versteht sich als Parallelbericht zur Armuts- und Reichtumsberichterstattung der Bundesregierung. Die Nationale Armutskonferenz ist ein Bündnis von Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften und Selbsthilfeorganisationen, das sich für eine aktive Politik der Armutsbekämpfung einsetzt. (epd/mig) Aktuell Wirtschaft

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  1. Martin K. sagt:

    Wir als vernetzt denkende Solidargemeinschaft – was kostet mehr, ein BGE oder kein BGE?

    „Wie können Menschen freie Entscheidung und Eigenverantwortung übernehmen, wenn sie durch den Staat und seinen Institutionen zu Gehorsam gezwungen werden, da sonst den Menschen ihre Existenz genommen wird, wenn sie unter ständige Existenzangst gestellt werden, wenn sie nicht so gehorchen, wie es Staat, Institutionen wollen? Was ist dies für eine Politik, was ist dies für ein Rechtssystem, was ist dies für ein Sozialsystem? Es fördert psychische und physische Erkrankung plus Perspektivlosigkeit.

    In unserem System gelten immer mehr menschenunwürdige Zustände in dem Menschen gequält, gedemütigt, erniedrigt und schikaniert werden. In dem Menschen in Obdachlosigkeit, Armut, Krankheit, völlige Gefühllosigkeit, Verzweiflung bis in den Freitod regelrecht hinein getrieben werden. Es ist strukturelle Gewalt, Gewalt welche durch verschiedene Institutionen verteilt und verwaltet wird, legal bewilligt und gefördert. Es ist Gewalt, es ist Machtmissbrauch, Unterdrückung und Zwang welche Autonomie, Selbstvertrauen, den eigene Willen eines Menschen brechen, Menschenrechte und Menschenwürde beschneiden, ersticken und verkrüppeln, es ist destruktiv! Denjenigen die anderen diese Unmenschlichkeit jedoch antun wird Unantastbarkeit zugesprochen und nur selten, wenn überhaupt, sehen sie ihre Mitverantwortung, welche zu sehr vielen Problemen führen, die wir haben. Wann lernt der Staat endlich? Auf der einen Seite die Entschuldigung für Verdingkinder, administrativ Versorgten, usw. parallel solche Unmenschlichkeit? Dies grenzt an ein gespaltenes Gedankengut? Wie viele Wiedergutmachungs-Initiativen, Mahnmäler, Denkmäler, (..) brauchen wir noch? Ein solches System künstlich am Leben zu erhalten, das so viel Leiden und Elend auslöst ist kriminell und vernichtend! Alle, die gegen das bedingungslose Grundeinkommen sind, sollten sich aufrichtig fragen;

    «(..)was kostet mehr, ein Grundeinkommen für alle oder ein System, das immer mehr Menschen, plus Tiere und Natur immer kränker macht und zerstört, ein System, welches Symptome bekämpft und gleichzeitig immer wieder neue Symptome schafft, jedoch nicht gewillt ist, an die Wurzeln der Ursache zu gehen?»

    Wir habe jetzt die Chance, dieses menschenunwürdige und menschenrechtswidrige, kranke System zu kippen.“