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Ein Dorf in Eritrea © David Stanley @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Hilfe für Eritrea

Der Pakt mit dem Teufel

Aufgrund steigender Flüchtlingszahlen knüpfen europäische Regierungen wieder Beziehungen zur eritreischen Militärdiktatur. Auch neue Entwicklungshilfe ist geplant. Kenner des Landes sind sich aber sicher: Das Problem in Eritrea ist nicht Geldmangel. Von Paul Simon

Von Montag, 02.11.2015, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 03.11.2015, 16:49 Uhr Lesedauer: 12 Minuten  |  

Es ist eine Meldung, die man erst gar nicht glauben kann: In diesem Sommer, nach über 100 Jahren Tour de France, traten zum ersten mal in der Geschichte des Radrennens schwarze Afrikaner an, die zwei Eritreer Daniel Teklehaimanot and Merhawi Kudus. Für den Radsport war es ein historischer Fortschritt, für Eritrea war es eine seltene Gelegenheit, einmal in einem positiven Kontext Aufsehen zu erregen.

Dabei ist es einerseits wenig überaschend, dass diese besondere Grenze ausgerechnet von zwei Eritreern überschritten wurde: Mit seiner gebirgigen Landschaft ist das kleine Land am Horn von Afrika nicht nur perfekt für extremes Radtraining geeignet, es hat auch eine Bevölkerung, die völlig verrückt nach Radsport ist. Seit seiner Einführung durch die italienischen Besatzer ist dieser fast zur Volksreligion geworden.

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Ein kleines Wunder ist die Teilnahme der zwei Radfahrer dann aber doch: Für eritreische Athleten ist es meist sehr schwierig, im Ausland ein Visum zu bekommen, und auch ihre eigene Regierung zögert oft, ihnen die Ausreise zu erlauben, da immer die Gefahr besteht, dass sie die Gelegenheit zur Flucht gebrauchen werden. Die Teilnahme zweier Athleten an einem europäischen Radrennen ist somit ein seltener Moment der Normalität in einem Land, das meist nur als diktatorischer Unrechtsstaat, als „Nordkorea Afrikas“, in den europäischen Medien erscheint. Gerade erst haben dann auch zehn Fußballspieler in Botsuana nach einem Auslandsspiel die Rückreise verweigert und Asyl beantragt. Es wäre fast witzig, wenn es nicht so traurig wäre: Eritreische Fußballspieler desertieren mit solcher Regelmäßigkeit bei Auslandsspielen, dass diese wohl schon bald nicht mehr erlaubt sein werden.

Eritrea läuft seine Jugend davon. Tausende überqueren jeden Monat die streng bewachte Grenze nach Südsudan oder Äthiopien. Hunderttausende leben dort bereits in Lagern oder auf den Straßen von Addis Abeba, doch immer mehr machen sich auf den gefahrvollen Weg nach Europa. 25 Prozent aller Flüchtlinge, die über das Mittelmeer Italien erreichen, stammen aus dem kleinen Eritrea, schätzt die UNHCR. Immer mehr von ihnen finden auch den Weg nach Deutschland.

Sie fliehen vor der Hoffnungslosigkeit in ihrer Heimat. Nach der Unabhängigkeit 1993 ist Eritrea nie der Übergang zur Normalität gelungen. Die siegreiche „Eritreische Volksbefreiungsfront“ weigert sich bis heute, die Macht abzugeben, und hat eine totalitäre Militärdiktatur errichtet, in der alle Teile der Gesellschaft unter eiserner Kontrolle stehen. Der langwierige nationale Befreiungskampf hat einen militaristischen, stolzen Nationalismus hervorgebracht, dem sich die Regierung bedient, um ihre angebliche Entwicklungsdiktatur zu legitimieren und die Gesellschaft in einem permanenten Verteidigungszustand zu halten. In der eritreischen Regierung, aber auch bei vielen Eritreern selbst in der Diaspora, herrscht eine Wagenburgmentalität: Dem Ausland, vor allem den USA, ist nicht zu trauen. Im Kampf für seine Unabhängigkeit und für seine Entwicklung kann Eritrea nur auf sich zählen: Zusammenhalt und Loyalität sind deshalb unabdinglich. Zur Stabilisierung der Gewaltherrschaft der Regierung trägt auch bei, dass die Grenzstreitigkeiten mit dem Bruderfeind Äthiopien, die Ende der 90er zu einem verlustreichen Krieg geführt hatten, immer noch nicht beigelegt sind. Isolation, Stagnation und Gewaltherrschaft verstärken sich seit Jahren in einer Spirale des Unrechts.

Im Juni veröffentlichte die UN einen umfassenden Bericht über die Menschenrechtslage in Eritrea. Basierend auf umfangreichen Interviews mit Geflüchteten wird dort ein bedrückendes Bild der Verbrechen des Regimes gezeichnet. Eritrea, stellt die UN klar, werde beherrscht von einem totalitären Regime, und wer von dort fliehe, brauche unbedingt den Schutz der internationalen Gemeinschaft. Ein beklemmendes Detail aus dem UN-Bericht bilden Zeichnungen eines Folterüberlebenden aus Eritrea, welche die Methoden der eritreischen Polizei illustrieren.

Bespitzelung, Folter, Verhaftungen und Gesetzlosigkeit – all das erschafft ein Klima der Angst, welches es der Regierung trotz der schlechten wirtschaftlichen Lage erlaubt, die Macht fest im Griff zu behalten. Wie gut diese Einschüchterung jeder Opposition funktioniert, kann man daran sehen, dass es der UN-Kommission nicht nur nicht erlaubt war, für ihre Untersuchung ins Land zu reisen, sondern dass selbst viele der Eritreer, die geflüchtet waren, Angst hatten, offen über die Regierung zu sprechen. Offenbar fürchteten sie selbst im Ausland die Spitzel und Kollaborateure des Regimes.

Besonders der Militärdienst in Eritrea ist einer der wichtigsten Gründe, aus dem junge Eritreer oft schon bevor sie die Volljährigkeit erreichen ins Ausland flüchten. Als Teil des eritreischen Versuches, unabhängig von Hilfe aus dem Ausland das kriegsgebeutelte Land zu entwickeln, werden junge Menschen oft unbefristet zum Dienst eingezogen und nach der militärischen Ausbildung zur Zwangsarbeit, vor allem bei Infrastrukturprojekten, gezwungen. Dabei, so beschreibt es etwa Human Rights Watch, herrscht militärische Disziplin und Gewalt, immer wieder kommt es zu Vergewaltigungen und Haftstrafen.

Eritrea ist international fast vollständig isoliert. 2009 verhängte die UN Sanktionen gegen das eritreische Regime, unter anderem, weil es islamistische Konfliktparteien in Somalia unterstützt hatte, die gegen die äthiopische Besatzung kämpften. Die Sanktionen der UN zielen, etwa durch Reiseverbote, direkt auf die Regierung. Wirklich treffen dürfte dieses aber nur das Waffenembargo, welches gerade erst am 23. Oktober von der UN verlängert wurde. Umso erstaunlicher ist es also, dass die EU angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen beginnt, sich der Regierung in Eritrea anzunähern. Eritrea nimmt Teil am Khartum-Prozesses, in dem die EU mit verschiedenen nordafrikanischen Staaten zur Steuerung und Kontrolle des Migrationsprozesses in Nordafrika zusammenarbeiten will. Genauso wie Deutschland ist Eritrea sogar Teil der Steuerungsgruppe, die zum ersten mal im April in Sharm-El Sheik zu einem Treffen zusammen kam. In einer internen Erklärung, die von der Seite statewatch.org im Internet zur Verfügung gestellt wird, ist davon die Rede, dass gemeinsam die „institutionellen Kapazitäten der Regierung des Staates Eritrea im Kampf gegen Menschenhandel und Schmuggel gestärkt werden“ sollen.

Aber auch bilaterale Beziehungen werden geknüpft: Im März 2015 besuchte eine italienische Delegation Eritrea – und erhielt von der eritreischen Regierung die vage Zusicherung, sie werde den Weg zur Demokratie „auf ihre eigene Weise“ fortsetzen. Schon im November 2014 war eine Delegation aus Großbritannien nach Eritrea gereist, um im Rahmen des Khartoum-Prozesses Gespräche mit der Regierung zur Migration zu führen. Anders als in Deutschland, wo praktisch jeder Asylantrag von Eritreern positiv beschieden wird, begann die britische Regierung ab Anfang des Jahres zu behaupten, für die meisten Eritreer bestehe keine Gefahr bei der Rückkehr in ihr Land. Und tatsächlich wurden im zweiten Quartal 2015 nur 34% aller Asylanträge mit Bleiberecht entschieden. Im Gegenzug finanziert die britische Regierung in Eritrea ein Ausbildungsprogramm für Jugendliche, wie man dem internen Bericht der Steuerungsgruppe entnehmen kann.

Die Bundesregierung hat ihre bilaterale Entwicklungshilfe „mangels entsprechender Partner“ 2007 eingestellt, also einige Jahre nachdem sich die totalitäre Herrschaft des Regimes verhärtet hatte. Vor einer Wiederaufnahme der Hilfe fordert sie „deutliche Schritte zu einer Verbesserung der menschenrechtlichen Lage“, wie es in einer Antwort auf eine kleine Anfrage im Bundestag aus dem April diesen Jahres heißt. Trotzdem reiste im Juli, kurz nach dem Erscheinen des in seinem Urteil eindeutigen UN-Berichtes, der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller persönlich nach Eritrea. Auch dass Eritrea bald Entwicklungshilfe direkt von der EU erhalten soll, stört die Bundesregierung offenbar nicht.

Voraussichtlich 200 Millionen Euro davon sollen bis 2020 an Eritrea fließen, wobei sowohl über die genaue Zahl und die Verwendung noch verhandelt wird. Eine Entscheidung soll noch dieses Jahr in Brüssel getroffen werden. Neben der regulären Entwicklungshilfe hat die EU einen „Emergency Trust Fund“ in Höhe von 1,8 Milliarden Euro eingerichtet, der direkt darauf abzielen soll, Ursachen für Flucht und Migration in Afrika zu bekämpfen. Auch aus diesem Fond soll Geld ans Horn von Afrika fließen. Aktuell Meinung

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