Streit um Optionspflicht

Wer ist in Deutschland aufgewachsen?

Die Diskussion um die umstrittene Optionspflicht im Staatsangehörigkeitsrecht geht weiter. Union möchte den Doppelpass nur Jugendlichen ermöglichen, die ihre Schulzeit in Deutschland absolviert haben. SPD und Opposition hingegen sind für die komplette Abschaffung.

Montag, 03.02.2014, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 07.02.2014, 1:08 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Wer geglaubt hat, dass der endlose Streit um die umstrittene Optionspflicht im Staatsangehörigkeitsrecht mit dem schwarz-roten Koalitionsvertrag begraben wurde, reibt sich dieser Tage verwundert die Augen. Immer noch streiten sich die üblichen zwei Lager – Union und alle anderen – um die Zukunft dieser Regelung.

Grund für den fortdauernden Streit ist der in letzter Minute gefundene Kompromiss zwischen Union und der SPD während der Koalitionsverhandlungen. „Für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern entfällt in Zukunft der Optionszwang“, hatten Schwarz-Rot im Koalitonsvertrag beschlossen. Streitgegenstand ist nun die Bedeutung des Begriffs „aufgewachsen“.

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Union: komplette Schulzeit in Deutschland
Unionspolitiker – allen voran CSU Politiker – sind der Überzeugung, hier aufgewachsen sei nur jemand, der die komplette Schulzeit in Deutschland absolviert hat. Mit dieser Beschränkung solle verhindert werden, dass etwa junge Frauen zur Schule in die Türkei geschickt würden und nach Jahren mit mangelhaften Deutschkenntnissen zurückkämen. Es gehe also darum, Erleichterungen für die „Integrierten“ zu schaffen.

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoğuz (SPD), sowie die Oppositionsparteien wollen hingegen die Optionspflicht vollständig aufheben. Begründung: Der Unionsvorschlag schaffe Ungleichbehandlung.

SPD befürchtet Ungleichbehandlung
Angenommen ein Schüler geht für 1-2 Jahre im Ausland zur Schule, kehrt wieder zurück nach Deutschland und absolviert die Schule mit Bestnoten. Er müsste sich nach der Lesart der Union nach wie vor bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres zwischen seinen beiden Staatsbürgerschaften entscheiden. Ein anderer wiederum, der zwar ausschließlich in Deutschland zur Schule gegangen ist aber weder Leistung noch Abschluss nachweisen kann, soll beide Staatsbürgerschaften behalten dürfen.

Auch der zwischenzeitlich in den Raum geworfene Vorschlag, dass ein deutscher Schulabschluss maßgeblich sein soll, wirft Fragen auf. Danach würde ein Kind mit langer Schulkarriere in Deutschland, das aber seinen Schulabschluss im Ausland gemacht hat, vom Wegfall der Optionspflicht nicht profitieren können. Demgegenüber könnte ein Kind, das im Ausland aufgewachsenen ist und nur das letzte Schuljahr in Deutschland verbracht hat, beide Pässe behalten.

Info: Nach der bislang geltenden Optionspflicht müssen sich in Deutschland geborene Kinder von Migranten, die mit der Geburt zunächst den deutschen und einen anderen Pass bekommen, bis zum 23. Geburtstag für eine Staatsangehörigkeit entscheiden. Legen sie sich nicht fest, geht der deutsche Pass automatisch verloren.

Praxisuntauglich
Ein anderes Argument gegen die Klausel „aufgewachsen“ ist die Praxistauglichkeit. Die Vorsitzende des Sachverständigenrates für Integration und Migration (SVR), Prof. Christine Langenfeld, etwa sieht darin ein „Einfallstor für Definitionsprobleme und Bürokratieaufbau“. Die Koalitionsvereinbarung sei nicht in Stein gemeißelt. Insofern solle sich die Regierung vom Koalitionsvertrag lösen und lieber das Staatsangehörigkeitsrecht umfassend modernisieren.

Für ein fortschrittliches Staatsangehörigkeitsrecht macht sich auch die Linkspartei stark. Sie fordert Mehrstaatlichkeit nicht nur für hier geborene Kinder ausländischer Eltern, sondern auch für Migranten, die sich einbürgern lassen. Alles andere sei integrationsfeindliche Politik.

Erster Entwurf
Auch die Grünen kritisieren die Optionspflicht als integrationspolitisch verfehlt und fordern die „rückstandslose Abschaffung“. „Eine unvollständige Reform wäre Murks und schlecht für die Integration. Eine nur teilweise Abschaffung der Optionspflicht bedeutet auch unnötige Bürokratie bei den Ausländerämtern. Hier sollte die SPD keine faulen Kompromisse machen“, so der innenpolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck. Er wirft der Union eine ideologische Ablehnung der doppelten Staatsbürgerschaft vor: „Bei der Einbürgerung erhalten mehr als die Hälfte der Migranten auch heute schon die doppelte Staatsbürgerschaft.“

Wie der Streit ausgeht, sollen Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und Özoğuz in einem Spitzentreffen unter sich ausmachen. Medienberichten zufolge soll im Innenministerium zum Doppelpass bereits ein erster Gesetzentwurf vorliegen. Danach ist in Deutschland „aufgewachsen“, wer mindestens zwölf Jahre lang in Deutschland gelebt und einen wichtigen Teil seiner Pubertät hier verbracht hat. Jugendliche, die einen deutschen Schulabschluss vorweisen können, soll die Mehrstaatlichkeit ebenfalls zuerkannt werden. (bk) Leitartikel Politik

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  1. Non-EU-Alien sagt:

    Anstatt die Regelung durch eine Unzahl von Klauseln komplizierter zu machen, sollte man eine verwaltungstechnische einfach zu handhabende Lösung anstreben.

    Zwei kleine Denkbeispiele:

    * In Deutschland geboren und Hälfte der Schulzeit im Ausland – FAIL
    * Im Ausland geboren und als Baby nach Deutschland und hier komplett Kindergarten und Schule gemacht – FAIL

    Strebt doch lieber eine WIN-WIN Situation an, wo sowohl der einbürgerungswillige Ausländer als auch der deutsche Staat zu den Gewinnern zählen. Auch in den zwei FAIL-Beispielen oben sehe ich den deutschen Staat auch nicht in einer WIN-Situation… Na ja, wenn man nichts Besseres zu tun hat, dann diskutiert man in der Regierung halt über Ausländerfragen…

  2. dotnet dotnet sagt:

    ein Beitrag um dieses Thema ist vor einem Monat in der Welt erschienen, es lohnt sich das lesen

    http://www.welt.de/debatte/kommentare/article123093187/Deutscher-Islam-tuerkischer-Islam.html

  3. Karl Ranseier sagt:

    Mich würde interessieren, wie es für türkische Staatsbürger aussieht die in den 70er und 80er geboren sind, seit dem hier leben und die 2. oder gar die 3. Generation darstellen. Bekommen die laut Koalitionsvertrag oder aktueller Rechtslage eine doppelte Staatsbürgerschaft?

    Alle reden immer nur von Neugeborenen oder ca. 90er Kinder.

    ….

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