Interview mit Prof. Reiner Tillmanns

Der religiös-weltanschaulich neutrale Staat und die Theologie

Viel wurde in den letzten Monaten über die Islamische Theologie spekuliert. Einige sehen die Wissenschaftsfreiheit in Gefahr, andere sprechen von einem „Staatsislam“, der kreiert werden soll. Juristen betrachten die Probleme und Schwierigkeiten oft nüchterner. So auch Religionsverfassungsrechtler Prof. Reiner Tillmanns im Gespräch mit Eren Güvercin.

Von Eren Güvercin Mittwoch, 15.01.2014, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 28.01.2014, 16:30 Uhr Lesedauer: 15 Minuten  |  

Herr Prof. Tillmanns, wie sieht eigentlich die historische Tradition hinsichtlich der Kooperation von Kirche und Theologie in Deutschland aus? Warum hat die Theologie eine Sonderstellung an Universitäten und welche Aufgaben haben Theologen an Universitäten?

Prof. Dr. Reiner Tillmanns: Theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten haben im deutschen Rechtsraum eine lange Tradition. Im Gegensatz zu anderen Fakultäten zeichnen sich theologische Fakultäten dadurch aus, dass in ihnen staatliche und kirchliche Rechtspositionen zusammentreffen. Die moderne Universität und ihre Fakultäten, auch die theologischen Fakultäten, sind Einrichtungen des Staates. Die in den theologischen Fakultäten gelehrte Theologie im Sinne von kirchlicher Lehre ist jedoch eine Funktion der Kirche, nicht des religiös-weltanschaulich neutralen Staates. Die theologischen Fakultäten dienen der Ausbildung von Lehrern für den Religionsunterricht als ordentlichem Lehrfach an staatlichen Schulen gemäß Art. 7 Abs. 3 Grundgesetz (GG) und der Ausbildung von Geistlichen und anderen theologisch geschulten Mitarbeitern im Kirchendienst. Sie sind zudem Orte für die wissenschaftliche Durchdringung und Vertiefung religiöser Fragen.

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Welche grundgesetzlichen Voraussetzungen legitimieren dieses Mitspracherechte der Kirchen?

Zur Person: Reiner Tillmanns ist Professor an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen (FHöV NRW). Zuvor war er Mitarbeiter am Institut für Kirchenrecht der Universität zu Köln. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört das Religionsrecht. Seit mehr als 20 Jahren befasst er sich mit den Rechtsproblemen der Muslime und islamischen Gemeinschaften in Deutschland, woraus etliche juristische Fachbeiträge hervorgegangen sind.

Tillmanns: Die Mitspracherechte der Kirche resultieren aus dem besonderen Charakter der theologischen Fakultäten als „gemeinsame Angelegenheit“ von Staat und Kirche. Soweit kirchliche Angelegenheiten betroffen sind, können diese nicht alleine und womöglich gegen den Willen der Kirche entschieden werden. Eine derartige Bevormundung des Staates wird als unvereinbar mit den kirchlichen Selbstbestimmungsrecht aus Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 Weimarer Reichsverfassung (WRV) angesehen. Kirchliche Mitbestimmungsrechte bestehen dort, wo ihre eigenen Angelegenheiten betroffen sind, wie im Bereich der spezifisch geistlichen Aspekte. Diese sind von den Kirchen zu entscheiden. Der religiös-weltanschaulich neutrale Staat ist hierfür im Übrigen auch nicht kompetent. Er kann nicht entscheiden, ob die Lehre, Forschung und Ausbildung an der theologischen Fakultät bekenntnisgemäß erfolgt, also der Lehre der jeweiligen Kirche entspricht. Allein die Kirchen haben zu befinden, ob die an der theologischen Fakultät vertretene Lehre als kirchlich anzusehen ist. Sie allein haben zu beurteilen, ob die an der Fakultät lehrenden Dozenten in Forschung und Lehre die Identität des kirchlichen Bekenntnisses wahren. Prüfungen, deren Ablegung auch Qualifikationsnachweise für den innerkirchlichen Bereich darstellt, dürfen nur von kirchlich anerkannten Prüfern abgenommen werden. Schließlich bedarf es bei der Verleihung akademischer Grade, denen innerkirchliche Wirksamkeit zukommt, der kirchlichen Mitwirkung.

In den letzten Jahren gab es einige Fälle an Instituten für evangelische oder katholische Theologie, in denen Lehrererlaubnisse entzogen wurden wie im Fall von Gerd Lüdemann, der ja sogar bis vor das Bundesverfassungsgericht gegangen ist. Ab wann wäre ein Professor für katholische Theologie nicht mehr tragbar?

Tillmanns: Der Entzug der kirchlichen Lehrbefähigung und seine Folgen sind in den Staatskirchenverträgen, welche die Kirchen mit den deutschen Ländern geschlossen haben, im Detail unterschiedlich geregelt. Sowohl für die Versagung als auch für den späteren Entzug des nihil obstat gilt, dass sie nur auf die Lehre und den Lebenswandel des betroffenen Professors gestützt werden können und zu begründen sind. Das Schlussprotokoll zu Art. 12 Abs. 1 Satz 2 des preußischen Konkordates aus dem Jahr 1929 formuliert die diesbezüglichen Anforderungen beispielhaft: „Sollte ein einer katholisch-theologischen Fakultät angehöriger Lehrer in seiner Lehrtätigkeit oder in Schriften der katholischen Lehre zu nahe treten oder einen schweren oder ärgerlichen Verstoß gegen die Erfordernisse des priesterlichen Lebenswandels begehen, so ist der zuständige Bischof berechtigt, dem Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung hiervon Anzeige zu machen.“

Die Beanstandung muss hinreichend begründet werden; der Tatbestand (Lehre und/oder Lebenswandel) und die Tatsachen, auf welche sich die Beanstandung stützt, sind anzugeben. Die staatliche Seite muss die Beanstandung als schlüssig begründet erkennen können, ist allerdings darauf beschränkt, die vorgetragenen Tatsachen zu prüfen. Der religiös-weltanschaulich neutrale Staat kann nicht beurteilen, ob das inkriminierte Verhalten ein Verstoß gegen die kirchliche Lehre darstellt oder als Verstoß gegen die Pflichten des Lebenswandels anzusehen ist. Dies festzustellen, ist allein Sache der Kirche oder Religionsgemeinschaft.

Was wäre die Konsequenz für einen Professor, wenn die Kirche ihm die Lehrerlaubnis entziehen würde?

Tillmanns: Der religiös-weltanschaulich neutrale Staat kann nicht inhaltlich überprüfen, ob der geltend gemachte Verstoß gegen die Lehre oder den Lebenswandel vorliegt und wie gravierend er nach der Lehre der Kirche einzustufen ist. Die katholischen Staatskirchenverträge sehen daher vor, dass der Staat bei einem Entzug des nihil obstat Abhilfe leistet, insbesondere für einen dem Lehrbedürfnis entsprechenden Ersatz sorgt. Aus der Pflicht zur Ersatzgestellung wird überwiegend gefolgert, dass der Staat der Fakultät in der Regel umgehend im Rahmen des allgemeinen Haushaltsrechts eine Planstelle gleicher Art, wie der Beanstandete sie innehatte, zur Verfügung stellt.

Ein Professor, dessen nihil obstat widerrufen wurde, darf nicht mehr Theologie lehren und in theologischen Fächern keine Prüfungen mehr abnehmen. Das gilt für alle Studiengänge, an denen das Fach Theologie beteiligt ist. Nach überwiegender Ansicht darf der Betroffene auch nicht Mitglied der theologischen Fakultät bleiben. Sein beamtenrechtlicher Status bleibt von der Beanstandung indes unberührt. Im Regelfall wird der Beamte in eine andere Fakultät versetzt.

Die Diskussionen um das Verhältnis von Staat und Religion haben ja durch die Debatte um den islamischen Religionsunterricht und die Islamische Theologie an deutschen Universitäten eine neue Dimension erreicht. Es scheint, dass die Tradition der Mitspracherechte der Kirchen wieder in Frage gestellt werden. Muss man diese Tradition aufgeben oder überwinden?

Tillmanns: Nein. Die theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten haben sich bewährt. Die Theologie gehört seit jeher zu den grundlegenden wissenschaftlichen Fachbereichen und bildet mit ihrem wissenschaftlichen Beitrag und der Auseinandersetzung mit anderen Fakultäten einen wesentlichen Bestandteil der Volluniversität. Wollte der Staat die Theologie aus dem Kreis der universitären Wissenschaften abdrängen, verstieße er gegen seine Pflicht zu religiös-weltanschaulicher Neutralität, weil die Schaffung religionsfreier Räume antireligiös eingestellte Weltanschauungen begünstigte. Der Staat, der Religion ausgrenzt, ist nicht neutral, sondern laizistisch. Neutralität im Sinne des deutschen Verfassungsrechts meint positive Neutralität im Sinne einer unparteiischen Zulassung religiöser und weltanschaulicher Lehren. Dies schließt eine Förderung religiöser und weltanschaulicher Belange durch den Staat ein.

Da der Staat des Grundgesetzes zu religiös-weltanschaulicher Neutralität verpflichtet ist, darf er jedoch keine Religion oder Weltanschauung betreiben oder sich mit einer solchen identifizieren. Daher ist er bei der Einrichtung und dem Betrieb theologischer Fakultäten auf die Mitarbeit der Religionsgemeinschaften angewiesen, indem diese die religiösen Aspekte entscheiden, deren Regelung ihm versagt ist. Hier hat die Beteiligung der Kirchen u.a. in Personalangelegenheiten ihre Grundlage. Die damit verbundenen Rechte stellen keine Privilegierung dar. Sie sind die Folge staatlicher Neutralität in religiös-weltanschaulichen Angelegenheiten. Aktuell Interview Recht

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  1. BirgitHasenkamp sagt:

    Endlich eine detaillierte Darstellung aus berufenem Munde, die auch Laien wie mir eine Grundlage bietet. Für mich – als Atheist – ist VOR der Einbeziehung von Gedanken zu „Islamwissenschaften“ an deutschen Universitäten wichtig zu wissen, wie denn überhaupt bisher bei CHRISTLICHEN Theologien die Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche(n) bzgl. der Studiengänge an Hochschulen funktioniert hat. Besten Dank!