NSU-Prozess

Zwischen Nazi-Peepshow und Lichtbild-Slapstick

Was sich im Laufe des NSU-Prozesses teilweise abspielt, gleicht einer Slapstick-Nummer voller turbulenter Einlagen und tollpatschiger Szenen - verstörende Beobachtungen und Schlaglichter aus dem NSU-Prozess. Von Friedrich Burschel

Von Friedrich Burschel Mittwoch, 16.10.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 22.10.2013, 1:02 Uhr Lesedauer: 11 Minuten  |  

Der Kontrast zwischen den beklemmenden Bildern spiegelt noch einmal die gesamte prekäre Aufmerksamkeitsökonomie im NSU-Prozess wider: Exponiert stets die Hauptangeklagte Beate Zschäpe. Das gerichtstägliche Ritual, wenn sie hereingeführt wird, gleicht einem kurzen Tanz oder ein paar Trippelschritten auf einem Laufsteg. Die Apparate der anwesenden Pool-Photographen klicken dazu hektisch. Täglich folgt die kollektive Bewertung des Outfits der rätselhaften, ungerührt heiteren und offenbar mit ihrer Rolle kokettierenden Frau, die für viele geradezu ein „Faszinosum“ zu sein scheint.

„Telekom-Magenta“, flüsterte ein Sitznachbar auf der Journalisten-Tribüne kürzlich, als die Angeklagte in knalligem Hemd wieder mit schwungvoller Drehung der klickenden „Öffentlichkeit“ den kalten Rücken zeigte. Auch die langen Haare Zschäpes werden beim Ausbildungsfriseur in der Stadelheimer Haftanstalt aufgehübscht – an jenem Tag tatsächlich ebenfalls getönt in jenem Glanz der Markenfarbe.

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Obwohl man dieses groteske Prozedere nach bald drei Monaten gründlich satt hat, bleibt es einer umfassenden Prozessbegleitung und -beobachtung nicht erspart, auch diesen Aspekt wahrzunehmen und Entwicklungen sowie Wendungen im Verhalten aller fünf Angeklagten aufzuzeichnen. Auch wenn manche unterdessen schon von „Nazi-Wochenschau“ sprechen oder – zumal nach der Veröffentlichung eines Liebesbriefes aus ihrer Feder – von einer „Zschäpe-Peepshow“ oder von einer „Hofberichterstattung für die rechte Szene“.

Im Zentrum stehen, das liegt in der Natur des Strafverfahrens, die Angeklagten. Und das sind nun mal Nazis. Ihr Verhalten wird auch für den Ausgang des Verfahrens, den Schuldspruch und die konkrete Strafzumessung mitentscheidend sein. Wer hätte zum Beispiel erwartet, dass der als Kronzeuge aussagende, schwule Naziszenen-Aussteiger Carsten Schultze unter Tränen sein Mitwissen an einem weiteren Sprengstoffanschlag preisgeben würde? 1999 explodierte in Nürnberg eine präparierte Taschenlampe in den Händen einer Reinigungskraft und verletzte diese schwer. Trotz Überprüfung möglicher weiterer Verbrechen nach Festnahme der NSU-Verdächtigen war dieser frühe Anschlag – den die Nürnberger Polizei bezeichnenderweise damals ebenfalls im „Drogenmilieu“ verortete – den Staatsanwaltschaften wieder nicht aufgefallen.

Beklemmende Leichenschau
Und dann die anderen Bilder: Ende Juni 2013 wurden vor Gericht verschiedene Versionen des NSU-Bekennervideos gezeigt, welche Beate Zschäpe nach dem Ende der Z0wickauer Zelle noch verschickt hatte, ehe sie sich der Polizei selbst stellte. Die infamen Trickfilmmontagen mit der Comic-Figur Paulchen Panther, der als eine Art Conférencier mit höhnischen Texten und perfidem Spaß durch die Mordserie führt, sind ein Dokument beklemmenden Grauens. Mit Tatort-Fotos werden die zehn Mordopfer darin höhnisch verspottet und einer Schaulust bloßstellt.

Auf beide Seiten des Gerichtssaales werden anderentags die toten Körper des Blumenhändlers Enver Şimşek, des Änderungsschneiders Abdurrahim Özüdoğru und des Gemüsehändlers Habil Kılıç auf die Wandflächen projiziert. Zwei der von den NSU-Mördern angeschossenen Männer lebten noch als die Rettungskräfte eintrafen, die an den Sterbenden Wiederbelebungs- und Rettungsmaßnahmen versuchten und das sprichwörtliche Blutbad zu einem infernalischen Bild vom gewaltsamen Tod verschmierten. Und jetzt blicken fast 200 Augenpaare auf die geschändeten Körper der Hingerichteten, in die durchbohrten und vom Blut aufgeschwemmten Gesichter, um die Einschusswinkel der Projektile in Augenschein zu nehmen. Noch einmal werden sie dem schamlosen Blick dessen präsentiert, was in der Rechtsordnung Öffentlichkeit heißt. Nach allem, was ihnen post mortem und ihren Familien schon widerfahren und zugemutet worden ist.

Unvorstellbar, was diese Bilder bei den anwesenden Angehörigen der von Nazis umgebrachten Männer Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und der einen Frau, der Polizistin Michèle Kiesewetter, auslösen mögen. Viele von ihnen sind gar nicht oder nicht mehr regelmäßig im Gerichtssaal anwesend, vermutlich, um sich diesem Grauen – zumal in Anwesenheit der unbeeindruckt scheinen – den, wahrscheinlichen Mittäterin – nicht aussetzen zu müssen. Nach allem, was sie und ihre Familien schon durchlitten haben.

Renitentes „Opfer“
Ein Bild von Unbeholfenheit gab dann auch der Vorsitzende Richter Manfred Götzl ab, als die erste Opferangehörige, die Witwe Pinar Kılıç, in den Zeugenstand tritt. Diese Szenen machen deutlich, wie wenig der Umgang mit diesem immensen Leid im Verfahren vorgesehen und gewollt ist. Frau Kılıç, die 1977 nach Deutschland eingewandert ist, ehe der Ehemann ihr einige Jahre später folgen konnte, spricht nur gebrochen Deutsch. Sie ist vom Geschehen gezeichnet, präsentiert sich aber nicht als das Opfer, als das sie Gehör finden soll. Sie ist renitent, als der Richter sie auffordert zu schildern, wie es nach der Tat für sie und ihre Tochter gewesen sei: „Wie kann das sein? Können sie sich das nicht überlegen? Wie über uns geredet wird? Wie schlecht geredet wird? Wie man uns behandelt hat…“ Und erstmals konfrontiert sie Beate Zschäpe selbst mit den ihr vorgeworfenen Taten, indem sie – auf sie deutend – fragt: „Wie soll ich das hier der Frau erklären? Jahrelang bin ich verdächtigt worden; jahrelang bin ich herumgeschoben worden. Wir mussten das ganze Blutbad selber sauber machen; wie kommt das ganze Blut in die ganze Wohnung?“

Manfred Götzl bohrt ungewohnt unsensibel nach, vielleicht auch genervt von den Verständigungsschwierigkeiten und herrscht die Zeugin an: „Wenn ich sie hier höflich etwas frage, erwarte ich auch eine höfliche Antwort!“ Frau Kılıç lässt sich davon nicht beeindrucken und weigert sich hartnäckig, etwas zu den psychischen Folgeschäden des Mordes an ihrem Mann zu offenbaren: „Fragen sie meinen Anwalt und meinen Arzt“, insistiert sie, die ihr Leid nicht vor der ungerührten, potentiellen Täterin ausbreiten will.

Wohl aber, wie sie vom Freundeskreis geschnitten wurde, wie die soziale Umgebung sich zurückzog von ihr und ihrer Tochter, weil ihr erschossener Mann über Jahre der kriminellen Machenschaften verdächtigt wurde. Man kann sich vorstellen, wie sich hinter vorgehaltener Hand die stigmatisierende Wirkung der polizeilichen Ermittlungen entfaltete, nach dem Motto: „Da wird schon was dran sein, wenn die Polizei da so hinterher ist…“

Keine Selbstzweifel
Einer dieser Mordermittler, der prominente Kriminaler und nachmalige Chef der Mordkommission München, Josef Wilfling, hatte kurz vor Frau Kılıç als Zeuge ausgesagt. Der Mann ist eine Legende, er hat an der Aufklärung der Morde an Walter Sedlmayr und Rudolph Moshammer mitgewirkt und über Mord und Mörder Bücher geschrieben. Mit dem Sound seiner Stentorstimme weht einen das Bayern der 1970er und -80er Jahre unter Franz Josef Strauß an. Dem Mann hier sind Selbstzweifel – zumal im Kontext mit den Münchener NSU-Morden – offenbar fremd. Kritikerinnen und Kritiker herrscht er schon einmal an: „Man darf doch nicht den Fehler machen, mit dem Wissen von heute auf damals zu schließen!“

Es habe nur Spuren und Anzeichen für eine Serie im Bereich der organisierten Kriminalität gegeben, die kurdische PKK, die Grauen Wölfe vielleicht oder die türkische Drogenmafia: „Jetzt soll man bitte nicht so tun, als gäbe es keine türkische Drogenmafia“, trumpft Wilfling auf. Hatte Kılıç Schulden, war er da in etwas hineingeraten, habe man sich gefragt. Und welchen Zusammenhang könnte es zu den Verbrechen in Nürnberg an Şimşek und Özüdoğru geben, die mit derselben Waffe verübt worden waren? Leitartikel Meinung

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