Ausländerpolitik in den 80ern (7/9)

„Wir haben eine Ballung der Ausländerkinder in den Klassen, die nicht notwendig ist.“

Bonn, 4. Februar 1982. Im Bundestag debattieren die Parteien über Ausländerpolitik – Familienzusammenführung, Assimilation, Einbürgerung, Gettos oder auch darüber, wie man Türken “loswird”. MiGAZIN veröffentlicht in einer neunteiligen Serie die Debatte in voller Länge. Heute: Burkhard Hirsch (FDP)

Donnerstag, 15.08.2013, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 15.08.2013, 23:04 Uhr Lesedauer: 11 Minuten  |  

Burkhard Hirsch (FDP) war ab 1973 Mitglied im FDP-Bundesvorstand, von 1975 bis 1980 NRW-Innenminister und von 1994 bis 1998 Vizepräsident des Deutschen Bundestages.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

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Wenn man die Ausführungen des Kollegen Spranger gehört hat, möchte man meinen, daß er an der gesamten bisherigen Debatte nicht teilgenommen oder ihr nicht zugehört hat.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Eines ist aus vielen Reden völlig klar geworden, nämlich daß das Ausländerproblem, dem wir uns gegenübersehen, eine Folge wirtschaftlicher Tatbestände und einer gezielten Anwerbung von Arbeitskräften aus den Mittelmeerländern ist, die wir – nicht diese Bundesregierung, sondern die Wirtschaft – seit Mitte der fünfziger Jahre betrieben haben. Wir sehen uns nach wie vor einem Einwanderungsdruck gegenüber. Offenbar beurteilen die Länder, um die es geht, die wirtschaftlichen Zustände in der Bundesrepublik besser als die Opposition dieses Landes.

(Zuruf von der SPD: So ist das!)

Wir sehen uns nach wie vor einem solchen Einwanderungsdruck gegenüber. Wir halten es für völlig illusorisch, das Rotationsprinzip als Therapie dafür anzusehen – Herr Spranger wollte das eben tun – oder zu glauben, daß man durch Anreize irgendwelcher Art – welcher Art? Wieviel soll das kosten? -Sie haben das eben gesagt – im namhaften Umfang die Hauptausländergruppen, die sich bei uns befinden – fast die Hälfte sind Türken -, dazu bewegen könnte, in ihr Land zurückzukehren. Das ist sicherlich eine Illusion. Der Hinweis auf die Schweiz kann einfach nicht ziehen, weil die Mehrzahl der ausländischen Arbeitnehmer in der Schweiz nicht Türken, sondern Italiener, Franzosen und Deutsche sind. Das ist also eine ganz andere Situation.

„Wir sollten bei einer notwendigen Aufgabe, die wir erkennen, nicht so kleinmütig sein, sondern sollten eine wirksame Integrationspolitik für die Ausländer betreiben, die bei uns sind, die wir selber hierhergeholt haben, deren Familien wir als Christen einen Zusammenzug bei uns ermöglicht haben. Wir sollten nicht so schnell und so leicht in der Verantwortung diesen Menschen gegenüber resignieren, ihnen hier eine Lebensmöglichkeit zu schaffen.“

Herr Dregger, Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß es sehr viel besser und auf Dauer sehr viel nützlicher wäre, Arbeitsmöglichkeiten in den Ländern zu schaffen, aus denen diese Menschen kommen. Das ist zweifellos richtig. Das ist ein Gedanke – er stammt nicht von Ihnen -, mit dem wir seit vielen Jahren für die Erhöhung der Entwicklungshilfe werben. Ich habe mich auch darüber gefreut, daß Sie hier einen Vorschlag wiederholt haben, den ich vor vielen Jahren unter dem Gelächter Ihrer Parteifreunde im nordrhein-westfälischen Landtag gemacht habe, nämlich daß gerade für Flüchtlinge aus fernen Ländern, z. B. aus dem asiatischen Raum, die Möglichkeit geschaffen werden müßte, in ihrem eigenen Kulturkreis eine Lebensmöglichkeit zu finden. Dieser Vorschlag wurde dann von Bargatzky aufgegriffen. Wir haben aber gemerkt, daß die Verwirklichung dieses Vorschlages kaum möglich ist. Diesen Tatbestand mag man bedauern, aber man muß ihn auch zur Kenntnis nehmen.

Sie haben mit Recht auf die großen Integrationsleistungen der Vergangenheit, auf die Hugenotten hingewiesen. Das Edikt von Potsdam von 1685 hat immerhin 500 000 Hugenotten mit der Folge nach Preußen gebracht, daß ein Drittel aller Einwohner Berlins Hugenotten waren. Die Zahlen in Magdeburg, Halle, Leipzig waren nicht viel anders. Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß wir in der Mitte des vorigen Jahrhunderts eine große Einwanderungswelle aus Westpreußen, Ostpreußen, Polen und Schlesien mit Integrationsfolgen hatten, an denen im Ruhrgebiet noch heute gearbeitet wird, wie man aus der Sprengkraft des Wortes „Glabotki“ ablesen kann. Darum sage ich Ihnen: Wir sollten bei einer notwendigen Aufgabe, die wir erkennen, nicht so kleinmütig sein, sondern sollten eine wirksame Integrationspolitik für die Ausländer betreiben, die bei uns sind, die wir selber hierhergeholt haben, deren Familien wir als Christen einen Zusammenzug bei uns ermöglicht haben. Wir sollten nicht so schnell und so leicht in der Verantwortung diesen Menschen gegenüber resignieren, ihnen hier eine Lebensmöglichkeit zu schaffen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

„Ich glaube, daß nach den Zahlen und nach den Erklärungen der Ausländer selber, die zu mehr als der Hälfte über zehn Jahre bei uns wohnen, alle Überlegungen, zum Rotationsprinzip zurückzukehren, gegenstandslos sind. Sie werden nicht funktionieren. Sie werden von der Wirtschaft selber mit großer Heftigkeit bekämpft werden, wie das in der Vergangenheit auch der Fall war, weil sich hier ja humanitäre Zielsetzungen mit wirtschaftlichen Interessen in sehr angenehmer Weise verbinden.“

Herr Brandt hat recht, wenn er sagt, daß man dieses Problem nicht mit dem Problem des Asylrechts vermischen darf. Ich sage hierzu nur ein paar Worte, weil ich annehme, daß von der Länderseite dazu etwas gesagt werden wird. Man muß einmal die Größenordnung sehen. Wir haben in der Bundesrepublik – das ist wiederholt dargestellt worden – 4,63 Millionen Ausländer mit steigender Tendenz wegen der höheren Geburtenzahlen als bei der deutschen Bevölkerung. Das ist der Tatbestand. Fast 1,2 Millionen dieser Ausländer sind unter 16 Jahren, und 650 000 sind hier geborene Ausländer. Wollen Sie die rotieren lassen, Herr Spranger? Das kann ich nicht verstehen. Wir haben also 4,63 Millionen Ausländer.

Seit 1950 haben wir in der ganzen Bundesrepublik dagegen nur 375 000 Asylbewerber. Davon sind 76 000 anerkannt worden. Ich halte das nicht für eine unmenschliche Integrationsverpflichtung, die aus unserem Asylrecht folgt.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

94 000 Verfahren sind anhängig, und der Rest macht 205 000 aus. Wir haben gefragt, wie viele von diesen 205 000 von den Ausländerbehörden der Länder ins Ausland gebracht worden sind. Ich habe die Vermutung – vielleicht können Sie die bestätigen -, daß gut 50 % dieser Ausländer, wahrscheinlich mehr, in der Bundesrepublik geblieben sind, obwohl sie rechtskräftig nicht als Asylbewerber anerkannt worden sind. Man muß sich einmal darüber unterhalten, warum das so ist. Bei folgendem können Sie ganz sicher sein; die Frage kam vorhin von Herrn Erhard. Wir sind im Innenausschuß mit der Beratung des Asylrechts fertig. Der Bundesratsentwurf hat sich in vielen Punkten einfach als nicht zulänglich erwiesen, wie der Bericht der von Bund und Ländern gemeinsam eingesetzten Arbeitsgruppe gezeigt hat. Wiederholungsanträge, Identifizierung, Verteilungsverfahren, Sammellager, Zustellungsprobleme, alles das ist in diesem Entwurf nicht geregelt gewesen. Ich hoffe, daß wir die letzte übriggebliebene Frage im Rechtsausschuß in Kürze regeln können. Aktuell Politik

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