Kulturalisierung der Integrationspolitik

Grundannahmen der politischen Auseinandersetzung im Bundestag nach dem 11. September

Gerhard Schröder sagte über die Attentate, sie hätten „nichts, aber auch gar nichts mit Religion zu tun“. Einen „Kampf der Kulturen“ wollte niemand darin erblicken, erst Recht nicht den Auftakt zu einem „Krieg gegen die islamische Welt“.

Von Petra Klug Samstag, 10.09.2011, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 14.09.2011, 2:10 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Die Attentate des 11. September 2001 gehörten wohl zu den wichtigsten Ereignissen, die das deutsche Verhältnis zum Islam geprägt haben. Sie sind als kollektiver Schock im kulturellen Gedächtnis verankert geblieben und so hat sich auch die Klassifizierung der Ereignisse, wie sie unmittelbar danach abgegeben wurde, in das gesellschaftliche Wissen eingeschrieben. Im Folgenden sollen daher die Einschätzungen des Deutschen Bundestages dargestellt und ihre Auswirkungen auf die deutsche Integrationspolitik nach dem 11. September nachgezeichnet werden.

Weichenstellung der Islam-Debatte nach dem 11. September
Während in den Medien schon am Folgetag darüber berichtet wurde, dass Islamisten unter Osama bin Laden für die Anschläge verantwortlich seien, enthielt sich der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Regierungserklärung – wie auch alle anderen Abgeordneten – am 12. September jeglicher Spekulationen über die religiöse Motivation für die Attentate. Der Bundestag äußerte sich erst in der darauf folgenden Sitzung am 19. September genauer zu Einschätzung und Folgen der Ereignisse.

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Die Abgeordneten wollten den Islam eindeutig und einstimmig nicht mit Terror und Gewalt in Verbindung bringen, obwohl zu diesem Zeitpunkt keine Zweifel mehr am islamistischen Hintergrund der Tat bestanden. Gerhard Schröder sagte über die Attentate, sie hätten – und das sei Konsens – „nichts, aber auch gar nichts mit Religion zu tun“ und erhielt dafür Beifall im ganzen Hause. Einen „Kampf der Kulturen“ wollte niemand darin erblicken, erst Recht nicht den Auftakt zu einem „Krieg gegen die islamische Welt“. Vielmehr sollte diese in den Krieg gegen den Terror einbezogen werden.

Konfliktstoff barg dann allerdings die Diskussion um das Zuwanderungsgesetz und das Asylrecht, die in der Debatte um den 11. September mitverhandelt wurden. Während die Abgeordneten dem Islam als Religion Hochachtung und Respekt zollten, wurde die Bedrohung durch den Terrorismus teilweise genutzt um gegen Zuwanderung zu argumentieren. Durch die Diskussion von Migrations- und Asylrechtsfragen im Kontext der Terrorbekämpfung wurde Zuwanderung aber diskursiv mit Terrorismus gekoppelt. Eine religiöse Dimension wurde dem Terror hingegen abgesprochen. Wo in der Folge doch ein Zusammenhang zwischen dem Terrorismus und religiösen Überzeugungen angenommen wurde – etwa in der Debatte um die Menschenrechtspolitik der Europäischen Union – galt er als Missbrauch der Religion für politische Interessen. Die Möglichkeit, dass Religion selbst politische Implikationen haben kann, wurde mit dieser Argumentation definitorisch ausgeschlossen. Gewaltphänomenen wurde ein religiöser Gehalt per se abgesprochen. Aus der Abwehr gegen die – im Bundestag gar nicht vorgenommene – pauschale Identifikation von Islam mit Terrorismus wurde teilweise die völlige Dissoziation von beidem – was durchaus im Kontrast zur selbstbekundeten Motivation der Attentäter des 11. September steht und letztlich einen sehr verkürzten Begriff von Religion voraussetzt. Die diskursive Kopplung von Migration und Terrorismus auf der einen Seite, auf der anderen Seite aber die Entkopplung von Religion und Terrorismus wurde zur Voraussetzung der Kulturalisierung des Integrationsbegriffes und bestimmt die Auseinandersetzung bis heute.

Die Amalgamierung von Religion und Migration
So scheint es, dass in der Integrationspolitik jeweils legitime demokratische Anliegen gegeneinander ausgespielt werden können. Gegen die Offenheit der Bundesrepublik für Menschen verschiedenster Herkunft auf der einen Seite wird die Bedrohung der Sicherheit durch die Zuwanderung auf der anderen Seite ins Feld geführt. Darüber müsse „man offen reden können, ohne der Ausländerfeindlichkeit bezichtigt zu werden“, wie es Wolfgang Bosbach in der Debatte zum 11. September formulierte. Auf den Vorwurf des Rassismus folgt regelmäßig der Vorwurf der Verharmlosung des Islamismus. Und auf die Forderung von Maßnahmen gegen den Islamismus folgt häufig der Vorwurf des Rassismus.

Was dieses forcierte Aneinandervorbeireden erst ermöglicht und dabei von beiden Seiten geteilt wird, ist der implizierte Zusammenhang zwischen Islam und Zuwanderung, der den Abgeordneten ganz selbstverständlich scheint. Zwar sind viele MigrantInnen in Deutschland muslimisch, von der Mehrheit aber auf jedeN EinzelneN zu schließen wäre fatal. Denn die Herkunft eines Menschen aus einem islamisch geprägten Land sagt überhaupt nichts darüber aus, ob dieser muslimisch oder christlich ist oder ob er vielleicht an überhaupt keinen Gott glaubt. Oft sind es gerade Menschen, die sich religiös verfolgt oder zumindest bedrängt fühlen, die sich entschließen auszuwandern. Ebenso wenig ist der Islam als Universalreligion auf bestimmte ethnische Gruppen oder Länder beschränkt, wie man bspw. an den mittlerweile zahlreichen deutschstämmigen KonvertitInnen sehen kann. Und spätestens seit den Geständnissen von Mitgliedern der sog. Sauerland-Gruppe sollte auch klar geworden sein, dass islamistisch motivierter Terrorismus auch von Deutschen ohne Migrationshintergrund ausgehen kann.

Islamismus mit Zuwanderung zu assoziieren bildet aber nicht nur möglicherweise gefährliche blinde Flecken bei der Terrorismusbekämpfung. Menschen aufgrund ihrer Herkunft bestimmte Eigenschaften zuzuschreiben, also bspw. ZuwandererInnen aus der Türkei, dass sie muslimisch sind, ist im Kern rassistisch – unabhängig davon, welche konkreten politischen Vorschläge daraus erwachsen mögen. Schon die Assoziation von einer bestimmten Herkunft mit einer bestimmten Religion bildet also die rassistische Grundierung der deutschen Integrationspolitik nach dem 11. September. Aber dieser kulturalistische Fehlschluss findet sich nicht nur im Bundestag, sondern ist bis hin zu sich antirassistisch verstehenden Initiativen der Zivilgesellschaft verbreitet. Sicherlich lässt sich Kritik am Islam für rassistische und fremdenfeindliche Argumentationen nutzen. Kritik an einer Religion aber gerade im Namen des Kampfes gegen Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit pauschal zurückzuweisen, basiert auf derselben rassistischen Grundannahme wie die Indienstnahme von Religionskritik zur Propagierung rassistischer Ressentiments.

Kulturalisierung der Integrationspolitik
Dies hatte und hat auch Konsequenzen für die Integrationspolitik der Bundesregierung. Anerkennung von MigrantInnen in Deutschland wird seit dem 11. September stärker als Zugeständnis an die islamischen Gemeinschaften in Deutschland denn als soziale und rechtliche Gleichberechtigung gedacht, die die Gesellschaft integrieren und egalisieren würde. Damit werden aber die Probleme der Muslime und Muslimas anstelle der aller MigrantInnen behandelt. Und umgekehrt etabliert der säkulare Staat damit auch die Religion als primäres Identifikationsangebot für junge MigrantInnen in Deutschland. Denn diese Kulturalisierung der Integrationspolitik drängt dazu, den Weg zu mehr politischer Teilhabe über die Religion zu gehen, statt etwa auf Basis der Grundrechte gegen rassistische Diskriminierung zu kämpfen.

Der Staat setzt damit gerade die Religion als Modus der Integration – einer Religion aber, die gar nicht alle MigrantInnen teilen. Für Andersgläubige, für liberale Muslime und Muslimas, für nicht-anerkannte Minderheiten im Islam oder AtheistInnen kann diese spezielle Form der Anerkennung aber gerade zu einer Verschärfung ihrer Situation führen. Die bundesdeutsche Integrationspolitik begibt sich – wie auch viele zivilgesellschaftliche Initiativen zum Thema – mit dieser Strategie also möglicherweise in ein Dilemma. Wenn gesellschaftliche Integration über die Anerkennung von Kultur oder Religion statt über die politischen und sozialen Rechte der Einzelnen hergestellt werden soll, kann vollständige Anerkennung nur heißen, die Grundrechte und damit die Menschenrechte zu relativieren, zumindest dort, wo sie den religiösen Normen zuwiderlaufen. So weit nämlich der Dialog der Religionen auch tragen mag, Religionen bergen normative Ordnungskonzepte, die die Menschen reglementieren. Teilweise fördern diese die Menschenrechte, sehr oft jedoch verstoßen sie gegen diese, betrachtet man etwa die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen, die Verfolgung von Homosexuellen, das Verbot seine Religion zu wechseln oder Einschnitte in der Meinungsfreiheit. Daher werden die Menschenrechte auch von vielen religiösen Gemeinschaften nicht anerkannt.

Eine solche Form der religiösen Normierung zu kritisieren ist nicht rassistisch. Es ist die Voraussetzung von kulturellem und religiösem Pluralismus in Deutschland. Rassistisch wird Integrationspolitik dann, wenn Menschen aufgrund ihrer Herkunft pauschal eine religiöse Orientierung unterstellt wird. Es ist zu befürchten, dass diese Weichenstellung, die nach dem 11. September unter dem Eindruck der nahen Ereignisse und der akuten Angst vor einem Kampf der Kulturen entstanden ist, sich soweit verfestigt hat, dass es schwer sein wird sie aufzubrechen. Im Sinne einer modernen Integrationspolitik wäre aber genau das die Herausforderung. Leitartikel Meinung

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