Selbstzensur

Meinungsfreiheit ist nicht gleich Meinungsfreiheit

Bei der Bedeutung und Umsetzung des Konzepts der Meinungsfreiheit scheiden sich in Deutschland die Geister. Gerade dann, wenn es um religiöse Sensibilitäten und die Macht verschiedener Interessengruppen geht, wird Meinungsfreiheit mit zweierlei Maß gemessen. Zwei aktuelle Beispiele bestätigen das.

Von Franziska Schneider Dienstag, 01.02.2011, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 03.02.2011, 2:29 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Knapp fünf Jahre liegt der Mohammed-Karikaturenstreit zurück. Damals wurde die Veröffentlichung und der Abdruck in deutschen Zeitungen mit der Meinungsfreiheit gerechtfertigt. Heute begründet der Westdeutsche Rundfunk die Nichtausstrahlung eines Papst-Sketches aus der Kölner Karnevalsveranstaltung „Stunksitzung“ mit der „Achtung vor Leben, Freiheit und körperlicher Unversehrtheit, vor Glauben und Meinung anderer“. Warum auf einmal so sensibel? Ist der Papst Benedikt XVI. als „das Frettchen des Herrn, dumm wie eine Rolle Oblaten, umgeben von servilen Höflingen“ im Fernsehen schlimmer als eine Karikatur in „Die Welt“ und anderen überregionalen Tageszeitungen, die Mohammed mit einer Bombe im Turban darstellt?

Im Falle Meinungsfreiheit und Christentum sind die Befindlichkeiten viel sensibler als beim Islam. Beim Letztgenannten geht die Messlatte für Pressefreiheit rapide in den Keller. Dies mag im konkreten Fall vor allem daran gelegen haben, dass sich die „Christsozialen Katholiken in der CSU“ gewaltig auf den Schlips getreten gefühlt haben.

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„Wünschenswert wäre eine Medienkritik, die eine offene und ehrliche Diskussion über Meinungsfreiheit und Religion in Gang setzt.“

Im gleichen Zeitraum gibt es Aufschreie um den Film „Tal der Wölfe“, der sich dem Vorwurf des Antisemitismus ausgesetzt sieht. Meinungsfreiheit wird hier ebenfalls an den eigenen Interessen, dem guten Verhältnis zu Israel, gemessen. Der Film nimmt die Erstürmung der Gaza-Hilfsflotte im Mai 2010 durch die israelische Armee zum Ausgangspunkt seiner Handlung. Die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft hatte den Start des Films kurzfristig gestoppt, weil er als antisemitisch, antiisraelisch und antiamerikanisch gilt. Mal abgesehen davon, dass das zunächst vorgesehene Filmstartdatum mit dem 27. Januar nicht sensibel gewählt war, zeigt der Stempel „antisemitisch“, dass „israelkritisch“ – Kritik an Handlungen des Staates Israel – rhetorisch mit Antisemitismus gleichgesetzt wird. Und das funktioniert, weil in der BRD der Faschismus auf Nationalsozialismus und den Genozid an Juden reduziert, sowie der Staat Israel mit dem Judentum gleichgesetzt wird.

Es ist zwar löblich, dass es in einer Demokratie laut Gesetz keine Zensur gibt, doch verwerflich ist die auferlegte Selbstzensur. Meinungsfreiheit liegt demnach im Interesse und in der Macht der Interessengruppen, die den Medien diktieren, was rechtens ist und was nicht. Wünschenswert wäre eine Medienkritik, die eine offene und ehrliche Diskussion über Meinungsfreiheit und Religion in Gang setzt. Aktuell Meinung

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  1. Pingback: Meinungsfreiheit, Israel und Al Jazeera | LIMES – Der Blog zur Radiosendung

  2. Mr. X sagt:

    „Im Falle Meinungsfreiheit und Christentum sind die Befindlichkeiten viel sensibler als beim Islam“

    Das soll wohl ein Witz sein?

  3. Fritz sagt:

    Was für ein Schwachsinn. Wann hat denn das letzte mal ein katholischer Fundamentalist versucht, einen Karikaturisten oder Kabarettisten zu ermorden?

    Über das gigantische Aufklärungsdefizit des Islam kann man sich so nicht herumlügen.

  4. aloo masala sagt:

    Hi Fritz,

    die türkischstämmige Ministerin Özkan erhielt nach Äußerung Ihrer Haltung zu den Kruzefixen Morddrohungen.

    Soviel zur vorbildlich aufgeklärten Gesellschaft, die sich anderen Kulturen mal wieder haushoch überlegen zu fühlen scheint.

    Beste Grüße

    aloo masala

  5. Karl Willemsen sagt:

    @aloo masala

    wenn eine deutschstämmige Ministerin in der Türkei (das allein sind schon zwei völlige Unvorstellbarkeiten!), als erste Amtshandlung nichts Dümmeres zu tun hätte, als die Entfernung des Halbmondes aus der türkischen Flagge zu fordern, würde es sicherlich nicht nur bei Drohungen bleiben!

    Nicht nur dass ich allergrösstes Verständnis für die ca. 97% Türken hätte, die so eine Frau für absolut unerträglich hielten – ich würde mir auch noch ernsthafte Sorgen um die 3% machen, denen immer noch nicht auffällt, dass sie im falschen Film sitzen!

    Apropos Film… wenn sich hier einige Türken darüber aufregen, dass „Tal der Wölfe – Palästina“ erst „freigegeben ab 18“ wurde – und über etwas anderes kann man sich nicht aufregen, da der Streifen ansonsten uneingeschränkt zugänglich ist – dann haben sie lediglich ein Problem mit dem deutschen Jugendschutz.

    Wer es für unerträglich hält und darunter leidet, dass er seine minderjährigen Kinder nicht in deutsche Kinos zur Verblödung schicken darf, der möge bitte ausreisen! Der hat hier nichts verloren. Punkt.

    Wenn ich in der Türkei lebe und darunter leide, dass nicht an jeder Ecke eine Mohammedkarikatur erhältlich ist, oder in türkischen Opernhäusern keine Prophetenenthauptungen inszeniert werden – dann hab ich da auch nichts verloren! Dann darf ich nicht jammern, sondern muss dorthin zurück, wo mir soetwas geboten wird, wenn es mir denn so wichtig ist… alles andere wäre absurd.

  6. Realist sagt:

    Ich muss Karl Willemsen in vielen seiner Punkten recht geben. Deutschland ist nicht das perfekte Land für jeden Menschen auf der Welt und das soll es auch nicht sein. Es sollte doch hauptsächlich den Deutschen gefallen und denen die sich aus freien Stücken für ein Leben in Deutschland entschieden haben und es weitestgehend auch akzeptieren wie es jetzt halt ist..
    Ob man will oder nicht, der Holocaust ist in Deutschland eine unbestreitbare Tatsache und wenn dann jemand glaubt er müsse massenweise Juden in einem Film hinrichten, dann soll er das doch bitte auch überall da zeigen, wo es erwünscht ist, in Deutschland ist es nicht erwünscht und das ist auch teil der Meinungsfreiheit.
    Und dann frage ich mich auch noch wo denn das Problem mit den Kindern ist, solange ein Erwachsener dabei ist dürfen die doch überalll rein. Es gibt also kein Grund sich den Film nicht zusammen mit seiner ganzen Familie anzukucken.

    „zeigt der Stempel „antisemitisch“, dass „israelkritisch“ – Kritik an Handlungen des Staates Israel – rhetorisch mit Antisemitismus gleichgesetzt wird“

    So kennt man es auch aus den Diskussionen hier auf Migazin, da wird man als Kritiker auch mal schnell Nazi beschimpft. That’s Life!

  7. Pragmatikerin sagt:

    Alles im Namen des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland:

    Was ist Meinungsfreiheit im Sinne des Grundgesetzes?
    Die Meinungsfreiheit ist im Artikel 5 des Grundgesetzes geregelt. Dort heißt es: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten.“ Dazu gehört dann auch die „Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film. Eine Zensur findet nicht statt.“ Die Einschränkung findet sich im zweiten Absatz: „Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“

    Das Grundgesetz schützt die MeinungsfreiheitAllgemein verbreitete Einschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit sind Äußerungen, die gegen die persönliche Ehre gerichtet sind z.B. Beleidigungen oder Verleumdungen. Übermäßige Kritik an eigenen oder ausländischen höchsten Staatsvertretern wie Staatsoberhäuptern, z.B. dem Bundespräsidenten, Gerichten oder auch einfachen Beamten ist nicht durch dieses Grundrecht gedeckt. Außerdem dürfen keine Äußerungen gemacht werden, die die Grenzen der Sittlichkeit und des Jugendschutzes überschreiten. Daneben ist die freie Meinungsäußerung auch im Bezug auf den unlauteren Wettbewerb und was die öffentliche Sicherheit anbelangt eingeschränkt.

    Oftmals ist die Unterscheidung oder die Grenze nicht einfach zu ziehen: In vielen Urteilen tritt jedoch der Ehrenschutz hinter die freie Meinungsäußerung zurück. Es kommt auch immer auf den Zusammenhang an, in dem eine Äußerung gefallen ist. Die Klärung obliegt den Gerichten.

    Tragen wir also – am besten immer – das GG bei uns ;-)

    Pragmatikerin

  8. Pragmatikerin sagt:

    Nachtrag:

    Ein Beispiel: Wenn Sie einen Polizeibeamten z.B. aufgrund der Meinungsfreiheit „Bulle“ nennen, kostet diese Äusserung – meistens – Geld, denn es ist Beamtenbeleidigung.

    „Kohlkopf“ oder „Birne“ durften sie allerdings ungestraft zu unserem Bundeskanzler (1982 bis 1998) sagen, denn Gemüse und Obst ist gesund ;-)

    Pragmatikerin

  9. aloo masala sagt:

    karl willemsen,

    frau özkan war zum zeitpunkt ihrer äußerung noch nicht als ministerin vereidigt. von einer amtshandlung kann daher gar nicht die rede sein. sie hatte lediglich ihre meinung geäußert und zwar in verfassungskonformer weise.

    bemerkenswert ist es mal wieder, dass man sich auf der einen seite völlig zu recht über islamistische mordrohungen lauthals echauffiert, wenn sie gegen einen dänischen cartoon-zeichner gerichtet sind aber auf der anderen seite heuchelt man verständnis für extreme reaktionen auf eine sachliche meinungsäußerung und das nur, weil frau özkan nicht eine autochtochte deutsche christin sondern türkischstämmig und muslimisch ist.

    das ist, so finde ich, verlogene heuchelei vom feinsten.

    beste grüße

    aloo masala

  10. Realist sagt:

    @aloo masala
    Aber ist die Frau Özkan nciht in der CDU, als der Christlich Sozialen Union? Hat sie das C vergessen?