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Aleksandar Abramović © MiG

Beispiel Jugoslawien

Diaspora und Konflikte in den Herkunftsregionen

Wenn in der Heimat Krieg herrscht, verändert das auch die Menschen, die längst woanders leben. Die Geschichte Jugoslawiens zeigt, wie politische Konflikte ganze Diaspora-Gemeinschaften spalten – und nachwirken.

Von Montag, 24.11.2025, 11:45 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 24.11.2025, 11:49 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Als Jugoslawien nach dem Ersten Weltkrieg gegründet wurde, verbanden viele Menschen damit große Hoffnungen. Zum ersten Mal sollten die südslawischen Völker – Serben, Kroaten, Slowenen, Mazedonier, Montenegriner und Bosnier – in einem gemeinsamen Staat leben. Doch bald prallten unterschiedliche Vorstellungen aufeinander: Während die serbische Führung ein zentralistisches Groß-Serbien anstrebte, wollten andere Völker mehr Eigenständigkeit.

Nach dem Zweiten Weltkrieg stabilisierte der kommunistische Staatschef Josip Broz Tito das Land, indem er eine föderale Struktur schuf. Die sechs Teilrepubliken und zwei autonomen Provinzen (Kosovo und Vojvodina) erhielten weitreichende Rechte. Tito hielt die Spannungen zwischen den Nationalitäten mit seiner Autorität im Zaum – doch die Einheit blieb brüchig.

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Mit der neuen Verfassung von 1974 wurde Jugoslawien de facto zu einer lockeren Konföderation. Nach Titos Tod 1980 wuchsen die Konflikte erneut. Besonders in Serbien fühlten sich viele benachteiligt. Der Aufstieg von Slobodan Milošević und seine Forderung nach einem stärker zentralisierten Staat führten schließlich zu den Abspaltungstendenzen in Slowenien, Kroatien und Mazedonien. Der Vielvölkerstaat begann auseinanderzubrechen.

Zerfall und Fluchtbewegungen

Mit dem Zerfall Jugoslawiens Anfang der 1990er Jahre brachen brutale Kriege aus – zuerst in Kroatien, dann in Bosnien-Herzegowina und schließlich im Kosovo. Millionen Menschen wurden vertrieben, Zehntausende getötet. Ganze Dörfer und Städte wurden ethnisch „gesäubert“, Familien auseinandergerissen.

Infokasten: Was war das Dayton-Abkommen (1995)?

Es beendete den Bosnienkrieg und schuf den Staat Bosnien-Herzegowina als Föderation aus zwei weitgehend autonomen Landesteilen: der Föderation Bosnien-Herzegowina (mehrheitlich bosnisch-kroatisch) und der Republika Srpska (mehrheitlich serbisch). Der Frieden hält bis heute – fragil, aber stabil.

Die NATO-Intervention 1995 beendete den Bosnienkrieg, und das Abkommen von Dayton schuf einen fragilen Frieden. Wenige Jahre später griff die NATO erneut ein, diesmal im Kosovo-Krieg, um serbische Angriffe auf die mehrheitlich albanische Bevölkerung zu stoppen.

Die Kriege hinterließen zerstörte Gesellschaften – und sie hinterließen tiefe Spuren in den Gemeinschaften jener, die längst im Ausland lebten: in Deutschland, der Schweiz, Kanada oder den USA. Die Konflikte verlagerten sich in die Diaspora.

Wie sich die Konflikte in der Diaspora spiegelten

1. Zerfall der Gastarbeiter-Community in Westeuropa

In den 1970er Jahren galt die jugoslawische Gastarbeitergemeinschaft in Westeuropa als Beispiel für ein funktionierendes Miteinander der Volksgruppen. Serben, Kroaten, Bosnier und Mazedonier lebten eng beieinander, organisierten gemeinsame Feste und gründeten Vereine, die eng mit der Heimat verbunden waren.

Doch mit Beginn der Kriege brach dieses fragile Gleichgewicht zusammen. Plötzlich definierten sich viele nur noch über ihre ethnische Herkunft. Alte Freundschaften zerbrachen, gemischte Vereine lösten sich auf. Serben und Kroaten mieden einander, die einstige Solidarität wurde durch Misstrauen ersetzt. Aus einer jugoslawischen Gemeinschaft wurde eine Sammlung verfeindeter Gruppen. Der Traum von einem gemeinsamen Jugoslawien zerfiel – auch im Ausland.

2. Die serbische Diaspora in den USA

In Nordamerika hatte die serbische Diaspora bereits vor dem Zerfall Jugoslawiens eine starke politische Stimme. Viele von ihnen stammten aus Familien, die nach dem Zweiten Weltkrieg vor dem Kommunismus geflohen waren. Als die Kämpfe in den 1990er Jahren begannen, unterstützten sie zunächst mehrheitlich die Politik Belgrads – aus Loyalität zur Heimat und in der Hoffnung, Serbien könne die Vormachtstellung in der Region sichern.

Der NATO-Angriff auf Serbien 1999 war für viele ein Schock. Er spaltete die Gemeinschaft und löste heftige Loyalitätskonflikte aus: zwischen Dankbarkeit gegenüber den USA als neuer Heimat und Solidarität mit den Landsleuten im Kosovo. Die serbische Diaspora organisierte Demonstrationen, sammelte Spenden und versuchte, Einfluss auf die US-Politik zu nehmen – ohne großen Erfolg.

Nach dem Krieg wandten sich viele von Slobodan Milošević ab, fühlten sich aber weiterhin unverstanden. Der Glaube an ein großserbisches Projekt schwand, doch der nationale Stolz blieb. Die Mehrheit der serbischstämmigen US-Bürger versuchte fortan, die Beziehungen Serbiens zum Westen zu verbessern.

3. Die kroatische Diaspora in Kanada

Auch in Kanada kam es mit dem Ausbruch der Kriege zu einer Welle nationaler Mobilisierung. Viele Kroaten, die sich zuvor dem jugoslawischen Sozialismus verbunden gefühlt hatten, identifizierten sich nun stark mit dem neuen, unabhängigen Kroatien.

Die kroatische Diaspora organisierte Hilfslieferungen, sammelte Geld und betrieb intensive Lobbyarbeit. Einige halfen sogar bei Waffenlieferungen. Nach dem Krieg dankte der kroatische Staat dieser Unterstützung, indem er Sitze im Parlament für Vertreter:innen der Auslandskroaten reservierte.

Doch auch hier zeigte sich die Kehrseite: Als kroatische Truppen in Bosnien gegen muslimische Bosniaken vorgingen, kam es zu einem moralischen Bruch innerhalb der Diaspora. Während nationalistische Gruppen das Vorgehen rechtfertigten, verurteilten viele andere Kroaten die Gewalt. Mit dem Ende des Krieges schwand die politische Energie der Diaspora, viele zogen sich ins Private zurück.

Zweite Generation und Identitätsbrüche

Besonders schwer traf der Zerfall Jugoslawiens die zweite Generation – die Kinder der Gastarbeiter. Sie waren in Deutschland, der Schweiz oder Österreich aufgewachsen, fühlten sich oft zugleich jugoslawisch und europäisch. Plötzlich aber gab es das Land, mit dem sie sich identifiziert hatten, nicht mehr.

Viele Jugendliche mussten sich zwischen „serbisch“, „kroatisch“ oder „bosnisch“ entscheiden – Kategorien, die ihnen zuvor fremd waren. Wer sich weiterhin als „Jugoslawe“ bezeichnete, galt schnell als Verräter. Der Konflikt ihrer Eltern wurde zu einem Identitätskonflikt ihrer Generation.

Auch gemischte Familien, in denen Serben und Kroaten zusammenlebten, gerieten unter Druck. Freundeskreise zerfielen, Kinder wurden in Schulen mit Feindbildern konfrontiert, die sie kaum verstanden. Psycholog:innen berichteten von inneren Spannungen, Scham und Schuldgefühlen. Der Krieg, tausende Kilometer entfernt, spaltete auch jene, die längst in Frieden lebten.

Fazit: Lektionen für die Gegenwart

Der Fall Jugoslawien zeigt eindrücklich, dass Konflikte in den Herkunftsländern nicht an Grenzen enden. Sie setzen sich in den Diasporas fort – oft in abgeschwächter, aber emotionaler Form.

Wenn ethnische oder religiöse Identitäten politisiert werden, greifen diese Mechanismen auch in der Ferne. Das gilt nicht nur für den Balkan: Ähnliche Dynamiken lassen sich heute bei syrischen, ukrainischen oder palästinensischen Gemeinschaften in Europa beobachten.

Diaspora-Gesellschaften tragen das Erbe ihrer Herkunft in sich – und werden damit zu Schauplätzen, an denen sich die alten Konflikte in neuen Formen wiederholen. Der Umgang mit diesen Spannungen bleibt eine zentrale Aufgabe für Einwanderungsgesellschaften wie Deutschland. Meinung

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