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Bundeskabinett © Odd Andersen/AFP

Geld, Gesundheit, Arbeit

Was der Wegfall des Bürgergelds für ukrainische Geflüchtete bedeutet

Wer neu aus der Ukraine nach Deutschland kommt, soll kein Bürgergeld mehr erhalten. Der am Mittwoch im Kabinett beschlossene Wechsel ins System der Asylbewerberleistungen hat weitreichende Folgen für Gesundheit und Arbeit. Der Staat spart durch die Änderungen nichts.

Von Mittwoch, 19.11.2025, 15:07 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 19.11.2025, 15:10 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Mehrere hunderttausend Ukrainerinnen und Ukrainer beziehen Bürgergeld. Doch wer erst seit dem 1. April in Deutschland eine Aufenthaltserlaubnis erhalten hat, soll stattdessen Asylbewerberleistungen bekommen. Das hat das Bundeskabinett am Mittwoch beschlossen. Dieser sogenannte Rechtskreiswechsel bedeutet in verschiedenen Bereichen eine Schlechterstellung.

Geld

Die Regelsätze für den Lebensunterhalt fallen im Asylbewerberleistungsgesetz um ungefähr ein Fünftel geringer aus. Bei einer alleinstehenden Erwachsenen zum Beispiel fließen 441 Euro im Monat, im Bürgergeld-System sind es 563 Euro. Die Asylbewerberleistungen wurden zum Jahresbeginn 2025 gesenkt, was den Abstand vergrößert hat. Die Regelungen für die staatliche Übernahme der Wohnkosten sind hingegen in beiden Systemen ähnlich.

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Bevor überhaupt staatliches Geld fließt, muss eigenes Vermögen aufgebraucht werden – im Asylbewerberleistungsgesetz gilt ein Freibetrag von nur 200 Euro. Im Bürgergeld liegt das Schonvermögen für Alleinstehende bei 15.000 Euro, im ersten Jahr des Bezugs sind es 40.000 Euro.

Gesundheit

Menschen im Bürgergeldbezug sind gesetzlich krankenversichert. Das Asylbewerberleistungsgesetz deckt im Vergleich eine reduzierte Gesundheitsversorgung ab. Übernommen werden die „Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände“ einschließlich Arznei- und Verbandsmitteln sowie Impfungen und „medizinisch gebotene“ Vorsorgeuntersuchungen. Hinzu kommt die Betreuung von Schwangeren und Wöchnerinnen. Damit betroffene Ukrainerinnen und Ukrainer eine bereits begonnene Behandlung „im Einzelfall“ fortsetzen können, auch wenn diese vom Asylbewerberleistungsgesetz nicht erfasst ist, sieht der Gesetzentwurf der Bundesregierung eine Übergangsregelung vor.

Arbeit

Für Menschen im Bürgergeldbezug gilt: Sie müssen sich um Arbeit bemühen und werden vom Jobcenter dabei unterstützt. Mit dem „Job-Turbo“ wurde ein spezielles Programm gestartet, um insbesondere Ukrainerinnen und Ukrainer sowie Geflüchteten aus einigen anderen Herkunftsländern umfassend beim Einstieg in den Arbeitsmarkt zu helfen. Mit dem Wechsel ins Asylbewerberleistungsgesetz gibt es aber keinen Anspruch mehr auf Hilfe vom Jobcenter.

Die Verpflichtung, sich um Arbeit zu bemühen, bleibt für die Ukrainerinnen und Ukrainer hingegen bestehen. Kommen sie der Verpflichtung nicht nach, können sie „zur Wahrnehmung einer Arbeitsgelegenheit“ verpflichtet werden. Für solche meist kommunal organisierten Aufgaben wie Laubharken oder Müllsammeln werden 80 Cent pro Stunde bezahlt.

Betroffene

Grundsätzlich gilt die Regelung für bedürftige Ukrainerinnen und Ukrainer, die seit dem 1. April 2025 eine Aufenthaltserlaubnis für Deutschland bekommen haben. Um den bürokratischen Aufwand zu senken, gelten erteilte Bürgergeldbescheide aber noch einige Monate weiter. Die Regelung umfasst auch ukrainische Geflüchtete, die bisher Sozialhilfe bekommen, weil sie nicht voll erwerbsfähig oder schon im Rentenalter sind.

Laut Bundesinnenministerium haben von April bis September rund 28.000 Menschen aus der Ukraine Bürgergeld beantragt. Insgesamt erhielten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zufolge zuletzt rund 673.000 Ukrainerinnen und Ukrainer aller Altersgruppen Bürgergeld.

Kosten

Der Staat spart durch die Änderungen nichts. In erster Linie werden Kosten verschoben. Laut Gesetzentwurf sinken die Ausgaben des Bundes, vor allem beim Bürgergeld, in den Jahren 2026 und 2027 um gut 1,1 Milliarden Euro, bei Ländern und Kommunen sind es rund 104 Millionen Euro. Gleichzeitig entstehen bei den Asylbewerberleistungen, die Länder und Kommunen tragen, zusätzliche Ausgaben von rund 1,26 Milliarden Euro. Der Bund hat zugesagt, Länder und Kommunen entsprechend zu entlasten – die Details müssen aber noch ausgehandelt werden. Das Gesetz kann nur mit Zustimmung des Bundesrats in Kraft treten, was die Verhandlungsposition der Länder in diesem Punkt stärkt.

Integration

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Natalie Pawlik (SPD), hat sich kritisch zum Bürgergeld-Stopp geäußert. „Integrationspolitisch ist das eine große Gefahr“, sagte sie dem Nachrichtenmagazin „Politico“ vor der Kabinettsentscheidung. Mit dem Programm „Job-Turbo“ sowie Sprachkursen kämen Menschen aus der Ukraine gerade „immer besser in Arbeit“ und finanzierten ihr Leben zunehmend selbst, sagte Pawlik. „Das droht jetzt, konterkariert zu werden.“

Scharfe Kritik kam aus der Grünen-Fraktion: Der Sozialpolitiker Timon Dzenius sprach im Berliner „Tagesspiegel“ von einer „Schnapsidee“. Die Maßnahme sei „sozialpolitisch falsch, integrationspolitisch schädlich und haushaltspolitisch widersinnig“, urteilte Dzenius. (epd/mig) Leitartikel Politik

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