Auschwitz, Konzentrationslager, Nationalsozialismus, Geschichte, Rassismus
Auschwitz © Juan Antonio Segal @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Vor 60 Jahren

Als die Täter von Auschwitz verurteilt wurden – zu mild

Vor 60 Jahren ging der Frankfurter Auschwitz-Prozess zu Ende. Das Verfahren war ein entscheidender Schritt bei der Aufarbeitung der NS-Verbrechen. Dennoch gab es zum Abschluss Kritik.

Von Dienstag, 19.08.2025, 12:31 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 19.08.2025, 12:31 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Sechs lebenslange Freiheitsstrafen, elf befristete Haftstrafen und drei Freisprüche standen am Ende eines Gerichtsverfahrens, das zu den wichtigsten der bundesdeutschen Geschichte gehört: Im Frankfurter Auschwitz-Prozess jährt sich nun die Urteilsverkündung zum 60. Mal. Am 19. und 20. August 1965 wurden die historischen Urteile verkündet.

Mindestens 1,1 Millionen meist jüdische Häftlinge wurden im Vernichtungslager Auschwitz ermordet, starben in den Gaskammern oder an den Folgen von Zwangsarbeit, Hunger, Krankheiten, Misshandlungen oder den unmenschlichen Lebensbedingungen des Lagers. „Auschwitz“ ist für viele bis heute ein Synonym für den Holocaust.

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Dennoch bedurfte es großen Einsatzes, damit das Verfahren gegen die Täter überhaupt zustande kam. Maßgeblich dabei: der damalige hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der selbst ehemals verfolgter Jude während der Nazizeit war.

Junge Staatsanwälte eingesetzt

Bauer, der im Prozess nicht auftrat, habe eigens junge Staatsanwälte eingesetzt, die vor 1945 noch nicht im Amt waren, beschrieb der damals beteiligte Staatsanwalt Gerhard Wiese das Vorgehen später. Die im April 1963 nach fünfjährigen Ermittlungen eingereichte Anklageschrift zählte 700 Seiten. Bauer habe eine Anklage quer durch das Lager haben wollen, „vom Kommandanten bis zum Häftlingskapo“.

Vor Gericht standen „letzten Endes die Exekutoren des Massenmords“, wie Sybille Steinbacher sagt, die Direktorin des an der Frankfurter Universität angesiedelten Fritz Bauer Instituts. KZ-Aufseher, Wachen, Bedienstete der Lagergestapo, Ärzte und der Lagerapotheker mussten sich verantworten.

Der größte Strafprozess der Nachkriegszeit in Deutschland begann im Dezember 1963 im Frankfurter Römer. Zu den Vorwürfen zählten Mord, Folter, Brutalität und schwere Misshandlungen. Viele der Angeklagten arbeiteten in den 1960er Jahren längst wieder in bürgerlichen Berufen, waren als Kaufmann, Angestellter oder Krankenpfleger tätig.

Mehr als 200 Überlebende als Zeugen

Mehr als 200 Überlebende sagten gegen sie aus. Die Schilderungen verdeutlichten erstmals ausführlich die Hölle, die sie durchlebt hatten – auch den Zuhörerinnen und Zuhörern des Prozesses wurde das Grauen deutlich. Rund 20.000 Menschen seien während des 20-monatigen Verfahrens vor Ort gewesen, auch viele Schulklassen, sagt Steinbacher.

Aufmerksamkeit für die Dimension der Verbrechen zu schaffen, das sei eines der Ziele Bauers gewesen. Er habe ein kritisches Bewusstsein für die gesellschaftliche Verantwortung schaffen wollen, sagt die Professorin. „In der Bereitschaft der Auseinandersetzung damit sah er einen Maßstab für die Demokratiefähigkeit der Deutschen.“

Geurteilt wurde am Ende über 20 Männer, Ranghöchster war Robert Mulka, Adjutant des ersten KZ-Kommandanten. „Keiner von ihnen hat irgendetwas zugegeben oder eingeräumt, letzten Ende nur das, was an Tatsachen nicht abzuweisen war“, sagt Steinbacher.

Kritik an milden Urteilen

Die Urteile seien als zu mild kritisiert worden. Bauer selbst sei enttäuscht gewesen. Er habe gehofft, dass das Gericht von der damals gängigen Rechtsprechungspraxis Abstand nehmen würde, dass Angeklagten eine konkrete Tatbeteiligung nachgewiesen werden muss.

„Bauer vertrat die Auffassung, dass jeder, der – egal in welcher Position – in einem Konzentrations- oder Vernichtungslager tätig war, am systematischen Massenmord verantwortlich beteiligt war und dafür belangt werden konnte.“ Diese Rechtsauffassung habe erst 50 Jahre später Eingang in die Justizpraxis gefunden.

Dennoch sei der Prozess ein Meilenstein gewesen, sagt die Professorin. Seine Bedeutung habe in der großen Öffentlichkeit gelegen, die national wie international geschaffen worden sei. „Zum ersten Mal überhaupt vor Gericht und in der Öffentlichkeit wurde klar, was in Auschwitz geschehen ist, wie dieser Massenmord in seiner arbeitsteiligen Organisation vonstattengehen konnte und welche Dimension er hatte.“

Prozess zeigt Bedeutung von Zivilcourage und Humanität

Aus dem Prozess gebe es viel für die Gegenwart zu lernen: „Die Beschäftigung damit kann den Blick schärfen für den Umstand, dass eine Gesellschaft ihre Rechtsstaatlichkeit verlieren und in menschenfeindliches Handeln umkippen kann. Das schafft ein Bewusstsein für die Verantwortung jedes Einzelnen, für die Bedeutung von Menschenwürde und dafür, so hätte Fritz Bauer das wohl gesagt, wie wichtig Zivilcourage und Humanität sind.“

Die Prozessakten gehören mittlerweile zum Weltdokumentenerbe. In Frankfurt folgten in den 1960er Jahren noch zwei weitere Prozesse zu den deutschen Verbrechen in Auschwitz. (dpa/mig) Aktuell Feuilleton

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