
Fachkräfte-Bürokratie
Zwischen Einladung und Ausschluss
Deutschland braucht Fachkräfte. Deutschland wirbt um Fachkräfte. Deutschland verspricht Offenheit, schließt aber seine Türen. Die Ausgrenzung fängt schon am Eingang an. Ein Erfahrungsbericht aus Kairo.
Von Katrin Viola Lenz Donnerstag, 03.07.2025, 11:09 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 03.07.2025, 11:26 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Die Hitze des Tages liegt noch auf den Straßen von Kairo. In Dokki drängen sich Autos durch die engen Gassen, Hupen vermischen sich mit Stimmengewirr, der Geruch von Tee, Staub und Abgasen hängt in der Luft. Vor dem Swiss Club, einer alten Villa mit Garten, versammeln sich junge Menschen. Hier, so heißt es, beginnt heute für manche ein Stück Zukunft.
Das Berlin Street Event will informieren: über Leben, Arbeiten und Studieren in Deutschland. Organisiert vom Ägyptisch-Deutschen Zentrum für Jobs, Migration und Reintegration, unterstützt von der GIZ und begleitet von deutschen Institutionen wie dem Goethe-Institut, der Bundesagentur für Arbeit, dem DAAD und der AHK. Das Versprechen: ein offener Abend für alle, die sich für neue Wege interessieren. Doch an diesem Abend zeigt sich, wie schnell sich Türen schließen, wenn die Bürokratie entscheidet, wer dazugehört.
Die Grenze am Eingang
Einer der Wartenden ist 27 Jahre alt, lebt seit mehreren Jahren in Alexandria, studiert Medizin, spricht fließend Englisch und lernt privat Deutsch – so weit es neben Studium und den finanziellen Möglichkeiten eben geht. Geboren und aufgewachsen ist er in Saudi-Arabien, mit familiären Wurzeln in Marokko und im Tschad. Sein Lebensmittelpunkt ist seit Jahren Ägypten.
Am Einlass zum Event wird ihm dennoch der Zugang verwehrt. Die Begründung: Nur ägyptische Staatsbürger dürfen teilnehmen. Er solle sich an Programme für den Tschad wenden. Dass es dort kaum Angebote gibt, dass sein Leben längst hier stattfindet, zählt nicht. Sein Lebensweg passt nicht ins Raster der Bürokratie. Auch ich bleibe draußen. Die Begründung: Ich sei Deutsche, ich brauche diese Informationen nicht. Natürlich erleichtert ein deutscher Pass viele Wege. Trotzdem merke selbst ich, wie unübersichtlich und kompliziert es ist, sich durch bürokratische Vorgaben, Fachkräfteinitiativen oder Visa-Informationen zu kämpfen. Für Menschen ohne europäischen Pass wird dieser Weg oft von Anfang an zur Sackgasse. Gerade deshalb wäre dieser Abend auch für mich sinnvoll gewesen – und vor allem für Menschen wie ihn.
Die Unsichtbarkeit bleibt
Er wird oft weitergereicht. Von Behörde zu Behörde, von Initiative zu Initiative. Als schwarzer Mann mit tschadischem Pass bleibt er in Ägypten ein Außenseiter, selbst nach Jahren. Kein offizielles Verbot, aber ein ständiges Gefühl des Nicht-Dazugehörens. Heute, an diesem Abend, wird es wieder sichtbar. Andere Gäste schleichen sich an der Kontrolle vorbei. Wer nicht auffällt, nicht fragt, kommt oft durch. Ehrlichkeit wird bestraft, Unsichtbarkeit zahlt sich aus.
Versprochene Offenheit, geschlossene Türen
Die Programme, die hier vorgestellt werden – Make it in Germany, DAAD, Bundesagentur für Arbeit – sind offiziell international offen. Sie versprechen Perspektiven, auch für Länder wie den Tschad oder Ägypten. Doch die Umsetzung vor Ort erzählt eine andere Geschichte. Das Event ist Teil eines bilateralen Projekts zwischen Deutschland und Ägypten. Nur ägyptische Staatsbürger erhalten Zugang. Für alle anderen, selbst wenn sie hier leben, studieren und motiviert sind, bleibt die Tür verschlossen.
Die offizielle Offenheit der Programme endet an der Eingangskontrolle.
Wer gehört dazu?
Die Welt ist global geworden, Lebenswege verlaufen selten geradlinig. Menschen leben in einem Land, arbeiten in einem anderen, ihre Identität ist komplex. Doch Programme und Behörden denken weiterhin in festen Kategorien. Der junge Mann steht für viele junge Menschen, deren Leben nicht in die vorgefertigten Raster der Bürokratie passt. Für sie bleiben Perspektiven, die offiziell für alle gelten, oft unerreichbar. Nicht, weil sie die Voraussetzungen nicht erfüllen – sondern weil am Ende der Pass entscheidet.
Ein Abend voller Widersprüche
Wir stehen vor dem geschlossenen Eisentor. Drinnen spielt Musik, Stimmen vermischen sich mit dem Rascheln von Papieren. Dort drinnen sprechen sie über Zukunft, über Chancen, über Integration. Draußen bleibt er. Und mit ihm die Erkenntnis, dass ein Stück Papier oft mehr zählt als Qualifikation, Motivation oder Zugehörigkeit.
Vielleicht beginnt echte Integration dort, wo die Frage nach dem Pass nicht länger wichtiger ist als die Geschichte eines Menschen. Und wo Informationsabende wirklich offen sind – für alle, die bereit sind, den ersten Schritt zu gehen. (mig) Meinung
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