
Sachsen im Teufelskreis
Gutachten zeigt wachsende Vielfalt – und strukturelle Hürden
Ein neues Gutachten zeigt: Sachsen wird vielfältiger. Doch fehlende Begegnungen, lange Wartezeiten bei Integrationskursen und ein angespanntes politisches Klima bremsen Integration – und gefährden dringend benötigte Einwanderung.
Montag, 08.12.2025, 10:12 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 08.12.2025, 9:39 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Sachsen verändert sich. 2023 lebten rund 450.000 Menschen mit Migrationserfahrung im Freistaat – etwa elf Prozent der Bevölkerung und damit dreimal so viele wie noch 2011. Das geht aus einem Gutachten des Forschungs- und Beratungsinstituts Empirica hervor, das im Auftrag des Sozialministeriums erstellt wurde. Danach kamen gut 42 Prozent der Zugewanderten als Geflüchtete nach Sachsen, darunter rund 66.000 Menschen aus der Ukraine. Knapp 30 Prozent stammen aus EU-Staaten.
Trotz der steigenden Zahl der Menschen mit Migrationserfahrung leben in Sachsen im Vergleich zum Bundesdurchschnitt (mehr als 30 Prozent) jedoch weiterhin deutlich weniger Menschen mit ausländischen Wurzeln. Diese geringe Vielfalt führt im Alltag zu einem spürbaren Mangel an persönlichen Kontakten. Das wiederum erschwert den Abbau von Vorurteilen. Wo direkte Begegnungen fehlen, gewinnen politische Narrative an Gewicht – besonders in einer Region, in der rechtsextreme Einstellungen stark verankert sind.
Wenig Migration – wenig Kontakt
Bei der Bundestagswahl 2017 etwa fanden Forscher einen Zusammenhang von Ausländeranteil an der Bevölkerung und den Wahlergebnissen der AfD: „Je höher der Ausländeranteil, desto weniger Menschen wählen die AfD“, heißt es in dem Gutachten. Das zeigte sich auch bei der letzten Bundestagswahl. In Sachsen kam die AfD auf 38 Prozent der Stimmen.
Das Gutachten bestätigt diesen Befund: Viele Menschen ohne Migrationserfahrung haben kaum oder gar keinen Kontakt zu Zugewanderten, insbesondere in ihrer Nachbarschaft. Für eine gelingende Integration seien solche Begegnungen jedoch unverzichtbar, betonte Sozialministerin Petra Köpping. „Integration ist ein gegenseitiger Prozess – er gelingt nur gemeinsam durch Kommunikation, Offenheit und partnerschaftliches Miteinander.“
Sachsen benötigt Zuwanderung – doch das Klima schreckt ab
Gleichzeitig ist der Freistaat darauf angewiesen, dass mehr Menschen aus dem Ausland nach Sachsen kommen. Besonders im Gesundheitswesen, aber auch in Industrie und Pflege sei Zuwanderung unverzichtbar, heißt es im Ministerium.
Doch Rechtsextremismus und Rassismus wirken abschreckend – ein Umstand, der nach Einschätzung von Fachleuten eine paradoxe Dynamik erzeugt: Fehlt es an Einwanderung, bleiben Distanz und Vorurteile bestehen; bleiben Vorurteile bestehen, zieht es weniger Menschen nach Sachsen. Dieser Teufelskreis belastet die Integration zusätzlich.
Langes Warten auf Integrationskurse
Ein weiteres Hemmnis zeigt sich im Bereich Sprache und Bildung. Zwischen der Einreise und dem Start eines Integrationskurses vergehen laut Gutachten im Schnitt rund eineinhalb Jahre. „Lange Wartezeiten verzögern den Spracherwerb und verringern die Bildungschancen“, sagte Köpping. Besonders vor dem Hintergrund des wachsenden Arbeitskräftebedarfs zeige sich hier dringender Handlungsbedarf.
Das Gutachten wurde den Angaben nach vom Forschungs- und Beratungsinstitut Empirica im Auftrag des Sozialministeriums erstellt. Es soll auch als Grundlage für eine Erneuerung der Förderrichtlinie Integrative Maßnahmen dienen. (dpa/mig) Aktuell Gesellschaft
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