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Industrie- und Handelskammer (Archiv) © de.depositphotos.com

Neutralität als Vorwand?

Wirtschaftsverbände ringen um Umgang mit der AfD

Der Verband der Familienunternehmer hat mit einer AfD-Einladung Kritik auf sich gezogen – und ist zurückgerudert. Die Debatte geht aber weiter. Manche Unternehmer sagen, man müsse schon aus Neutralitätsgründen mit allen Parteien ins Gespräch kommen, andere sehen darin einen Vorwand.

Donnerstag, 04.12.2025, 13:32 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 04.12.2025, 13:32 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Wirtschaftsverbände und Kammern in Sachsen-Anhalt ringen um den Umgang mit der AfD. Während einerseits klare rote Linien bei Diskussionen gezogen werden müssten, sei andererseits ein offener Dialog mit gewählten Abgeordneten nötig, sagten Verbandssprecher auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur.

„Wir halten es für wichtig, dass man sich mit den Inhalten der Parteien auseinandersetzt“, betonte Michael Behrens, Regionalvorsitzender des Verbands der Familienunternehmer aus Bad Kösen. So würden zum Parlamentarischen Abend alle demokratisch gewählten Parteien im Landtag eingeladen. Dabei werde der AfD aber keine Bühne gegeben.

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Reden bedeute nicht, dass man zusammenarbeite, sagte der Unternehmer. „Wer gar nicht mehr redet, hat inhaltlich aufgegeben.“ Mit einem Andersdenkenden zu diskutieren heiße nicht, dass man dessen Positionen auch akzeptiere. Man komme an der AfD gar nicht vorbei. Politiker der Partei säßen nicht nur im Landtag, sondern auch in vielen Kommunen und Kreistagen. „Das Ergebnis haben wir nicht gemacht.“

Bundesverband der Familienunternehmer löste Kontroverse aus

Der Bundesverband der Familienunternehmer hatte vergangene Woche eine öffentliche Kontroverse ausgelöst. Erstmals hatte der Bundesverband zu einem Parlamentarischen Abend auch Vertreter der AfD eingeladen. Mehrere Unternehmen, darunter die Drogeriemarktkette Rossmann und der Hausgerätehersteller Vorwerk traten daraufhin aus dem Verband aus. Gewerkschaftschef Frank Werneke von Verdi hatte Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände zu einer klaren Positionierung gegen Extremisten aufgefordert. Ähnlich äußerte sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) – mit Verweis auf Parallelen in der deutschen Geschichte. Der Verband erklärte schließlich, dass die Einladung ein Fehler war.

Die AfD sitzt seit 2016 im Landtag von Sachsen-Anhalt. Sie wird vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingeschätzt. Dennoch sei die Partei eine relevante Größe im Land, sagte Thomas Brockmeier, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau. Die Debatte sei in Sachsen-Anhalt schon alt. Vor zehn Jahren habe es noch Diskussionen gegeben. Aber es sei völlig klar, dass mit allen demokratisch gewählten Parteien geredet werde.

„Man grenzt nicht nur Parteien aus, sondern auch Probleme“

Als gewerbliche Kammer sei man im Gegensatz zu den Verbänden zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet. „Ich muss zwingend Positionen kennen, um mich mit denen auseinandersetzen zu können“, sagte Brockmeier. Es könne sich dann auch schnell herausstellen, dass jemand oftmals nur eine Meinung, aber kein Argument habe. Etwa, wenn es um das Thema Internationalisierung und ausländische Arbeitskräfte gehe.

„Wer nationalistische Strategien fahren will, der macht das Land nicht nur weniger attraktiv“, sagte Brockmeier. Der sorge auch dafür, dass das Land weniger attraktiv sei für Menschen, die schon da seien. Man müsse die AfD inhaltlich stellen. „Diese ganze Brandmauerdiskussion führt nur dazu, dass man nicht nur Parteien oder Menschen ausgrenzt, sondern auch Probleme.“

IHK Magdeburg sorgt sich um Fachkräfte

Auch die IHK Magdeburg und die beiden Handwerkskammern in Magdeburg und Halle-Dessau betonten, dass sich grundsätzlich sachlich mit allen demokratisch gewählten Parteien auseinandergesetzt werde. Aber: „Da, wo Populismus der Wirtschaft und dem Handwerk schadet, müssen wir uns klar abgrenzen“, sagte Magdeburgs Handwerkspräsident Andreas Dieckmann.

Viele Unternehmen setzten auf ausländische Mitarbeiter. „Wenn wir als Gesellschaft Ausgrenzung zulassen, schaden wir nicht nur diesen Menschen, sondern auch unserem Handwerk und dem Wirtschaftsstandort Sachsen-Anhalt insgesamt.“ In einer alternden Gesellschaft, in der Fachkräftemangel eine zentrale Herausforderung sei, sei jede motivierte Arbeitskraft nötig.

Entscheidung im Einzelfall

Die Handwerkskammer entscheide im Einzelfall, ob Formate oder Gespräche mit Vertretern einer Partei sinnvoll seien. Es gehe um Inhalte, nicht um parteipolitische Positionierung. „Es geht nicht um eine Öffnung gegenüber extremen Positionen, sondern um die Anerkennung von Sorgen, Nöten und Ängsten – ohne dabei die Grenzen des demokratischen Miteinanders zu verschieben“, sagt Dieckmann.

Bei der IHK Magdeburg gibt es nach Angaben eines Sprechers keine formelle Regelung im Umgang mit der AfD oder anderen Parteien. Die Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände Sachsen-Anhalt teilten mit, allen gesellschaftlichen Gruppen für konstruktive Gespräche bereitzustehen. Als Dachverband der Wirtschaft sei man dialog- und gesprächsbereit, um über die besten Voraussetzungen und Bedingungen für die Unternehmen in Sachsen-Anhalt zu diskutieren und Lösungen zu finden, sagte ein Sprecher.

Der Bauernverband teilte mit, an der bisherigen Linie festzuhalten und den Umgang mit der AfD auf das protokollarisch gebotene Mindestmaß zu beschränken. Erste Ansprechpartner seien die Regierungsfraktionen in Bund und Ländern.

Neutralität als Vorwand

Kritiker werfen Wirtschaftsverbänden, die sich für Gespräche mit der AfD aussprechen, vor, die vermeintliche Neutralität als Vorwand zu benutzen. Privatwirtschaftliche Unternehmen stünden unter keinem Zwang, mit allen Parteien reden zu müssen – insbesondere nicht, wenn die Partei als gesichert rechtsextrem gelte und wiederholt rassistische Positionen verbreite.

Wer sich von der Unvereinbarkeit der AfD mit unternehmerischen und antidemokratischen Positionen überzeugen wolle, werfe einen Blick ins Parteiprogramm. Darin verspricht die Partei unter anderem „Remigration“. Da brauche man als Unternehmer keine persönlichen Gespräche und Austausch mehr, um herauszufinden, was das mit ausländischen Mitarbeitern in den Betrieben mache – physisch wie psychologisch. Auch sonst sei inzwischen gesichertes Wissen, dass die AfD dem Wirtschaftsstandort Deutschland schade.

Beobachter sehen in einigen Ländern eine Tendenz, dass manche Unternehmer aus persönlichen oder opportunistisch-pragmatischen Gründen die Nähe zu AfD-Politikern suchen. Manche würden sich durch persönliche Kontakte Vorteile versprechen, andere lebten damit ihre persönliche Gesinnung aus. (dpa/mig) Aktuell Politik

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